Es klingt harmlos, geradezu positiv: „Diese Akademie hat sich zum Ziel gesetzt, die Zusammenarbeit zwischen unserer Gesellschaft und unserem Heimatland zu fördern und Generationen heranzubilden, die aktiv in einer multikulturellen und friedlichen Welt mitwirken werden.” Es geht um die Uluslararasi Toplum Akademisi (UTA), zu deutsch: die Internationale Gesellschaftsakademie mit Sitz in Köln. 

Integrationsprojekt?

Nach Eigendefinition deckt sie ein breites Spektrum ab, „vom Kampf gegen Rassismus bis zur digitalen Kommunikation, vom Projektmanagement bis zu Multikulturalismus und Integration”. Klingt wirklich gut. Etwas stutzig macht allerdings diese, ebenfalls der Eigendefinition entnommene Zielsetzung der UTA: „Sie stellt einen langfristigen Schritt dar, um … die internationale Anerkennung der UID zu stärken.”

Daher also weht der Wind. Die neue, vor allem auf Jugendliche zielende Bildungsoffensive ist eine Initiative der Union Internationaler Demokraten (UID), dem Auslandsarm der türkischen Regierungspartei AKP.

Anti-anitsemitisch?

Die Dokumentationsstelle Politischer Islam (DPI) stufte die auch in Österreich vertretene UID in einer 2023 erstellten Studie als Teil eines transnational organisierten Netzwerkes ein, das konservativ-islamische Normen und Einflussstrategien im europäischen Kontext verankern will. Die UID wies diesen Befund zwar zurück und betonte ihre demokratische Verankerung. Natürlich lehnt sie auch Antisemitismus ab, was sie freilich nicht davon abhielt, wenige Wochen nach dem Hamas-Überfall auf Israel den berüchtigten türkischen Judenhasser Abdurrahman Uzun zu einem Event nach Frankfurt einzuladen. Der hatte am 12.Oktober 2023 auf Youtube erklärt, „warum ich ein Feind Israels und der Juden bin, wisst ihr das? Gott hat mich den Juden, diesem Israel und diesen Zionisten zum Feind gemacht“. Weil die Sensibilität für Antisemitimus unmittelbar nach den Hamas-Massaker vorübergehend stärker ausgeprägt war, gab es bis in den Bundestag reichende Proteste gegen Uzuns Auftritt. Die UID sagte die Veranstaltung ab.

AKP-Agitprop

Auch als AKP-Vorfeldorganisation will sie UID nicht gesehen werden. Zahlreiche Beiträge in Sozialen Medien und die Referentenlisten bei UID-Seminaren belegen jedoch die enge Verbundenheit mit der AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan sowie das Forcieren konservativ-islamischer Werte. Nicht zu sehen sind dagegen Integrationsbemühungen im Sinne eines Austausches der ausschließlich von türkischstämmigen Personen getragenen UID mit Repräsentanten der autochthonen Bevölkerung. Der Vorsitzende von UID-Österreich, Mahmut Koc, präsentiert sich auf Facebook mit einem Profilbild, das ihn bei einem seiner zahleichen Treffen mit Staats- und Parteichef Erdogan zeigt.

Der Wiener UID-Chef Mahmut Koc wird immer wieder von Erdogan empfangen.Facebook/Koc

AKP-Seminar in Köln

Die engen Bande zum Erdogan-Regime wurden am vergangenen Wochenende in Köln und Wien sichtbar. Zu einerm zweitägigen Seminar im Kölner „Umweltbildungszentrum Gut Leidenhausen” hat die UID nach einem Bewerbungsverfahren auch austro-türkische Teilnehmer eingeladen. Unter dem Titel „Identität, Zugehörigkeit und Zivilgesellschaft” waren mehrere AKP-Granden als Referenten abgekündigt. Darunter auch offen deklarierte Anhänger der Terrororganisation Hamas, was in der Türkei nichts Außergewöhnliches, da Regierungslinie ist.

Aufruf der UID Wien zur Bewerbung um die Teilnahme am Kölner UTA-Seminar.Facebook/Facebook

Respekt für Terroristen

Einer davon war Süleyman Soylu. Der Ex-Innenminister, Erdogan-Vertraute und Vorsitzende der Innenausschusses im türkischen Parlament referierte in Köln „Grundlegende politische Konzepte und Strukturen”. Klingt unverdächtig. Wenn dieses Thema aber jemand behandelt, der öffentlich Terroristen huldigt, sind Zweifel an den vom ihm vermittelten politischen Konzepten angebracht. Im Oktober 2024 hatte Soylu auf X zum Tod des Organisators des Hamas-Überfalles auf Israel, Yahya Sinvar, dieses gepostet:  „Ich verneige mich mit Respekt vor dem Martyrium von Yahya Sinvar. Çanakkale war die vordere Front der islamischen und türkischen Welt. Gaza ist die vordere Front der islamischen und türkischen Welt. Ehre sei dem Kommandanten, der seine Front nicht verlassen hat.”

UTA-Referent Soylu verehrt auf X den Organisator des Hsmas-Terrors vom Oktober 2023.X/X

Abgesehen von der Untragbarkeit der Sinvar-Beweihräucherung müsste auch der übrige Inhalt dieses Postings Soylu von einer Vortragstätigkeit bei einer angeblich Frieden und Integration fördern wollenden Akademie ausschließen. Denn der Begriff „Çanakkale” steht für die Schacht von Gallipoli, bei der das späte Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg einen seiner letzten militärischen Erfolge feierte. Der erfolgreiche Widerstand gegen die Eroberung Istanbuls durch die Entente machte die Stadt Çanakkale in der Marmara-Provinz zu einem Symbol, das islamisch-nationalistische Türken bis heute als Trennlinie zwischen der islamischen und westlichen Welt betrachten.

Soylus Sinvar-Huldigung war übrigens nicht die einzige dieser Art. Am 31. Juli 2024 hatte er nach der Tötung von Hamas-Anführer Ismail Haniye in Teheran gepostet: „Der Märtyrer Haniye wird als Name der Unschuld in die Weltgeschichte eingehen. Möge Allah ihn mit dem Paradies vereinen.”

Segen des Märtyrers

Aus seinem Faible für Mitglieder der palästinensischen Mörderbande macht auch Abdulhadi Turus kein Geheimnis. Der Präsident der „Vereinigung der Türken im Ausland” (YTB) hatte an Haniyes Todestag auf X geschrieben: „Mit dem Segen des Märtyrertums wird Ismail Haniyehs Tod zur Einheit der islamischen Welt, zur Befreiung des Gazastreifens, der Al-Aqsa-Moschee und aller unterdrückten Regionen führen.” Ein Jahr nach der Tötung gedachte Turus im vergangenen Juli auf X noch einmal des Hamas-Terroristen, „der sein Leben der gerechten Sache Palästinas widmete, in Barmherzigkeit am Jahrestag seines Martyriums”.

UTA-Referent Turus postete Ende Juli dieses Sujet zum Gedenken an den Hamas-Terroristen Haniye.X/X

Am 7. Oktober 2023 hatte er dagegen kein Wort zum Hamas-Überfall auf Israel verloren, postete allerdings an diesem Tag auf Instagram zu einem Bild von vier Kindern vor dem Jerusalemer Felsendom, die T-Shirts mit türkischem Halbmond tragen und das Victory-Zeichen zeigen, diese vielsagenden Worte: „Es gibt Gebete, die erhört werden…” Das Foto ist seither das Titelbild von Turus’ Facebook-Seite. Er referierte in Köln zum Thema „Kampf gegen Rassismus, Islamfeindlichkeit und Diskriminierung”. Auch dieser Referent straft die UID-Selbstbeschreibung Lügen: „UID entwickelt Projekte zur Förderung des Verständnisses und des Friedens zwischen verschiedenen Kulturen und Gemeinschaften.”

Grüner reingelegt

In Deutschland haben die Behörden offenbar kein Problem mit solchen Bildungsreisenden. Wie oft bei derartigen Events wurde das UTA-Wochenendseminar weder von Medien noch von der Politik aufgegriffen. Der Leitung des „Umweltbildungszentrums” wird die Problematik erst nach einer EXXPRESS-Anfrage am Tag vor dem Seminar bewusst. „Aus, im Nachgang betrachtet, ärgerlichen personellen Engpässen, ist die Ausrichtung der Veranstaltung und des Organisators nicht ausreichend geprüft worden”, sagt Geschäftsführer Robert Schallehn, „erst am Freitag ist uns das bekannt geworden”. Da war es freilich bereits zu spät. „Unsere juristischen Prüfungen sahen zum diesem Zeitpunkt keinen rechtlichen Hebel, die Veranstaltung noch zu unterbinden”, so der Biologe zum EXPRESS. Er ist Grünen-Umweltsprecher im Kölner Stadtrat, weshalb es ihn umso mehr ärgert, der UID auf den Leim gegangen zu sein. Es blieb ihm nur noch, sich „von Inhalten und Rednern der Veranstaltung und der Organisation” zu distanzieren. Und am Tag vor dem Seminar Polizei und Verfassungsschutz zu informieren. Die sahen jedoch keinen Grund, die Veranstaltung zu unterbinden. Die UID reagierte auf EXXPRESS-Anfrage nicht.

AKP-Vize Sirakaya (l.) im Oktober in Wien unter den Porträts des Hitler-Fans Türkes (l.) und des Rechtsextremisten Bahçeli (r., oben).Facebook/Facebook

Netzwerken mit Extremisten

AKP-Vertreter sind geradezu in Permanenz in Europa unterwegs. Vor einer Woche besuchte – ebenfalls unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung – Zafer Sirakaya die Kölner UID-Zentrale. Bevor er am Samstag beim UTA-Seminar referierte, traf sich der stellvertretende AKP-Vorsitzende mit den Oberen der örtlichen DITIB-Zentralmoschee, führte nach eigenen Angaben „umfassende Beratungen” mit der ebenfalls in Köln ansässigen Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) und schaute bei der rechtsextremen Türkischen Föderation vorbei, wo er unter einem Porträt von Alparslan Türkes sowie von MHP-Chef Devlet Bahçeli fürs Instagram-Foto posierte.

Blinde Antifaschisten

Eine ähnliche Szene ist von einem Besuch Sirakayas Anfang Oktober bei der Türkischen Föderation in Österreich (ATF) dokumentiert – auch hier vor Porträts von Türkes und Bahçeli. Die ATF ist der Österreich-Ableger der mit der AKP koalierenden rechtsextremen MHP, deren Gründer Türkes auch die Grauen Wölfe ins Leben gerufen hat. Er war im Zweiten Weltkrieg Hitlers Kontaktmann in der Türkei und zitierte in seinen Reden gern aus „Mein Kampf”. Dass sein Porträt österreichweit in den Lokalen einschlägig orientierter Vereine wie „Avrasya” in Linz hängt und die ATF dem Hitler-Fan Türkes alljährlich an dessen Todestag am 4. April ein ehrendes Gedenken widmet, hat noch keine Behörde gestört. Auch die  ansonsten das rechte Spekturm akribisch wie die Haftlmacher observierende antifaschistische Szene ist auf diesem Auge völlig blind.

AKP-Vize Sirakaya besucht die UID in Bregenz.Facebook/Facebook

In Österreich verhält es sich in punkto Ignoranz gegenüber türkischen Polit-Extremisten nicht viel anders als in Deutschland. Schon Anfang Dezember war Sirakaya bei der UID Vorarlberg, wo eine Woche davor schon der AKP-Abgeordnete Ibrahim Yufuk Kayanak vorbeigeschaut hatte. Keine kritischen Fragen befürchten musste auch der Vorsitzende des Milli-Görüs-Ablegers Islamische Föderation Österreich (AIF), Yasin Çakmak, nachdem er im September zu einem Treffen mit Hamas-Fanboy Abdulhadi Turus nach Ankara gereist war. Das öffentliche Desinteresse an derartigen Trips garantiert null Rechtfertigungsdruck, weshalb es sich die AIF leisten kann, kritische Medienanfragen einfach zu ignorieren.

Österreichs Milli-Görüs-Chef Yasin Çakmak (l.) im September im Büro des Terroristenfreundes Turus.Facebook/Facebook

Austrotürkische Kritik

Kritische Stimmen kommen jedoch inzwischen aus der austro-türkischen Community selbst. Insbesondere die jüngste UID-Initiative wird argwöhnisch betrachtet. Adem Hüyük äußert auf seinem Online-Portal „Der Virgül” die Befürchtung, „die UTA bietet jungen Menschen möglicherweise kein pluralistisches, sondern ein enger definiertes Identitätsmodell – stark orientiert an der Türkei”. Den seit 35 Jahren in Wien lebenden türkisch-stämmigen Journalisten stört der „starke Fokus auf Identität und Zugehörigkeit”.

Adem Hüyük: UTA vermittelt kein pluralistisches, sondern ein enger definiertes Identitätsmodell.Privat/Privat

Die Tatsache, dass bei den UTA-Veranstaltungen türkische Regierungsvertreter, AK Parti-nahe Experten, Akademiker und Botschafter aus der Türkei als Redner auftreten, „legt nahe, dass es sich nicht nur um Jugendbildung handelt, sondern auch um die Übermittlung einer politisch eingefärbten Perspektive mit Zentrum Türkei”. Wie junge Menschen sich in der Gesellschaft ihres Wohnlandes engagieren sollen, bleibe dabei unklar, argwöhnt Hüyük. Vor allem bestehe das Risiko, „dass diese Identitätsrhetorik eine Sprache erzeugt, die die Diaspora von der Aufnahmegesellschaft entfremdet”.

Hüyük kritisiert unverblümt Repräsentanten seiner eigene Community: „Unsere Probleme beginnen nicht außerhalb, sondern innerhalb unserer eigenen Gemeinschaften. Wir vermeiden es, unsere Fehler anzuerkennen, sind kritikresistent, isolieren uns – und erwarten trotzdem Verständnis von der Österreichern.” Mit Blick auf die UTA fragt sich Hüyük: „Warum soll politische Bildung für das europäisch-türkische Leben aus Ankara gesteuert werden?”

Erdoganisierte Diaspora

Das könnte auch als Frage an die heimische Politik verstanden werden. Warum nimmt sie die auf allen Ebenen forcierte Einflussnahme auf hiesige Kinder und Jugendliche durch von einem autoritären Regime entsandte religiöse und politische Rattenfänger widerspruchslos hin? Organisationen wie UID, aber genauso die ATIB-Union als verlängerter Arm der türkischen Religionsbehörde DIYANET oder die sich hierzulande Islamische Föderationen nennende Milli-Görüs-Gemeinschaft geben vor, sich für Integration einzusetzen, arbeiten jedoch tatsächlich an der Verfestigung einer Parallelgesellschaft. Jede dieser Organisationen sorgt mit aus der Türkei eingeflogenen, meist mit einschlägiger Literatur und via Social Media virtuell sogar permanent präsenten Meinungsmachern für eine Erdoganisierung der türkischen Diaspora. Die Politik träumt derweil von einem europäisch verankerten, säkularen Islam – und liebäugelt vielfach ausgerechnet mit jenen, die genau das verhindern wollen.

Feiern mit SPÖ & IGGÖ

UID-Hochzeit in Wien mit prominenten Gratulanten (v. l.): Brautvater und UID-Chef ahmut Kov, Erdogan-Stellvertreter Sirakaya und SPÖ-Abgeordnete Bozatemur.X/Sirakaya

Am deutlichsten wird das bei der SPÖ. Ihre schon im Wiener Wahlkampf im Frühjahr mit Blick auf Erdogan-affine Austro-Türken offen zur Schau gestellte Nähe zur – am Bosporus gnadenlos Sozialdemokraten verfolgenden – AKP demonstrierten die hiesigen Genossen einmal mehr an diesem Sonntag in der Royal-Eventhalle in Wien-Liesing. Dort traf sich die türkische Hautevolee zur Hochzeitsfeier der Tochter von UID-Präsident Koc. Direkt vom Kölner UTA-Seminar war AKP-Vize Sirakaya eingeflogen, um dem Brautpaar die Glückwünsche von Präsident Erdogan zu überbringen. Neben dem türkischen Botschafter in Wien, Gürsel Dönmez, machte auch die türkisch-stämmige SPÖ-Abgeordnete und Ludwig-Vertraute Alishan Bozatemur der UID/AKP-Prominenz ihre Aufwartung. Ebenfalls unter den HOchzetsgästen gesichtet: Ümit Vural. Mit dem von Milli Görüs kommenden Chef der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) schloss sich der politisch-islamische Kreis bei diesem Wiener Event.