Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) förderten nach dem Blutbad erschreckende Beweise zu Tage: Akten, Notizhefte und gedruckte Anweisungen — echte „Handbücher des Mordens“. In nüchterner, technischer Sprache beschrieben sie, wie Geiseln genommen, Morde durchgeführt und die Taten medial verwertet werden sollten. Wer das Material liest, erkennt: Hinter dem scheinbaren Chaos stand eine kalt geplante Logistik.

Für die Terroristen war das Massaker Routine und religiöse Pflicht.GETTYIMAGES/Majdi Fathi/NurPhoto

Handbücher: das Drehbuch für das Verbrechen

Die Papiere enthalten Schritt-für-Schritt-Anleitungen zur Geiselnahme, Checklisten für Bodentaktik, Vorschriften fürs Filmen von Taten und klare Vorgaben zur Erzeugung von Terror. Gefunden wurden überdies Trainingsprotokolle, „Morale-Guides“ und Übungsszenarien, in denen Entführungen von Frauen und Kindern durchgespielt wurden. Bei Tätern wurden Kabelbinder, Elektroschocker, Tourniquets, Spritzen, Handschellen, Funkgeräte und Phrasenbücher gefunden — Ausrüstung für schnelles Fesseln, Ruhigstellen und Transportieren von Geiseln.

Operationsbefehl Nr. (01) / 2023, Ezzedeen Al-Qassam Brigades — datiert 06.10.2023: Anordnung zum Beginn der Operation „Tufan al-Aqsa“ mit konkreten Anweisungen zu Brechpunkten, Truppenbewegungen und Medienverbreitung.october7files.com/Screenshot

Dazu „Spiritual-Kits“: Heftchen mit Koranversen und Predigtfragmenten, die Gewalt als religiöse Pflicht rahmten. Praktische Anleitungen und ideologische Rechtfertigung bildeten zusammen eine Maschine: technische Präzision gekoppelt mit Legitimationsritualen.

Langfristige Planung — eine Landkarte des Terrors

Die gesicherten Unterlagen gleichen dem Protokoll eines Feldzugs: Karten von Dörfern mit Hausnummern, Anmarschwege, Ziellisten, Treffpunkte, Einsatzpläne, Teams, Ausrüstung und Evakuierungsrouten. Manche Skizzen datieren bis 2021 — die Vorbereitungen reichen Jahre zurück.

Die Terrorkämpfer hatten konkrete Pläne bei sich, etwa für die verschiedenen Kibbuzim.october7files/october7files.com

Operative Vorgaben wie „25 gleichzeitige Durchbruchsstellen“ oder „2.500 Mann im Erststoß“ zeigen, dass es sich um eine taktisch durchdachte, koordinierte Aktion handelte.

Der Brandstifter: Muhammad Deif

Muhammad Deif, langjähriger militärischer Kopf der Qassam-Brigaden, tritt in einer Aufnahme als Kommandant und Hassprediger auf. Er rief zur Operation „Tufan al-Aqsa“ auf, prahlte mit massiven Raketenangaben und forderte extreme Gewalt.

Muhammad Deif: Seine Anweisung zum Gemetzel ist in einem Audiofile übermittelt.APA/AFP/HAMAS MEDIA OFFICE

Eine Handnotiz vom Hamas-Chef Yahya Sinwar – der Schlüsselfigur – aus dem August 2022 ordnet wochenlange „routinehafte“ Manöver als Tarnung an und skizziert einen minutiös getimten Plan für den großen Schlag: synchronisierte Wellenangriffe, vorbereitete Reserven, Durchbrüche mit Bulldozern und gezielte PR-Instruktionen, um schockierende Bilder zu erzeugen und sofort zu verbreiten. Ganze Viertel und Kibbuzim sollen in Brand gesetzt werden, um die Massen zu mobilisieren. Dass der Mann, der nach Haft und Aufstieg seit 2017 de facto das Sagen in Gaza hatte, solche Worte aufschrieb, macht das Dokument zur Zündschnur: Wenn Sinwar anordnet, wird geplant, trainiert und ausgeführt. In seinem Abschieds- bzw. Ermunterungstext schließlich preist er Märtyrertum, segnet die Familie und ruft die nächste Generation zur Fortsetzung der Gewalt auf.

Die schriftliche Anweisung von Terrorboss Sinwarwww.october7files.com/Screenshot

Vernehmungen und gefundene Instruktionen

Vernehmungen mit Hamas-Terroristen und das vorgefundene Material decken sich: Die Angreifer wurden angewiesen, Männer zu erschlagen, Frauen und Kinder zu entführen, Taten zu filmen und die Bilder sofort zu verbreiten. Ein „Kämpfer-Handbuch“ beschreibt Schritt für Schritt, wie Geiseln gefesselt, ruhiggestellt und notfalls als menschliche Schutzschilde eingesetzt werden — kein spontanes Kriegschaos, sondern handwerklich geplante Barbarei.

Sinwar: Er war die Schlüsselfigur hinter dem Massaker. Mittlerweile ist er tot.IMAGO/ZUMA Press Wire

Einsatzskizzen und konkrete Missionspläne

Hinzu kamen detaillierte Pläne für einzelne Kibbutzim. Auf einer Einsatzskizze stand schwarz auf weiß: „Mission: Kibbutz Mefalsim“ — Ziel: töten und entführen. Ein bei einem getöteten Kämpfer gefundenes Top-Secret-Szenario schildert ein genaues Vorgehen: ein Zug aus rund 25 Mann, Aufteilung in Teams (unter anderem zwei Teams zu je fünf Kämpfern), Brechstellen im Zaun und exakt vorgegebene Anmarschwege. Als nüchterne Time-Note wurde vermerkt, dass Verstärkungen binnen drei bis fünf Minuten eintreffen könnten.

In der Tat stürmten zwischen 25 und 50 Angreifer den Kibbutz, sprengten das Tor, mordeten Zivilisten und verschleppten Bewohner — erst ein zwölfköpfiges Notfallteam sowie Spezialeinheiten konnten den blutigen Angriff stoppen.

Zugänge zum Kibbutz Mefalsim wurden auf dem Plan einzeichnet.october7files/october7files.com

Religion als Rechtfertigung

Ebenso deutlich tritt die Verquickung von Glaube und Gewalt zutage: interne Fatwas (islamische Rechtsgutachten), Einsatzanweisungen und inspirierende Koranzitate dienen als Rechtfertigung für Entführung, Folter und Tötung. In diesen Texten verwischen die Grenzen zwischen Kämpfer und Zivilist; Juden werden dort nicht mehr als schützenswerte Nichtkombattanten betrachtet, Frauen, Kinder und Alte können als „legitime Ziele“ eingestuft werden. Geiseln wurden demütigt, misshandelt und missbraucht — all das war zugleich ideologisch vorbereitet und organisatorisch geprobt.

Arabisch-Hebräischer Sprachführer für Entführer: „Frauen hier“, „Kinder hier“, „Zieht eure Hosen aus“, „Wir werden die Geiseln töten“, „Wo ist der Kibbuz-Führer?“october7files.com/Screenshot

Ausgebildet im Iran, unterstützt von Hackern im Ausland

Vernehmungen deuten außerdem auf externe Ausbildungsunterstützung hin: Gefangene berichteten von Training, das Stadtkampf-Taktiken, Infiltrationen und Methoden zur Geiselnahme vermittelte. Dieses Training erklärt, warum der Überfall so koordiniert und professionell wirkte.

Parallel dazu flankierten digitale Operationen die Angriffe: koordinierte Cyber- und Hacker-Aktionen legten Sicherheitsnetze lahm und störten Überwachungssysteme. Die Kombination aus militärischer Vorbereitung, logistischer Planung und digitaler Sabotage steigerte die Wirkung der Operation — ein perfides Zusammenspiel, das die Verteidigung aushebelte und das Ausmaß der Katastrophe möglich machte.

Im Iran hatten Terrorkämpfer ihre Ausbildung erhalten. Im Bild: Der oberste Führer Chamenei.APA/AFP/KHAMENEI.IR

Täuschungsmanöver und Ausbeutung der Hilfe

Nach dem Blutbad folgte systematische Täuschung: Geiseln wurden zur Schau gestellt, Propagandavideos gedreht, Bilder inszeniert und die Verantwortung geleugnet. Gruppen zogen sich in Krankenhäuser, Schulen und Tunnel zurück und nutzten Zivilisten sowie Rettungsfahrzeuge als Deckung. Während humanitäre Korridore eingerichtet wurden, sorgten Raketenfehlstarts aus Wohngebieten für weitere Schrecken. Die Geiselfrage blieb das mächtigste Druckmittel — bis heute.

Ermittler fanden zudem Befehle zur Tarnung: keine Handys, keine Fensterplätze, sofortiges Zurückziehen ins Innere. Luftbilder zeigten Raketenwerfer unmittelbar neben Schutzzelten. Ein gefasster Kämpfer brachte es auf den Punkt: „Das Spital Shifa ist ein sicherer Ort.“ Das war Verrat an der eigenen Bevölkerung.

Im Rantisi-Krankenhaus – und in vielen anderen Spitälern – wurden Tunnelschächte entdeckt.october7files.com/Screenshot

Gleichzeitig griffen bewaffnete Gruppen Hilfskonvois ab, plünderten Lieferungen und leiteten Vorräte um. Interne Papiere sprechen sogar von festen „Quoten“ bei UN-Lieferungen; Tonnen an Treibstoff und Medizin sollen gehortet oder teuer weiterverkauft worden sein. Das ist kein bloßer Kollateralschaden mehr — es ist die Ökonomie des Leids: Hilfe wird zur Währung, und wer sie kontrolliert, beherrscht das Land.

Ideologie als Antrieb

Das apokalyptische Bild vom 7. Oktober ist nicht aus dem Nichts entstanden: Es ist das Ergebnis jahrzehntelanger Indoktrination — Hetze in Schulbüchern, predigende Rhetorik, Fatwas und die systematische Verknüpfung von Glauben und Gewalt. Lehrpläne, Lieder und Heldengeschichten, die die Existenz Israels leugnen und Gewalt als Weg der „Rückkehr“ glorifizieren, bereiten eine Generation auf Gewalt vor.

20 Grundsätze der Muslimbruderschaft zum Verständnis des Islam – Todeskult als zentraler Wert (Koran, Sure 9:111). Integration von Glauben und militärischer Ausbildung (Koran, Sure 9:41). Rechts: Hassen al Banna, Gründer der Muslimbruderschaft.october7files.com/Screenshot

In Kombination mit geheimen Befehlen, taktischen Handbüchern und logistischer Vorbereitung entsteht so eine brutale Maschinerie, die Zivilisten instrumentalisiert und Schulen, Krankenhäuser und UN-Einrichtungen zu Operationsbasen degradiert.

Zwei Jahre nach dem Massaker bleibt die bittere Lehre: Erinnern heißt nicht nur Trauern, sondern Forschen, Aufklären und Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen. Wer die Mechanik kennt — Ideologie, Organisation und die ökonomische Ausbeutung humanitärer Hilfe —, kann die richtigen Lehren ziehen, um ähnliches künftig zu verhindern.