Es passiert schnell – und es passiert gegen den Willen der Betroffenen: Ein Mädchen wird festgehalten, zu Boden gedrückt, die Beine werden auseinandergepresst. Eine meist ältere Frau greift zu einer Klinge oder einem Messer, oft stumpf und nicht steril. Betäubung gibt es keine. Dann beginnt der Schnitt.

So wird ein Vorgang beschrieben, der in manchen Gemeinschaften als „Tradition“ gilt – und für Betroffene zur lebenslangen Verletzung werden kann, mit Schmerzen und Folgen bis ins Erwachsenenleben.

Was bei FGM passiert – und was bleibt

„Beschneidung“ klingt harmlos. Ist es aber nicht. Gemeint ist, dass mindestens die inneren Schamlippen abgetrennt werden – häufig auch die äußeren Schamlippen und die Klitoris, ein „hochsensibles Organ“. Danach wird „zugepresst oder zugenäht“, sodass nur noch ein winziges Loch übrig bleibt: für Urin und Menstruationsblut.

Die betroffenen Mädchen sind meist zwischen vier und 15 Jahren alt, in manchen Regionen nur wenige Tage. Der Preis ist enorm: Viele überleben die Tortur nicht. Und wenn doch, folgt für viele ein Leben mit „fürchterlichen Schmerzen“, besonders beim Sex und bei der Geburt eines Kindes.

„Wüstenblume“ – und der Konsens über die Grausamkeit

Spätestens seit Waris Diries Buch „Wüstenblume“ gilt die Praxis in der öffentlichen Wahrnehmung als das, was sie ist: Gewalt. Dirie schilderte darin ihr eigenes Martyrium, das Buch wurde 2009 verfilmt. Der Text beschreibt: Es gebe einen „einheitlichen, wissenschaftlichen Konsens“, dass FGM („Female Genital Mutilation“, weibliche Genitalverstümmelung) eine brutale Folter sei – körperlich wie seelisch.

Und genau an diesem Punkt beginnt jetzt eine Debatte, die viele fassungslos macht: nicht über das Ob der Ablehnung – sondern über das Wie der Benennung.

Forscher gegen den Begriff „Verstümmelung“

22 Wissenschaftlerinnen und vier Wissenschaftler haben im Journal of Medical Ethics einen Artikel veröffentlicht: „Schäden der aktuellen globalen Anti-FGM-Kampagne“. Grob umrissen: Sie befürworten FGM nicht – aber sie wollen sie nicht mehr „Verstümmelung“ nennen. Lieber „Praxis“.

Ihre Begründung: Die globale Anti-FGM-Kampagne verursache trotz guter Absichten „erhebliche unbeabsichtigte Schäden“. Der Vorwurf zielt auf eine „vereinheitlichte, stark normierende Deutung“, die „die kulturelle Vielfalt genitaler Praktiken und die Erfahrungswirklichkeit der Betroffenen“ ignoriere.

Im Artikel heißt es außerdem, eine allgegenwärtige „Standardisierung“ verschleiere „die Vielfalt der Praktiken, Bedeutungen und Erfahrungen der Betroffenen“. Das Ergebnis sei Stigmatisierung, erschüttertes Vertrauen in das Gesundheitswesen – und „differenzierte Stimmen“ würden zum Schweigen gebracht.

„Kultur“ – oder Kontrolle?

Während akademische Begriffe abgewogen werden, bleibt die Realität, wie sie geschildert wird: Ein Eingriff am Körper eines Kindes, ohne Einwilligung, ohne Betäubung, mit Klingen, die „blutig, rostig“ sind und „nie mit einem Desinfektionsmittel in Berührung gekommen“ seien.

Plan International Deutschland benennt dabei ein Machtgefüge – und spricht aus, worum es in vielen Gemeinschaften geht: die soziale Kontrolle über Mädchen und Frauen.

Edell Otieno-Okoth, Expertin für FGM bei Plan International Deutschland, erklärt: „Frauen, die nicht beschnitten sind, gelten in den praktizierenden Gemeinden als unrein.“ Und weiter: „FGM ist eine tief verankerte kulturelle Tradition, die auf der Ungleichheit von Frauen und Männern basiert. Das ist eine extreme Form der Benachteiligung von Mädchen und Frauen. Es geht darum, die Sexualität von Frauen zu kontrollieren.“

Der Satz, der hängen bleibt: „Am Ende sind die Frauen nur da, um die Männer zu befriedigen und Kinder zu gebären.“

Wenn Worte weich werden, bleibt der Schnitt hart

Die Forderung, den Begriff „Verstümmelung“ zu ersetzen, trifft damit auf einen empfindlichen Nerv. Denn das Wort ist nicht nur Beschreibung – es ist auch Anklage. Wer „Praxis“ sagt, klingt klinisch, neutral, fast administrativ. Doch beschrieben wird ein Akt, bei dem Körperteile entfernt, Wunden verschlossen und Kinder in einen Zustand gezwungen werden, der sie ihr Leben lang prägt.

Gleichzeitig steht im Raum, was die Forscher behaupten: dass die bisherige globale Kampagne eine „Standardisierung“ erzeuge, die Bedeutungen und Erfahrungen überdecke und damit neue Schäden produziere. Eine Debatte, die nicht im Seminarraum endet – sondern dort, wo Mädchen festgehalten werden.