Er sei “teilschuldig”, hat am Dienstag am Wiener Landesgericht ein 33-jähriger Tschetschene eingeräumt, der laut Anklage Spenden im oberen zweistelligen Millionen-Euro-Bereich für Zwecke der radikalen Terror-Miliz “Islamischer Staat” (IS) gesammelt haben soll. Mit dem Geld wurden der Anklageschrift zufolge in Syrien und im Irak tätige bzw. inhaftierte Kämpfer sowie deren Angehörige unterstützt bzw. internierte IS-Anhängerinnen freigekauft.

Yusup M., der sich seit 2015 in Österreich aufhält und bis zu seiner Festnahme am 25. Juli 2024 eigenen Angaben zufolge als Lieferant gearbeitet hatte, soll sich seit 2018 zunächst als Einzelperson als eifriger Spenden-Sammler für den IS betätigt haben. 2022 schloss er sich dann einer Gruppierung namens “Jamaat” an, der neben ihm tschetschenischstämmige Männer in Belgien, Deutschland und der Türkei angehörten. Unter dem Pseudonym Abu Ashab soll der 33-Jährige in führender Funktion mit zuletzt hochprofessionellen Online-Auftritten “horrende Summen” zusammengetragen haben, heißt es wörtlich in der Anklageschrift.

Angeklagter der Finanzchef der IS-Spendensammelstelle

Es gab mehrere Spendenkanäle, wobei laut Anklage über einen einzigen insgesamt 73,5 Mio. US-Dollar (62,77 Mio. Euro) in die Kassa gespült wurden. Über einen zweiten seien mehrere 100.000 US-Dollar zusammengekommen. Der Angeklagte selbst habe allein weitere zwei bis drei Millionen überwiesen, meinte der Staatsanwalt eingangs der Verhandlung. Er bezeichnete den Angeklagten als Finanzchef der Gruppierung, deren System “perfekt funktioniert hat, wie man leider sagen muss. Wir haben hier immense Dimensionen, die man sonst europaweit nicht findet.”

Er habe 300.000 bis 400.000 US-Dollar überwiesen, “das ist korrekt nach meinen Berechnungen”, meinte der Angeklagte zum Umfang der Spenden-Transfers. Was “die anderen” ausgegeben hätten “für andere Projekte, das kann ich nicht sagen. Die in der Anklage genannten 73,5 Millionen US-Dollar würden “gänzlich nicht stimmen. Um so viel Geld kann man das ganze Lager freikaufen”. Womöglich läge den Berechnungen der Anklagebehörde “ein technischer Fehler” zugrunde, vermutete Yusup M.

Auf Vorhalt eines Chats, in dem er damit geprahlt hatte, ganz alleine drei bis vier Millionen aufgebracht zu haben, meinte der 33-Jährige, er habe “übertrieben” und sich als “Superhelfer” ausgeben wollen: “Ich habe den Bogen überspannt. So viel war es nicht.”

„Ganz, ganz hohe Gefahr für Europa"

“Wir reden von einer ganz, ganz hohen Gefahr für Europa”, betonte der Staatsanwalt eindringlich. Die Länder übergreifend agierende Gruppierung habe “gezielte IS-Unterstützung” betrieben und etwa um zehntausende Euro Waffen für so genannte Foreign Fighters – in Syrien kämpfende Tschetschenen – finanziert. Im “Nahebereich” von “Jamaat” habe man außerdem “Sprengstoffe gefunden”, führte der Staatsanwalt weiters aus. Eines der Mitglieder habe Bestandteile von Triacetontriperoxid (TATP) kaufen wollen – der vergleichsweise leicht herstellbare, hoch explosive Sprengstoff wurde zuletzt wiederholt für terroristisch motivierte Sprengstoffanschläge verwendet.

Darauf angesprochen, bemerkte der Angeklagte, er habe mit TATP nie etwas zu tun gehabt. Das andere “Jamaat”-Mitglied, das sich angeblich dafür interessiert habe, “hat ein Geschäft für islamische Waren. Vielleicht hatte das damit etwas zu tun. Wasserstoffperoxid wird auch für medizinische Zwecke verwendet”.

„Wir waren ein Wohltätigkeitsfond"

Der Angeklagte stellte in Abrede, sich innerhalb der IS-Spendensammelstelle führend betätigt zu haben und betonte die angeblich humanitäre Ausrichtung der Gruppierung: “Wir waren ein Wohltätigkeitsfonds.” Und weiter: “Wir haben uns konzentriert auf Witwen und Waisen.” Ursprünglich sei es um in Lagern in Syrien und im Irak internierte Frauen von IS-Kämpfern und deren Kinder gegangen: “Aber die anderen haben dann andere Ideen gehabt.” Er habe innerhalb der Gruppe Abstimmungen, mit denen die Unterstützung von IS-Kämpfern befürwortet wurde, mitgetragen: “Ich habe mitmachen müssen. Ich war vor kurzem beigetreten, ich wusste nicht, was zu tun ist.” Es habe aber “nicht so viele Fälle gegeben”

Sehr stark eingesetzt haben soll sich Yusup M. etwa für den in Syrien kämpfenden Magomed I. alias Abu Ali, der es bis zum IS-Kommandanten brachte. Er wurde für derart gefährlich gehalten, dass sogar amerikanische und britische Spezialkräfte aktiv nach ihm fahndeten und dabei Drohnen einsetzten. Auf Hinweise zu seiner Ergreifung war sogar ein Kopfgeld ausgelobt worden. “Im Sommer 2024 wurde er wahrscheinlich liquidiert”, führte der Staatsanwalt zu Abu Ali aus.

60.000 US-Dollar für tschetschenischen IS-Kommandanten

Yusup M. sei mit Abu Ali “supervernetzt” und “bestens vertraut” gewesen, hielt der Staatsanwalt fest: “Das zementiert die hohe Stellung des Angeklagten.” Der 33-Jährige habe Abu Ali für den Fall dessen Ablebens die finanzielle Versorgung seiner Familie zugesichert und ihm noch im Vorjahr 2024 finanzielle Mittel in Höhe von insgesamt zumindest 60.000 US-Dollar (51.300) Euro zur Verfügung gestellt.

“Er hat mich angeschrieben und gemeint, seine Familie ist in der Türkei und benötigt Hilfe für die Wohnung”, meinte der Angeklagte dazu. Abu Ali sei “der einzige Tschetschene vor Ort” (gemeint: in Syrien, Anm.) gewesen: “Er war ein einfacher Kämpfer des IS. Er hat geahnt, dass er bald ums Leben kommen wird und er hat mich gebeten, dass ich ihm helfe.”

„Schick ihnen Moneten für circa 3 Gewehre/Waffen

Auch weiteren IS-Kämpfern tschetschenischer Abstammung griff der 33-Jährige laut Anklage unter die Arme. “Schick ihnen Moneten für circa 3 Gewehre/Waffen”, lautete etwa eine knappe Anweisung des 33-Jährigen. Ein Gesprächspartner hatte zuvor per Chat schwadroniert, bald würden “schwarze Fahnen (gemeint: jene des IS, Anm.) über Istanbul wehen”.

“Ursprünglich wollte er Geld für Essen haben”, meinte der Angeklagte, als ihm besagter Chat vorgelegt wurde. Es habe sich um ein “Missverständnis” gehandelt.

7.000 US-Dollar für Freikauf von junger Wienerin

Eines der von “Jamaat” betriebenen so genannten Projekte war der Freikauf einer jungen Wienerin, die 2014 als 19-Jährige über Istanbul nach Syrien gereist war, sich dort dem IS angeschlossen hatte und nach der militärischen Niederlage des IS im Lager al-Haul (al-Hol) interniert war. Um sie im Sommer 2022 freizukaufen, wurden 7.000 US-Dollar (5.985 Euro) aufgebracht.

Verteidiger Florian Kreiner unterstrich mehrfach, dem Angeklagten sei es um humanitäre Hilfe für in den syrisch-kurdischen IS-Gefangenencamps al-Haul und Roj inhaftierte Frauen und deren Kinder gegangen. In den Zeltstädten hätten “katastrophale Zustände” und “grässliche Bedingungen” geherrscht. “Er wollte die bestenfalls freikaufen und, wo das nicht möglich war, unterstützen”, sagte Kreiner. Das gesammelte Geld sei für den Ankauf von Schafen und Medikamenten zur Versorgung der Häftlinge sowie zu deren medizinischer Behandlung verwendet worden.

Dabei habe sich sein Mandant “nicht entsprechend gegenüber der Zielsetzung des IS abgegrenzt”, räumte Kreiner ein. Insofern habe er sich der terroristischen Vereinigung und der kriminellen Organisation schuldig gemacht. Yusup M. sei aber “kein Anführer, kein Entscheidungsträger” gewesen: “Er hat Anweisungen erhalten. Er hat Bitten aus Lagern bekommen, was benötigt wird. Er hat diese Bitten weitergeleitet und bei der Finanzierung mitgemacht.” Dass dabei indirekt IS-Zwecke unterstützt wurden, sei wohl eine logische Folge gewesen, “aber ideologisch gesehen ist er weit davon entfernt”, betonte Kreiner.

Zahlungsflüsse wurden zuletzt über Krypto-Wallets abgewickelt.GETTYIMAGES/Bitcoin

Zahlungen über Krypto-Wallets abgewickelt

Der Staatsanwalt sah das anders. Der 33-Jährige übte aus seiner Sicht weitreichende Anordnungsbefugnisse gegenüber den anderen “Jamaat”-Mitgliedern aus und war alleinverantwortlich für die Finanzverwaltung sowie die Gebarung der Gemeinschaftskasse zuständig. Hatte sich die Gruppierung auf ein konkretes Projekt geeinigt – etwa den Freikauf eines inhaftierten IS-Kämpfers -, wurde die dafür benötigte Summe anfangs noch regelmäßig mittels Bargeld-Transports über die Türkei nach Syrien oder in den Irak geschafft. Später bediente man sich Krypto-Währungen und wickelte die Zahlungsflüsse über Krypto-Wallets ab.

Die Verhandlung fand unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt. Zahlreiche vermummte und schwer bewaffnete Kräfte der Einsatzgruppe Justizwache sowie Polizeibeamte waren im und vor allem vor dem Saal postiert. Im Saal selbst galt ein absolutes Fotografier-und Filmverbot, auf das seitens der vorsitzenden Richterin ausdrücklich hingewiesen wurde: “Sollte ich bei Leuten ein Handy wahrnehmen, ist es schnell weg.” Im Fall eines anklagekonformen Schuldspruchs droht Yusup M. eine Freiheitsstrafe zwischen fünf und 15 Jahren.