Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) präsentiert sich hocherfreut: Wien verzeichnet einen sprunghaften Anstieg der Beschäftigung, doch er sieht ihn durch die rosarote – oder eigentlich tiefrote – Brille.

Von mehr als 10.000 neue Arbeitsplätzen spricht Ludwig, was einem Plus von 1,2 Prozent entspricht, die allein im vergangenen Jahr geschaffen wurden. Besonders hoch sind die die Zuwächse im Gesundheits- und Sozialwesen (+3,14 Prozent bzw. +4,4 Prozent) sowie der öffentlichen Verwaltung. Auf X erklärt der Bürgermeister stolz: „Wien zeigt, dass unsere Maßnahmen zur Förderung von sozialer Sicherheit und Arbeitsplätzen Wirkung zeigen.“

Doch wirklich stolz können näher besehen höchstens die Steuerzahler sein – höchstwahrscheinlich sind sie es nicht. Denn für den Wohlstand und damit die Lebensqualität sind die Beschäftigungszahlen alles andere als erfreulich.

Industrie: 75.000 Jobs (!) weniger seit 2023

Christoph Hofer, Redakteur bei Selektiv, bemerkt spitz: „Wie kann man so etwas feiern?“ Dabei verweist er auf eine besorgniserregende Grafik: Die Schere zwischen Beschäftigung im öffentlichen Sektor und der Industrie klafft immer weiter auseinander.

Laut einer neuen Analyse von Selektiv gingen von Anfang 2023 bis Anfang 2025 mehr als 75.000 Arbeitsplätze (!) im Industrie-Sektor verloren, während gleichzeitig über 70.000 neue Stellen im öffentlichen und sozialen Bereich geschaffen wurden. Der Trend ist klar: In der Vergangenheit gab es im dritten Quartal 2012 noch mehr Erwerbstätige im produzierenden Sektor als im öffentlichen Sektor. Heute, im ersten Quartal 2025, ist der öffentliche Sektor um etwa 300.000 Beschäftigte größer als die Industrie.

Weniger Produktivität, höhere Verwaltungskosten

Hofer räumt ein: Das Wachstum staatsnaher Arbeitsplätze könne bis zu einem gewissen Grad durch demografische Faktoren und die Ausweitung des öffentlichen Gesundheitssystems bedingt sein, doch das eigentliche Problem sei die zunehmende Kluft zwischen der öffentlichen Verwaltung und der Privatwirtschaft. „Die Menschen, die das öffentliche System finanzieren müssen, sehen sich immer stärker mit einem stagnierenden Produktivitätswachstum konfrontiert“, warnt der Wirtschaftsredakteur.

Tatsächlich ist das heimische Produktivitätswachstum in den vergangenen Jahren dramatisch zurückgegangen, wie eine weitere Grafik zeigt.

Eine Antwort auf die Frage, wie in dieser Misere der Wohlstand erhalten bleiben soll, bleibt Ludwig schuldig.

Einen Hinweis, wie Wien künftig seinen immer voluminöseren Verwaltungsapparat finanzieren will, dürfte die jüngste Entscheidung des Bürgermeisters geben: Die Jahreskarte für Öffis wird um mehr als 100 Euro teurer, Parkplätze ebenso.