Der Ukraine-Krieg geht in eine neue Phase – und für viele Beobachter sieht es düster aus. Nach Einschätzungen des US-Thinktanks Institute for the Study of War (ISW) bereitet Russland eine neue Offensive im Herbst vor. Schon Mitte August habe der ukrainische Geheimdienst davor gewarnt.

Die Drohung einer Herbstoffensive

Präsident Wolodymyr Selenskyj konkretisierte am 12. August mögliche Truppenbewegungen: 15.000 Soldaten in Richtung Saporischschja, 7.000 Richtung Pokrowsk und 5.000 in Richtung Nowopawliwka. Ziel sei es, die Angriffe in diesen Regionen „in naher Zukunft zu intensivieren“.

Generalmajor Vadym Skibitsky, Vizechef des ukrainischen Militärgeheimdienstes GUR, warnte sogar, dass Russland die „Ukraine-Frage“ bis 2026 endgültig lösen wolle. „Das Erreichen der bisherigen Ergebnisse soll bis zum Ende des Sommers beziehungsweise Anfang Herbst gelingen“, sagte Skibitsky im ukrainischen Fernsehen.

Ex-US-Sicherheitsberater und Hardliner John Bolton warnt: Russland werde jede Feuerpause nutzen, um Truppen neu aufzustellen und den Krieg mit frischer Wucht fortzuführen. „Putin ist darauf aus, das russische Imperium wieder zu errichten“, erklärte Bolton im Interview mit Sky News.

Ihm schwant Böses: John BoltonAPA/AFP/Brendan Smialowski

Prominente US-Analystin: „Putin ist der klare Gewinner“

Besonders scharf analysiert Jennifer Kavanagh, Senior Fellow und Direktorin für militärische Analysen beim Thinktank Defense Priorities, die Lage. Ihr Fazit mehr als zwei Wochen nach dem Gipfeltreffen in Alaska: „Putin war eindeutig der Gewinner. Er erhielt ein Treffen mit seinem amerikanischen Gegenüber, umging die angedrohten Wirtschaftssanktionen und konnte seinen Krieg fortsetzen, ohne nennenswerte Zugeständnisse zu machen“, schreibt sie im US-Magazin Responsible Statecraft.

Russland habe durch die Einbindung der USA einen strategischen Vorteil: Nur mit amerikanischer Beteiligung könne Putin die „Grundursachen“ des Krieges – vor allem die NATO-Osterweiterung – thematisieren. Kavanagh war politische Chefanalystin bei der RAND Corporation, außerdem lehrt sie als Professorin an der Georgetown University.

Europa in Ohnmacht

Europas Rolle wird von der US-Analystin als schlicht verheerend bewertet: „Europäische Spitzenpolitiker wirkten verzweifelt und panisch.“ In Washington hätten sie weder klare Sicherheitsgarantien für die Ukraine durchgesetzt noch ihre eigenen militärischen Pläne glaubhaft untermauert. „Sie haben wenige Waffen, begrenzte wirtschaftliche Hebel gegen Moskau und keinen Plan, den Krieg zu beenden.“

Das Bild, das Europa abgibt, sei schwach: hektische Reisen über den Atlantik, aber kaum konkrete Ergebnisse. Kavanagh schreibt: „Ihre Realität war weit weniger rosig als die öffentlichen Statements. Sie konnten Trump nicht von einer sofortigen Waffenruhe überzeugen und erhielten keine ‚eiserne‘ Unterstützung der USA.“

Selenskyj unter Druck

Für die Ukraine sind die Folgen besonders hart: „Das eigentliche Problem Kiews ist, dass die Zeit nicht auf seiner Seite ist. Früher oder später werden die Frontlinien zusammenbrechen“, sagt Kavanagh. Russland gewinne im Donbas und an anderen Frontabschnitten weiter Boden, während die Ukraine an Personal und Ressourcen verliere.

Kavanagh warnt: Je länger der Krieg dauert, desto schlechter würden die Bedingungen für Kiew in möglichen Friedensverhandlungen. Jede Vereinbarung, die jetzt diskutiert werde – etwa Sicherheitsgarantien durch europäische Truppen – sei zu schwach, um Russland abzuschrecken, aber stark genug, um Putin im Krieg zu halten.

Momentan Stillstand an der Front

Momentan verzeichnen die russischen Streitkräfte allerdings keine großen Erfolge an der Front. Während Moskau weiter Druck auf Städte wie Pokrowsk ausübt, bleiben die Erfolge gering. Ex-Nato-General Erhard Bühler erklärte im MDR: „Ein taktischer Einbruch kann sich schnell zu einem operativen Durchbruch entwickeln.“ Doch derzeit seien die russischen Truppen kaum in der Lage, größere Gebiete einzunehmen.

Das ISW verweist auf die Kritik eines russischen Militärbloggers, der den Angriff bei Dobropillya als „erfolglos“ bezeichnete, weil es an ausreichender Breite gefehlt habe. Moskau habe zudem Schwierigkeiten, Verstärkung nachzuführen.

Der ehemalige Nato-General Erhard Bühler warnte aber, ein einzelner taktischer Durchbruch könne sich jederzeit zu einem operativen Erfolg entwickeln.