Krank, Kind, kein Pass – Insider: So stoppen abgelehnte Asylwerber die Abschiebung
Verlorene Pässe, medizinische Atteste, gefälschte Vaterschaften: Zwei Insider berichten, wie abgelehnte Asylwerber ihre Abschiebung aufschieben oder ganz verhindern – und der Staat oft machtlos zusieht. Die Maschen sind bekannt, die Behörden kennen die Tricks – doch die Politik findet kein Gegenrezept.
Abgelehnte Asylwerber vor dem Abflug: Mit Tricks versuchen viele, genau das zu vermeiden.APA/dpa/Daniel Maurer
Wie kann man trotz negativem Asylbescheid in Österreich bleiben? Zwei Insider – ein ehemaliger Mitarbeiter der Asylbehörde und ein heute noch aktiver Beamter – berichten exklusiv gegenüber dem exxpress von Taktiken, mit denen Abschiebungen gezielt verzögert oder ganz verhindert werden. Die Folge: Die Betroffenen bleiben oft jahrelang – oder dauerhaft – im Land. Und der Staat schaut zu.
Trick 1: Psychische Leiden und seltene Krankheiten
Ein ärztliches Attest reicht oft, um eine Abschiebung zu verzögern – etwa wenn psychische Erkrankungen geltend gemacht werden. „Dann prüft man, ob die Therapie im Herkunftsland verfügbar ist“, sagt einer der Insider. Das führe regelmäßig zu Monaten des Stillstands – „auf unsere Kosten“.
Häufige Krankheiten wie Diabetes gelten ausdrücklich nicht als Abschiebehindernis – sie sind in den meisten Ländern behandelbar. Kritisch wird es bei seltenen oder komplexen Diagnosen, für die es im Herkunftsland keine oder nur unzureichende Versorgung gibt. In solchen Fällen wird oft gar nicht abgeschoben.
Trick 2: „Ankerkind“ – einst beliebt, heute oft wirkungslos
Einst ein beliebter Trick: Ein Kind in Österreich zu zeugen, um der Abschiebung zu entgehen. Doch heute klappt das nicht mehr so leicht – sagen beide Insider. „Wenn keine echte Beziehung zum Kind besteht oder Zweifel an der Vaterschaft auftauchen, scheitert das meist“, erklärt ein Beamter. Besonders dann, wenn der Mann nicht in der Geburtsurkunde steht oder sich erst nach dem negativen Asylbescheid auf die Vaterschaft beruft.
Nur wenn eine glaubhafte Beziehung schon vor dem Bescheid bestand, kann das Kindeswohl eine Abschiebung verhindern. In echten Fällen ist das legitim – als Trick funktioniert es kaum noch. Kurz: Heute gibt es weit effizientere Maschen gegen Abschiebung (siehe Punkt 1, 3 und 4).
Wie brisant das Thema bleibt, zeigte 2024 allerdings ein ARD– und rbb-Bericht: Tausende Schein-Vaterschaften wurden in Deutschland genutzt, um Aufenthaltstitel zu erschleichen – teils von organisierten Banden vermittelt. Die Behörden vermuten zehntausende Fälle. In einem dokumentierten Fall erkannte ein einziger Mann 24 Kinder an – der Staat zahlte.
Trick 3: Pass wegwerfen – eine der häufigsten Taktiken
Der mit Abstand häufigste Trick: Der Pass verschwindet. „Meist landen die Dokumente im Mittelmeer“, sagt der ehemalige Asyl-Mitarbeiter. „Das ist ein Massenphänomen.“ Mittlerweile, so scherzt er bitter, „dürften sich die Reisedokumente am Meeresgrund stapeln“.
Dieser Trick wirkt: Ohne Reisedokument braucht es ein Heimreisezertifikat der Botschaft – doch viele Länder kooperieren kaum oder gar nicht. Eine positive Ausnahme sei Nigeria, das relativ verlässlich agiere. Doch Länder wie Mali haben nicht einmal eine Botschaft in Österreich. Dann geht nichts mehr: keine Papiere, keine Abschiebung, keine Schubhaft. Das wissen die Betroffenen: „Die lachen einem vor Gericht ins Gesicht und sagen: Ich bleibe.“
Trick 4: Herkunft verschweigen
Einige geben gar kein Herkunftsland an, andere machen bewusst falsche Angaben. Dann bleibt dem Staat nur ein aufwendiges Sprachgutachten, um den tatsächlichen Ursprung zu ermitteln – mit Tonaufnahmen und detaillierter Analyse.
Doch selbst wenn das gelingt: Ohne gültige Reisedokumente bleibt alles blockiert. Ein Land, das früher relativ gut mit Österreich kooperierte, war Russland – aber das hat sich seit der Ukraine-Invasion geändert. „Früher ging das noch halbwegs – heute kaum noch“, sagt der Beamte.
Und selbst wenn abgeschoben wird...
Ein weiteres Kapitel: Selbst wenn eine Abschiebung geplant ist, kann sie im letzten Moment noch scheitern. Etwa durch Widerstand am Flughafen, plötzlich auftretende „Beschwerden“ – oder gezielte Störaktionen. Aber: Das wäre ein eigener Bericht.
„Österreich wird systematisch ausgenutzt“
„Diese Tricks sind längst bekannt“, sagen beide Insider. Der aktiv tätige Beamte wird deutlich: „Wer das System kennt – und schamlos ausnutzt – bleibt. Viele wollen gar nicht Teil unserer Gesellschaft werden, sondern schlicht von unserem Sozialstaat profitieren. Österreich wird systematisch ausgenutzt.“
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