Neue US-Raketen für Kiew: große Sprengkraft, weite Reichweite – hohes Risiko?
Washington hat den Weg für 3.350 neue Langstreckenraketen für die Ukraine freigemacht – ein Paket im Wert von rund 825 Millionen Dollar, das vor allem Europa finanziert. Die Raketen treffen weit hinter der Front. Doch je größer die Reichweite, desto höher das Eskalationsrisiko.
Ein F-16-Kampfflugzeug: Von ihm sollen künftig ERAM-Flugkörper eingesetzt werden können.APA/AFP/JACK GUEZ
Das US-Außenministerium hat den verkaufsrechtlichen Rahmen für 3.350 ERAM-Raketen samt Navigations-/Störschutzpaketen, Ersatzteilen, Schulung und Software gebilligt. Es ist eine Kongressmitteilung, kein unterschriebener Endvertrag – politisch aber ein klares Signal.
Bezahlt wird überwiegend über das europäische „Jump Start“-Programm (Dänemark, Niederlande, Norwegen) und ergänzende US-Mittel. Als Hauptauftragnehmer nennt das Pentagon Zone 5 Technologies und CoAspire.
Was die Rakete kann – und wo die Grenzen liegen
ERAM wird von Kampfflugzeugen aus eingesetzt (u. a. F-16, Mirage 2000, auch ukrainische MiG-29/Su-25/Su-27). Sie soll mehrere hundert Kilometer weit kommen und trägt einen schweren Sprengkopf. Wichtig: Ziele werden mit den USA abgestimmt; für Schläge tief nach Russland gelten besonders strenge Hürden. Das ist keine Freifahrtschein-Waffe, sondern ein koordiniertes System – mit klaren politischen Leitplanken.
Warum der Zeitpunkt brisant ist
Nach den bisher ergebnislosen Trump-Putin-Gesprächen in Alaska (15. August) und neuerlichen russischen Großangriffen zeigt Washington einerseits Härte, andererseits bremst es unkontrollierte Eskalation. Das Weiße Haus ließ wissen, Trump sei „nicht glücklich“ über die jüngsten russischen Angriffe; zugleich laufen Folgetermine mit der Ukraine in New York. Parallel lobte NATO-Chef Mark Rutte öffentlich das neue Beschaffungsmodell: Europa zahlt, die USA liefern aus Beständen – schneller Nachschub, ohne US-Bodentruppen.
Brennpunkt Schwarzes Meer/Donau – Nähe zur NATO
Der Krieg rückt gefährlich nah an NATO-Gebiet: Eine russische Seedrohne traf das ukrainische Aufklärungsschiff „Simferopol“ nahe der Donaumündung (an der Grenze zu Rumänien). Gleichzeitig häufen sich westliche Aufklärungsflüge über dem Schwarzen Meer; eine US-P-8A wurde jüngst von einem russischen Jet abgefangen – mit seltenem High-End-Sensor unter dem Rumpf. Solche Lagen erhöhen die Gefahr von Fehlkalkulationen – ein weiterer Grund, warum Washington Ziele eng mitprüft.
Kiew rüstet auch selbst bei Langstrecke auf
Neben US-Systemen setzt die Ukraine auf eigene Mittelstrecken-/Langstreckenwaffen. Neu vorgestellt: der Marschflugkörper „Flamingo“ (FP-5) mit bis zu zirka 3.000 Kilometer Reichweite und rund einer Tonne Sprengkopf – Angaben, die internationale Fachmedien aufgriffen. Details zu Herkunft und Stückzahlen sind umstritten, der Trend ist aber eindeutig: Schläge tief ins Hinterland werden zur zweiten Front des Krieges.
Droht eine Ausweitung des Krieges?
ERAM stärkt Kiews Fernwirkung, Europa finanziert, Washington steuert. Doch bei manchen Insidern steigt die Nervosität. Die Gefahr liegt weniger in „Bodentruppen morgen“, sondern in der Grauzone aus langer Reichweite, heikler Geografie und Minuten-Entscheidungen in der Luft und zur See. Darauf weist US-Sicherheitsexperte Stephen D. Bryen in seinem jüngsten Blog-Artikel hin.
Er sieht in ERAM, intensiver Zielaufklärung und den Vorfällen an der Donau Bausteine eines härteren westlichen Kurses. Bryen warnt vor einer Ausweitung des Krieges. Fakt ist: 3.350 ERAM plus europäische Finanzierung bedeuten einen realen Fähigkeitssprung für Kiew. Die Koordination mit Washington ist kein „Freischuss“, bedeutet aber mehr Reichweite und mehr Präzision für die Ukraine. Bryen gibt zu bedenken: Schwarzmeer und Donau samt dichter Aufklärung bedeuten höheres Risiko für Zwischenfälle am NATO-Rand.
Bryen ist stellvertretender Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium (Reagan-Ära), Gründer und erster Leiter der US-Behörde für Technologieschutz (DTSA), später Industrie-Manager und heute Kolumnist („Weapons and Strategy“). Er gilt in Washington als Waffenexport- und Rüstungsexperte
Kommentare