Die türkische Zeitung Sözcü ließen am Freitag eine Bombe platzen, die nicht nur in Österreich, sondern auch in Ankara für Erschütterungen sorgt. Und die Anschuldigungen kommen nicht etwa von „Islam-Hassern”, sondern von ganz oben: Die türkische Religionsbehörde Diyanet hat fünf Jahre lang in Wien eine Untersuchung über den mutmaßlichen Missbrauch von Spendengeldern durchgeführt und dabei vieles zu Tage gefördert, was Allah verboten hat:  Spenden, die bei vielfältigen Gelegenheiten eingesammelt wurden, sollen zweckentfremdet worden sein.

Im Zentrum der Affäre: Die Österreichisch‑Türkische Islamische Union (ATIB), also der größte Moscheeverband Österreichs und neben der Islamischen Förderation (AIF) eine mit 63 Moscheevereinen dominierende Organisation der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ).

ATIB-Aufruf für Spenden zum Ankauf von Opfertieren (Kurban) im vergangenen JunizVg/zVg

Escort-Skandal

Der türkische TV-Sender Veryansin spricht von „Escort-Sandal“. Denn der spektakulärste Vorwurf bezieht sich auf die Verwendung von an Freitagen und islamischen Feiertagen gesammelte Spenden für „Escort-Damen“, also Prosituierte. Mindestens vier Escort‑Frauen sollen mit diesen so veruntreuten Geldern engagiert worden sein.

Beschuldigt werden im Ausland tätige Mitarbeiter, darunter Imam F.M.K. und M.Ş., die für die Diyanet‑Stiftungen in Österreich und die ATIB zuständig waren. Sie sollen bereits entlassen worden sein. Laut Diyanet, so berichtet Sözcü, seien die Entlassungen wegen „Disziplinlosigkeit und Unzulänglichkeiten“ erfolgt. Die veruntreuten Gelder sollen aus Hadsch- (Pilgerreisen), Kurban- (Opfertierspenden) und Buchverkäufen sowie aus dem Begräbnisfonds stammen. Die illegalen Ausgaben wurden demnach über falsche Buchungsdaten wie „Kosten für Aufenthaltsgenehmigungen, Mieten etc.“ verschleiert.

Bestechungsversuch?

Süzcü berichtet auch über angebliche Bestechungsversuche der Verdächtigen in Wien: So sollen Diyanet-Prüfer zu luxuriösen Veranstaltungen eingeladen worden sein, um die Untersuchungsergebnisse zu beeinflussen.

Gescheiterte Vertuschung?

Einer der Entlassenen soll mit einem ehemaligen Minister der türksichen Regierungspartei AKP verwandt sein, was Spekulationen über einen möglichen Vertuschungsversuch schürt: Die Untersuchungen der Präsident Recep Tayyip Erdogan direkt unterstehenden Diyanet zogen sich über fünf Jahre hin und sind erst jetzt durchgesickert.

Nicht zufällig berichteten regimekritische Medien darüber. Die 2007 gegründete Zeitung Sözcü wird von der in der Schweiz registrierten BEME Media AG herausgegeben und gilt als eines der prominentesten Medienhäuser in der Türkei mit einer klar regierungskritischen Ausrichtung. Das Blatt kritisiert die Politik von Präsident Erdoğan und der AKP sehr scharf. Es wurde mehrfach Ziel juristischer Maßnahmen – etwa Haftbefehle gegen den Gründer Burak Akbay und dessen Mitarbeiter. Regierungsnahe Kreise werfen Sözcü Verbindungen zur Gülen-Bewegung (FETÖ) vor, was das Blatt strikt zurückweist. Auch der TV-Sender Veryansin ist Erdogan-kritisch.

Ein Indiz für einen offenbar lange gelungenen Vertuschungsversuch sind Informationen aus der austrotürkischen Community, wonach die Affäre schon vor zwei Jahren Auslöser einer Personalrochade in der türkischen Botschaft in Wien war. Ein hochrangiger Attache wurde im August 2023 in die Türkei zurückbeordert, wo er bis vergangenen Jänner Bezirksmufti war, ehe er zum Fachberater von Diyanet berufen wurde. Sein Name ist im Organigramm der Religionsbehörde aber nicht mehr zu finden.

Wollte Präsident Erdogan den Spendenskandal vertuschen?GETTYIMAGES/Kent Nishimura / Freier Fotograf

ATIB schweigt

Die ATIB-Zentrale in Wien hüllt sich zu der Affäre in Schweigen. Schriftliche und telefonische Anfragen des exxpress blieben bislang unbeantwortet. Laut türkischen Medien sollen auch die österreichischen Behörden bereits über den Skandal informiert worden sein.

Kultusamt prüft

Das für Religionsangelegenheiten zuständige Kultusamt im Bundeskanzleramt teilte dem exxpress mit, dass es bezüglich der türkischen angesprochenen Medienberichte, den Verein zu einer Stellungnahme auffordern werden. Außerdem laufe gerade eine Prüfung des Kultusamtes zu Auslandsfinanzierung in der ATIB.

Intransparente Sammlungen

Auch die Milli-Görüs-Organisation HASENE sammelt Spenden, gibt aber keine detaillierte Auskunft über deren VerwendungzVg/zVg

Die Affäre wirft insgesamt die Frage von Spendenaktionen im Umfeld islamischer Organisationen in Österreich auf. Nicht nur ATIB sammelt bei bei vielen Gelegenheiten. Es gibt sogar ein islamisches Pendant zur katholischen Caritas, nämlich die zur Islamische Föderation (= Milli Görüs) gehördende Hasene-Organisation, die weltweit aktiv und ebenfalls bei vielen Gelegenheiten in der türksichen Community Spenden einsammelt – unter anderem für Gaza.

Im Gegensatz zur Caritas bietet Hasene aber keine Transparenz: Zwar werden in sozialen Medien immer wieder Übergaben von Hilfsgütern an Bedürftige veröffentlicht, Anfragen zur genauen Spendenbilanz und der detaillierten Verwendung der Gelder bleiben jedoch bei Hasene Österreich immer wieder unbeantwortet, obwohl die Spenden an diese Organisation steuerlich absetzbar sind.