Hohe Löhne „große Belastung“? Was Mahrer fordert – wie die WKO abkassiert
Nach dem Wirbel um das fette Gehaltsplus beim Wirtschaftskammer-Personal haben wir uns angesehen, was WKO-Chef Harald Mahrer selbst über Lohnsteigerungen gepredigt hat – von „brutalsten Auswirkungen“ bis „schrillenden Alarmglocken“. Der Realitätscheck zeigt: An seinen eigenen Worten will er wohl nicht gemessen werden.
Keine Wirtschaftskrise bei der Kammer: Die Unternehmer finanzieren mit ihrer Pflichtabgabe die WKO-Gehälter, die Arbeitnehmer verzichten auf hohe Löhne – doch Mahrers Mitarbeiter sind davon bestens ausgenommen.APA/TOBIAS STEINMAURER
Seit Jahren präsentiert sich Harald Mahrer als Warner in Sachen Lohnpolitik. Der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) sieht die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts durch zu hohe Lohnabschlüsse und steigende Personalkosten gefährdet. Kaum ein Interview, in dem er nicht vor einer Kostenlawine warnt, die „den Standort ruiniert“.
Doch seine eigenen Entscheidungen in der Kammer holen ihn nun ein – und machen aus seinen Appellen ein Paradebeispiel für Doppelmoral. Ausgerechnet jener Mann, der niedrige Lohnsteigerungen predigt, sorgt im eigenen Haus für ein sattes Plus – und versucht, das anschließend als „Halbierung“ zu verkaufen.
Februar 2024: „Große Belastung“ durch Lohnabschlüsse
Am 7. Februar 2024 warnte Mahrer eindringlich: Die hohen Lohnabschlüsse der vergangenen Jahre hätten in Österreich eine „große Belastung“ für die Betriebe dargestellt. Sein Rezept: Lohnnebenkosten senken – „ohne Sozialabbau“. Energie-, Lohn- und Gehalts- sowie Bürokratiekosten müssten insgesamt „auf den Prüfstand“, der Produktionsstandort stehe wegen der Kostenstruktur unter massivem Druck.
Die Botschaft ist klar: Österreich drohe an seinen eigenen Lohn- und Personalkosten zu scheitern. Weniger Lohnerhöhungen, weniger Nebenkosten, mehr „Wettbewerbsfähigkeit“. Wie gut, dass die WKO selbst kein Unternehmen ist und dank der Pflichtgebühren nicht unter Wettbewerbsdruck steht. Die Wirtschaftskrise, unter der Unternehmer und Arbeitnehmer gleichermaßen leiden, ist bei ihr selbst nie angekommen.
Oktober 2024: Personalkosten als „brutalster Wettbewerbs-Killer“
In der Herbstrunde 2024 verschärft Mahrer den Ton noch einmal. Im Kontext der Exportwirtschaft erklärt er, Personalkosten hätten die „brutalsten Auswirkungen“: Höhere Energiekosten hätten die Konkurrenz in Europa auch, der eigentliche Hebel seien daher Löhne und Gehälter. Hohe Personalkosten seien ein hausgemachtes Problem.
Der Hut brennt: „Noch nicht alle haben bemerkt, dass die Alarmglocken schon laut schrillen.“ Es brauche jetzt eine „kraftvolle“ Senkung der Lohnnebenkosten: „Um brutto-brutto wieder auf das deutsche Niveau hinunterzukommen, muss das in der Größenordnung von zehn Prozent über das gesamte Volumen liegen.“ Das wären rund 4,5 Milliarden Euro.
Die WKO hätte mit gutem Beispiel vorangehen können und selbst zur Senkung der Lohn-Preis-Spirale beitragen können. Hätte…
September 2025: Jubel über Mini-Abschluss bei den Metallern
Als im September 2025 der Kollektivvertrag für die Metaller mit einem Plus von nur 1,4 Prozent abgeschlossen wird – deutlich unter der Inflation –, ist Mahrer begeistert. Die „moderate Lohnanpassung“ samt Einmalzahlungen schaffe „dringend benötigte Planungssicherheit und Entlastung“ für die Betriebe, lässt er über Aussendungen verbreiten. Auch WKO-Spitzen wie Karlheinz Kopf stimmen ein: Der Abschluss sei ein „wichtiger Schritt, um die Teuerung einzudämmen“. Niedrige Lohnzuwächse werden als Signal der Vernunft verkauft.
Zwei Tage später, bei der Eröffnung des Handelstags, setzt Mahrer noch einen drauf: Der Metaller-Abschluss sei ein „starkes Signal“, es sei gelungen, einen „Kurswechsel“ einzuleiten – doch sogleich kommen die mahnenden Worte: Ein solcher Kurswechsel sei auch im Handel notwendig. Seine Linie ist damit unmissverständlich: niedrige Abschlüsse und Lohnzurückhaltung als Standortpolitik.
Teuerungswelle? Auch die WKO könnte etwas beitragen
Was Mahrer in all den Jahren offenbar konsequent ausgeblendet hat: Auch er selbst könnte die Teuerungswelle dämpfen, indem er die Lohn-Preis-Spirale bei den Gehältern seiner eigenen WKO-Mitarbeiter durchbricht. Dann müssten auch die Unternehmer mit ihren Pflichtbeiträgen diese Lohnerhöhungen nicht länger finanzieren.
An sich und die Seinen gedacht hat er aber offenkundig nie.
Und dann die WKO-Gehälter: 4,2 Prozent – „halbiert“ nur am Papier
Dann kommt der Knaller: Die Wirtschaftskammer beschließt eine automatische Gehaltserhöhung von 4,2 Prozent für rund 6.000 Mitarbeiter – deutlich mehr als in vielen Branchen und deutlich üppiger als der von Mahrer gefeierte Metaller-Abschluss.
Als die Öffentlichkeit davon erfährt, brandet Kritik auf: Unternehmer fragen, warum ausgerechnet die WKO, die ständig „Augenmaß“ fordert, sich intern ein überdurchschnittliches Plus gönnt. Der „Gagen-Eklat“ wird für Mahrer zum Tsunami. Politische Mitbewerber sehen einen Schlag ins Gesicht all jener, denen ständig Lohnzurückhaltung gepredigt wird.
Mahrer reagiert mit einem großen Auftritt: Er verkündet ein „Machtwort“, die Erhöhung werde von 4,2 auf 2,1 Prozent „halbiert“, die Kammer setze ein „Signal der Verantwortung“. Die WKO-Aussendung dazu trägt den schönen Titel: „WKO halbiert Gehaltsanpassung 2026.“ Klingt nach Sparpaket. Bei genauerem Hinsehen bleibt davon allerdings nicht viel übrig.
Halbe Erhöhung? Von wegen! Mahrers Taschenspielertrick
Die Konstruktion im Detail: Jänner bis Juni 2026: keine Erhöhung, also 0 Prozent. Ab Juli 2026: die vollen 4,2 Prozent auf das bisherige Gehalt. Auf das Jahr 2026 gerechnet ergibt das rechnerisch tatsächlich durchschnittlich 2,1 Prozent – ein halbes Jahr 0, ein halbes Jahr 4,2. Entscheidend ist aber der strukturelle Effekt: Ab 2027 ist die Gehaltsbasis dauerhaft um 4,2 Prozent erhöht. Die Erhöhung ist also nicht halbiert, sondern nur verschoben.
Wir halten fest: 1,4 Prozent bei den Metallern gelten als „Kurswechsel“ und „starkes Signal“ – doch die WKO gönnt sich das Dreifache und verkauft es als „halbiert“. Damit hat sich Mahrer selbst ins Abseits gestellt. Seine Forderungen nach Mäßigung wirken heute weniger wie Ausdruck ökonomischer Vernunft, sondern wie die Ergüsse eines Präsidenten, der nach außen Wasser predigt und nach innen Wein trinkt.
Luxusapparat ohne Krise: Was die Agenda Austria zeigt
An der Lohn-Preis-Spirale ändert Mahrer damit rein gar nichts – im Gegenteil: 4,2 Prozent bleiben, sie kommen nur sechs Monate später. Der Schaden ist nicht behoben, sondern lediglich verschoben. Nun müssen die Unternehmer diese Gehaltserhöhungen finanzieren – mitten in einer hartnäckigen Krise, in der viele nicht wissen, wie sie die explodierenden Arbeitskosten im eigenen Betrieb stemmen sollen.
Während Metallarbeiter angesichts der Lage Reallohnverluste akzeptieren, kennt die Kammer keine Krise: Sie darf mit Einnahmen von rund 1,3 Milliarden Euro rechnen, die Rücklagen belaufen sich auf über zwei Milliarden Euro. Möglich machen das die Zwangsbeiträge. Wie die Denkfabrik Agenda Austria überdies aufzeigt, liegt die Wirtschaftskammer Österreich in der Gehaltstabelle liegt ganz vorne: Ein Vollzeit-Mitarbeiter in der Wirtschaftskammer verdient im Schnitt fast 90.000 Euro brutto im Jahr – etwas mehr als ein Beschäftigter in der Arbeiterkammer Wien. Doch auch dort wird nicht geknausert: Gut 14 Prozent liegt man dort über dem durchschnittlichen Angestellten – und damit fast beim Doppelten eines Arbeiters.
Die Botschaft: In jenem System, das nach außen Lohnzurückhaltung, Standortangst und „schrillende Alarmglocken“ beschwört, lebt es sich intern ziemlich komfortabel.
„Mogelpackung“ und „Augenauswischerei“ – vernichtende Kritik von allen Seiten
Industrievertreter sprechen offen von einer Mogelpackung: Die Lösung erhöhe alle Gehälter nachhaltig, sie schaffe für die Folgejahre eine deutlich höhere Ausgangsbasis. Christian Pochtler, Präsident der Industriellenvereinigung Wien, nimmt sich kein Blatt vor den Mund: Das sei im langfristigen Ergebnis etwas völlig anderes, als Mahrers Statement vermuten lasse. Dieser Schritt gehe im Sinn eines Durchbrechens der Lohn-Preis-Spirale in Österreich „vollkommen am Ziel vorbei“. So werde Mahrer den Unmut und das Unverständnis vieler Unternehmen nicht mildern – sondern eher verschärfen.
Remus-Chef Stephan Zöchling fordert eine temporäre Aussetzung der Beitragszahlungen durch die Unternehmen: „Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Kammer endlich spürt, was der Rest des Landes schon lange hört: den Warnschuss.“ Die Gehaltserhöhungen seien ein „fatales Signal“.
Die Kammer bleibt beim alten Kurs – und lässt andere für ihre Gehaltsfantasie zahlen
Elisabeth Götze, Wirtschaftssprecherin der Grünen, bezeichnet die neue Regelung ebenfalls als Mogelpackung: „Gerade die WKO, die stets vom Sparen spricht, weigert sich auch weiterhin, genau das bei sich zu tun.“ Auch die Unternehmerplattform der NEOS, UNOS, warnt: Die „halbierte“ Gehaltserhöhung dürfe nicht über spätere unterjährige Sondererhöhungen wieder ausgeglichen werden. UNOS-Bundessprecher Michael Bernhard fordert: „Eine verantwortungsvolle Lösung bedeutet, dass die 2,1 Prozent tatsächlich gelten.“
Was bleibt: ein WKO-Präsident, der inmitten einer Wirtschaftskrise Lohnzurückhaltung predigt, während seine Organisation die Krise selbst kaum spürt. Die Kammer macht weiter wie bisher – und kassiert bei den anderen ab.
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