Friedrich Merz will verhindern, dass jemals wieder russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland strömt. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Berlin erklärte der Kanzler am Mittwoch: „Wir werden alles tun, um sicherzustellen, dass Nord Stream 2 nicht wieder in Betrieb genommen werden kann.“

Die Pipeline war im September 2022 bei gezielten Unterwasser-Explosionen schwer beschädigt worden. Obwohl Nord Stream 2 nie offiziell in Betrieb ging, gibt es weiterhin politische und wirtschaftliche Überlegungen zu einer möglichen Reaktivierung – nicht nur in Russland, sondern auch in Deutschland und den USA. Merz will dem allen nun einen Riegel vorschieben – mit Hilfe eines EU-weiten Verbots.

Bundeskanzler Merz (r.) empfängt den ukrainischen Präsidenten Selenskyj in Berlin. Bei der anschließenden Pressekonferenz forderte Merz ein EU-weites Verbot der Nord-Stream-Pipeline.APA/AFP/Tobias SCHWARZ

Merz setzt auf Brüssel – Pipeline soll endgültig verboten werden

Merz will nun, dass die Europäische Union aktiv wird: Ein generelles EU-weites Verbot soll eine Wiederinbetriebnahme rechtlich unmöglich machen. Dazu passt auch die Ankündigung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, wonach die nächste Sanktionsrunde gegen Russland auch Nord Stream 1 und 2 betreffen soll – der exxpress berichtete.

Eine Sprecherin der EU-Kommission erklärte dazu, Ziel sei es, „jedes Investoreninteresse an zukünftiger Aktivität rund um Nord Stream“ auszuschließen. Auch eine Reparatur der beschädigten Röhren wäre damit de facto untersagt.

Betreiberfirma nicht insolvent – Investoren zeigen Interesse

Wie das Magazin Focus berichtet, hat das zuständige Gericht im schweizerischen Zug der Betreiberfirma von Nord Stream 2 kürzlich eine sogenannte Nachlass-Stundung gewährt. Das bedeutet: Die Firma ist weiterhin handlungsfähig, eine Insolvenz ist abgewendet – die Betriebsgenehmigung bleibt bestehen.

Laut Financial Times sollen bereits amerikanische Investoren Interesse an einer Wiederbelebung der Pipeline signalisiert haben. Auch Matthias Warnig, ein enger Vertrauter Wladimir Putins, soll entsprechende Gespräche geführt haben – mit Unterstützung aus den USA.

Die Hoffnung: Wenn der Krieg endet, könnten Investoren, Gazprom und auch deutsche Gläubiger wie der teilstaatliche Konzern Uniper von einer Wiederinbetriebnahme profitieren.

„Nord Stream darf nie wieder in Betrieb gehen“, unterstreicht Merz bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskyj.APA/AFP/Odd ANDERSEN

Politische Spannungen in Deutschland

Während Merz nun mit Brüssel einen Schluss-Strich ziehen will, wächst in Deutschland der Widerstand. In einer aktuellen Forsa-Umfrage sprechen sich 49 Prozent der Bürger in Mecklenburg-Vorpommern – dem Bundesland, in dem die Pipeline endet – für eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus.

Auch in der CDU und SPD regt sich Kritik: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nannte die Russland-Sanktionen bereits im März „völlig veraltet“. Dietmar Woidke (SPD), Regierungschef von Brandenburg, forderte eine wirtschaftliche Normalisierung nach einem Friedensabkommen. Der CDU-Abgeordnete Thomas Bareiß lobte die „Geschäftsmentalität unserer amerikanischen Freunde“ – und warnte vor einem deutschen Alleingang.

Die AfD fordert offen die Wiederinbetriebnahme der Pipeline, um die Energiepreise zu senken und die wirtschaftliche Lage zu stabilisieren.

Die politischen Motive dahinter

Merz verlagert die Entscheidung offenbar bewusst nach Brüssel – möglicherweise auch, um eine unpopuläre Debatte in Deutschland zu umgehen. Offiziell heißt es, ein Verbot auf EU-Ebene sei „Teil der nächsten Sanktionsrunde“. Doch manche Beobachter sehen darin vor allem einen politischen Trick, um innerparteilichen und öffentlichen Druck zu umgehen.

Zugleich eröffnet ein formales EU-Verbot eine paradoxe Option: In künftigen Friedensverhandlungen könnte die Pipeline als Verhandlungsmasse dienen. Sollte Russland Zugeständnisse machen, könnte das Verbot theoretisch gelockert werden. Kritiker meinen daher: Merz schließt Nord Stream nicht ab – er macht sie zu einem Spielstein im geopolitischen Machtpoker.