Seit Tagen rätseln viele über den wahren Grund für die Vorverlegung der Wiener Wahlen. Denn die offizielle Begründung von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ergibt für die meisten keinen Sinn. Warum die Wiener Stadtregierung nach der Wien-Wahl besser gegen einen Bundeskanzler Herbert Kickl „gewappnet“ sein will als vor der Wahl, ist nicht nachvollziehbar. Es ist auch nicht einzusehen, warum der Wahlkampf vor dem Wahltermin am 27. April kürzer sein soll als vor einem Wahltag im September.

Des Rätsels Lösung könnte eine in den sozialen Medien zurzeit kursierende Liste mit den nächsten Sitzungsterminen des Wiener Landtags und Gemeinderats sein. Aus ihr geht hervor: Ludwig kommt mit dem Vorziehen der Wahl kommt dem Rechnungsabschluss im Juni zuvor.

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Wählen bevor wir das Finanzloch kennen

Ein X-User ist überzeugt: „Die Wien-Wahl wird vorgeschoben, damit man vor dem Bekanntwerden des Finanzlochs wählt.“ Er rechnet vor: „12,8% Arbeitslosenrate; 8,5% Mindestsicherungs- oder Sozialhilfeempfänger; 11 Milliarden Euro Schulden; Schon 3,8 Milliarden Euro Defizit statt wie vorher angenommen 2,2 Milliarden Euro“.

So sieht es auch Gerald Markel, der regelmäßig bei exxpressTV zu Gast ist: „Der Grund für die vorgezogene Wahl in Wien? Ganz einfach: Wien steht vor der Pleite“. Nun brauche die Stadt dringend „frisches Geld – weil Sparen am Staat liegt nicht in der DNA der Sozis. Also wird schon im April gewählt und dann kommt der Gebührenhammer.“

Diese Ansicht wird auch von dem NEOS-nahen X-User Maverick geteilt: Angesichts der horrenden Schulden sei „eine Diät ratsam! Aber die Patienten Bürgermeister Ludwig und Christoph Wiederkehr sträuben sich noch weinerlich gegen die notwendige Diät, die unausweichlich ist“.

Explodierendes Defizit sorgt bereits für Kritik

Tatsächlich explodiert derzeit das Wiener Defizit. Eine Woche vor der Ankündigung von Neuwahlen verlangte die Wiener ÖVP einen Bericht über die Finanzlage der Stadt für die Sitzung des Finanzausschusses. Der Grund: Wiens Defizit könnte in diesem Jahr auf 3,8 Milliarden steigen, budgetiert sind aber nur 2,2 Milliarden.

Manfred Juraczka (Bild, ÖVP) sieht ein strukturelles Problem in Wien.APA/ROLAND SCHLAGER

Deshalb hagelte es heftige Angriffe der Volkspartei auf Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ). „Die stetigen Ausreden in Zusammenhang mit dem Ausbleiben von Ertragsanteilen vor allem auch angesichts der Abschaffung der Kalten Progression sind definitiv zu wenig. Vielmehr ist dies ein strukturelles Wiener Problem“, erklärte ÖVP-Finanzsprecher Manfred Juraczka in der „Presse“. Wichtig sei nun eine Reform der Mindestsicherung und der Verwaltung. Zudem sollten die „zahlreichen Förderungen“ durchforstet werden.

Wiens Haushaltsdefizit größer als das aller anderen Bundesländer zusammen

Hanke gab der Bundes-ÖVP die Schuld, die Steuererlassungen umgesetzt habe, ohne sich um eine geeignete Gegenfinanzierung zu kümmern. Wegen der ökosozialen Steuerreform und der Abschaffung der Kalten Progression stünden den Ländern 880 Millionen Euro weniger zur Verfügung.

Finanzstadtrat Peter Hanke (Bild, SPÖ) geriet wegen des Mega-Defizits bereits in die Kritik.APA/APA/HANS KLAUS TECHT

Das ändert aber nichts daran, dass Wiens bisheriges Haushaltsdefizit „mit 1,1 Milliarden größer ist als das aller anderen Bundesländer zusammen“, wie der ehemalige „Presse“-Chefredakteur Andreas Unterberger in seinem Blog krisierte – der exxpress berichtete. Die übrigen Bundesländer „hatten 2023, im letzten vollständig abgerechneten Jahr, zusammen nur 0,6 Milliarden Defizit gemacht. Wien macht pro Einwohner auch weit mehr Defizit als der Defizit-Schnitt aller anderen Bundesländer und Gemeinden zusammengerechnet ausmacht.“ Hinzu käme, „dass der Bund über die Gehälter der Bundesbeamten, über die zahlreichen teuren Kultureinrichtungen und über U-Bahn-Beihilfen auch noch aus seinem Budget im Verhältnis weit mehr Geld nach Wien fließen lässt als in die anderen Länder.“

Das Sparpaket von Kickl und Stocker betrifft auch Wien

Eine brisante Grafik veröffentlichte kürzlich überdies der Blog diesubstanz mit der Neuverschuldung der Länder.

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Brisant ist für Wien überdies die bevorstehende Budgetkonsolidierung. Auch darauf machte diesubstanz aufmerksam: Herbert Kickl (FPÖ), Christian Stocker (ÖVP) und Finanzminister Gunter Mayr sprachen bei ihrem Sparplan von 6,4 Milliarden Euro ja nicht nur für den Bund. „Das geht seltsamerweise unter, hat jedoch Folgen.“ Das Sparpaket betrifft „auch Sozialversicherungen sowie Länder und Gemeinden.“ Bei der Schuldenlast geht es nämlich um „den Gesamtstaat“, und „die Länder werden ebenfalls eine beträchtliche Neuverschuldung zusammenbringen.“

Man darf gespannt sein, ob Kickl und Stocker auch die Länder und Gemeinden in die Pflicht nehmen werden. Das wäre ein weiterer Grund für Wien, es mit dem Wahltermin so eilig wie möglich zu haben.