Dafür nutzte er nach Recherchen der Welt am Sonntag die Dienste der Abmahnfirma „So Done“, die im Auftrag von Politikern systematisch das Internet nach Beschimpfungen durchforstet. Der Preis: 50 Prozent aller eingetriebenen Schadensersatzzahlungen.

Das Geschäftsmodell steht in auffälligem Widerspruch zu Merz’ eigener Darstellung. Er hatte wiederholt betont, „Schadensersatzzahlungen und Geldstrafen“ stets in voller Höhe für soziale Zwecke in seinem Heimatlandkreis zu spenden.

Hausdurchsuchungen wegen Beschimpfungen – Anwalt spricht von „Willkür“

Auf mehrere der Anträge folgten Hausdurchsuchungen, wie Welt berichtet. In einem Fall wurde einer behinderten Sozialleistungsempfängerin mit jüdischen Wurzeln das Handy beschlagnahmt, nachdem sie Merz als „kleinen Nazi“ bezeichnet hatte – obwohl sie die Äußerung sofort gestanden hatte. In einem anderen Fall („drecks Suffkopf“) erklärte ein Gericht die Durchsuchung nachträglich für rechtswidrig. Der Anwalt des Betroffenen sprach von „rechtsstaatswidriger Willkür“ angesichts der „Überreaktion der Justiz“.

Selbst Tweets mit Fäkalsprache wie „Arschlöcher sind Menschen, deren verbaler Output nicht von ihrem analen Output zu unterscheiden ist. #Merz #Merzbohren“ wertete die Berliner Staatsanwaltschaft als strafbewehrt und politischen Extremismus.

Eine Praxis mit „Formen der Selbstzensur“

Der massive Einsatz privater Abmahnfirmen durch Politiker wie Friedrich Merz, Robert Habeck oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann steht im größeren Kontext eines seit 2019 stark ausgebauten Systems staatlicher und halbstaatlicher Meldestellen gegen „Hass und Hetze“. Allein die hessische Einrichtung „Hessen gegen Hetze“ leitete in den ersten zehn Monaten 2025 fast 17.000 Fälle an Polizei und Staatsanwaltschaften weiter – oft, ohne dass die betroffenen Politiker selbst aktiv werden mussten. Jüngst sorgte der Fall des Medienwissenschaftlers Norbert Bolz für Schlagzeilen, bei dem es zu einer Hausdurchsuchung wegen eines Tweets kam.

Strafrechtsprofessorin Frauke Rostalski warnt vor diesem Hintergrund vor den Folgen: „Es kommt vermehrt zu unverhältnismäßigen Reaktionen auf Meinungskundgaben, die entweder rechtmäßig sind oder allenfalls im unteren Bereich der unerlaubten Verhaltensweisen liegen und deshalb nicht staatlich verfolgt werden sollten.“ Die Praxis führe zu „Formen der Selbstzensur“, was insgesamt eine „große Gefahr“ darstelle.

Trotz Tausender Ermittlungsverfahren bleiben Verurteilungen die Ausnahme. Bei den Merz-Anträgen, so ein befragter Anwalt, der rund 30 Verfahren betreut, wurde bislang nur ein einziges mit einem Strafbefehl abgeschlossen, zehn weitere wurden eingestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt klargestellt, dass Politiker wegen des Machtgefälles zu Bürgern „grundsätzlich in Sachen Schutz der Ehre mehr ertragen“ müssten, so Rostalski. Der 2020 verschärfte Sonderparagraph § 188 StGB (Politikerbeleidigung) widerspreche diesem Grundsatz.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf unserem Partner-Portal NiUS erschienen.