Die New York Times zeigt sich tief enttäuscht: Zehn Jahre nach dem gefeierten Pariser Klimaabkommen ist die internationale Begeisterung für den „Klimakampf“ verpufft, beklagt sie. Doch was die US-Zeitung als dramatischen Rückschritt beschreibt, ist in Wahrheit nichts anderes als politische Realität – und Pragmatismus, der sich weltweit durchsetzt.

Der frustrierte Rückblick eines Klima-Warners

„Alles außer der Wissenschaft hat sich geändert“, meint David Wallace-Wells frustriert in seinem langen Abgesang auf die Klimapolitik. Er ist Autor des Buches „Die unbewohnbare Erde“, das apokalyptische Szenarien infolge der Klimakrise beschreibt. Das Werk wurde ein Bestseller – doch die politische Reaktion und das öffentliche Interesse blieben hinter den Erwartungen zurück.

„Es ist nicht nur die USA. Die ganze Welt hat sich von der Klimapolitik abgewendet“, räumt Wallace-Wells in der New York Times offen ein.New York Times/Screenshot

Während in Paris noch von einer neuen Moral, globaler Solidarität und gemeinsamen Verpflichtungen geträumt wurde – an die sich Wallace-Wells heute wehmütig erinnert – bleiben immer mehr Spitzenpolitiker den UN-Klimakonferenzen konsequent fern. Weder Joe Biden, Kamala Harris, Emmanuel Macron noch Ursula von der Leyen hielten es zuletzt für notwendig, ihre Anwesenheit zu zeigen. Auch das spricht Bände.

Die USA und der Abschied von der Klimarhetorik

Besonders am Beispiel der USA zeigt sich, wie weit die politischen Realitäten von der alten Rhetorik abgerückt sind: Donald Trump trat schon 2017 aus dem Abkommen aus – und seit seiner Rückkehr ins Amt lässt er gar keinen Zweifel an der Linie. Der gefeierte „Inflation Reduction Act“ von Joe Biden wurde demontiert, neue Projekte für erneuerbare Energien werden blockiert. Amerika, einst angeblich „Führungsmacht für den Klimaschutz“, ist heute Öl- und Gas-Supermacht.

Glanz und Glamour: Auch Hollywood-Star Leonardo DiCaprio (Bild) war bei der feierlichen Unterzeichnung des UN-Klimaabkommens in New York dabei.IMAGO/UPI Photo

Doch die USA sind nicht die einzigen, wie der Artikel einräumt: Kanadas neuer Premierminister Mark Carney, einst Chef-Notenbanker und Klima-Mahner, schaffte als erster die nationale CO₂-Steuer ab – und gewann damit die Wahlen im Erdrutschsieg. Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum, selbst ehemals Klimawissenschaftlerin, setzt lieber auf „Energiesouveränität“ und rühmt die boomende Öl- und Gasförderung. Ihre Beliebtheitswerte gehören zu den höchsten weltweit.

Der Aufstieg von Pragmatismus und Realismus

„Pragmatismus“ und „Realismus“ sind die Begriffe, die heute auf internationalen Konferenzen dominieren – und das, was der New York Times-Artikel als „Rückschritt“ bezeichnet, bewerten viele Wähler schlicht als Bodenhaftung. Die Zeit der großen Klima-Versprechen war gestern, bestätigt auch Alex Trembath vom US-Thinktank Breakthrough Institute: „Die Ära der Klima-Falken ist vorbei.“

November 2016: Der Eiffelturm wurde grün beleuchtet, um in Paris die Ratifizierung des Klimaschutz-Abkommens zu feiern.GETTYIMAGES/Geoffroy Van Der Hasselt/Anadolu Agency

Währenddessen wächst die Kluft zwischen Medienpathos und Realität: Noch immer warnen verschiedene Forscher vor Dürren und Hitzewellen, doch das politische Interesse an moralischen „Weltrettungs“-Formeln ist erlahmt. Klimaproteste werden kaum mehr ernst genommen – und Aktivisten, die einst auf UN-Bühnen hofiert wurden, landen inzwischen vor Gericht.

Die stille Energiewende: Marktgetrieben statt moralgetrieben

Aber: Das bedeutet nicht, dass grüne Energie verschwindet, meint der Autor. Hier liegt offenbar sein Hoffnungsschimmer: Der globale Ausbau von Wind und Solar läuft weiter, nur eben marktgetrieben statt moralgetrieben. In nur zwei Jahren hat die Welt zwei Terawatt an Solar hinzugebaut, erneuerbare Energien machen inzwischen mehr als 40 Prozent der Elektrizität aus. „Es geht nicht mehr um Klimapolitik“, räumt sogar Christiana Figueres, einst Chefverhandlerin des Pariser Abkommens, ein. „Es geht um Klimaökonomie.“

Kanadas Premier Justin Trudeau trat bei der UNO als Klima-Vorzugsschüler auf, doch sein Nachfolger geht einen anderen Weg.IMAGO/UPI Photo

Das Ende des Pariser Traums

Damit läuft die Energiewende still und heimlich über Angebot, Nachfrage und die Technikmärkte. Und die politischen Träume von Internationalismus und kollektiver Moral? Sie gehören endgültig der Vergangenheit an.

Ob der Wechsel zu nachhaltigen Energieträgern tatsächlich nachhaltig sein wird – die Zukunft wird es zeigen. Eines zeichnet sich jedoch schon jetzt ab: Die Welt hat sich vom Pariser Traum verabschiedet – und die meisten Politiker weinen ihm nicht nach, vor allem, weil es ihre Wähler auch nicht tun.