Neuer Kalter Krieg: Washington vs. EU – Streit um Meinungsfreiheit eskaliert
Ein digitaler Kalter Krieg ist eröffnet. Die EU-Strafe gegen Elon Musks Plattform X war der Startschuss – Trump schlägt zurück. Doch in Wahrheit hat sich Washington längst auf diese Konfrontation eingestellt. Die USA laufen Sturm gegen den Digital Services Act (DSA) der EU und werten ihn als Angriff auf die Meinungsfreiheit.
EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen im Gespräch mit US-Präsident Trump: Aus Meinungsverschiedenheit wird ein neuer Kalter Krieg um Redefreiheit.GETTYIMAGES/HUM Images/Universal Images Group
Der Streit zwischen den USA und der EU über Regeln für große Tech-Plattformen ist endgültig zur geopolitischen Frontlinie geworden. Was als juristische Auseinandersetzung über Werbetransparenz und blaue Häkchen begann, eskaliert jetzt zum Machtkampf um Meinungsfreiheit, Souveränität und globale Deutungshoheit.
Die neue Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) des Weißen Hauses gießt diesen Konflikt in offizielles Staatsdoktrin-Format – und macht klar: Für Washington ist Brüssel nicht mehr nur Regulator, sondern Gegner. Der „Krieg um die Meinungsfreiheit“ ist damit eröffnet – und zwar nicht nur rhetorisch, sondern strategisch.
Die Zündschnur: 120-Millionen-Strafe gegen X
Am 5. Dezember 2025 verhängte die EU-Kommission erstmals eine Strafe nach dem Digital Services Act (DSA): 120 Millionen Euro gegen Elon Musks Plattform X – der exxpress berichtete. Der Vorwurf: Das käufliche blaue Häkchen täusche Nutzer, Werbedaten seien intransparent, Forschern werde der Zugriff auf öffentliche Daten blockiert. X hat rund 90 Tage Zeit zur Korrektur – sonst drohen weitere laufende Strafzahlungen bis in die Milliardenregion.
In Washington löste die Entscheidung eine politische Explosion aus. Außenminister Marco Rubio sprach von einem „Angriff auf amerikanische Tech-Plattformen und das amerikanische Volk“. Vizepräsident Vance warf Brüssel „Zensur“ vor, Senator Ted Cruz forderte gar Sanktionen gegen die EU – eine Eskalationsstufe, die man sonst gegen erklärte Gegner einsetzt. Das Online-Portal Axios beschreibt diesen Moment als Beginn „offener Feindseligkeiten“.
Rumors swirling that the EU commission will fine X hundreds of millions of dollars for not engaging in censorship. The EU should be supporting free speech not attacking American companies over garbage.
— JD Vance (@JDVance) December 4, 2025
X kontert – und stellt Brüssel als Manipulator dar
X reagierte sofort mit einer symbolischen Gegenoffensive: Das Werbekonto der EU-Kommission wurde gesperrt. X-Manager Nikita Bier behauptete, Brüssel habe ein jahrelang inaktives Konto reaktiviert und mit einem getarnten Werbeformat Reichweite erzeugt.
Politisch ist das ein Affront: X stellt die EU öffentlich als Akteur dar, der selbst manipuliert – ein Bild, das in Washington perfekt in die Erzählung vom „Zensur-Komplex“ in Europa passt. Der Ton ist nicht nur schrill – er ist strategisch.
The EU should be abolished and sovereignty returned to individual countries, so that governments can better represent their people
— Elon Musk (@elonmusk) December 6, 2025
Trumps neue Doktrin: Meinungsfreiheit als Außenpolitik
Dass Washington so hart reagiert, ist kein Impuls – es ist Programm. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) der USA erklärt „Redefreiheit“ zum Kern nationaler Sicherheit. Schon in den Leitprinzipien heißt es, die USA würden jede „Zensur unseres Diskurses“ durch transnationale Organisationen abwehren.
Noch deutlicher wird es im Kapitel über Grundrechte: Meinungs-, Religions- und Gewissensfreiheit gelten als unantastbar – und Washington kündigt an, bei Verbündeten „elitengesteuerte, antidemokratische Einschränkungen zentraler Freiheiten“ zu bekämpfen.
Der schärfste Satz ist ein direkter Angriff auf Europa: Die NSS wirft der EU „Zensur der Meinungsfreiheit und Unterdrückung politischer Opposition“ vor. Brüssel wird nicht mehr kritisiert, sondern strategisch neu verortet – als geopolitischer Gegenspieler.
Der Streit brodelte lange: US-Kongress gegen den DSA
Näher besehen war die Strafe gegen X nur der Funke. Der Konflikt ist seit Monaten vorbereitet. Bereits am 25. Juli 2025 veröffentlichte der Justizausschuss des US-Repräsentantenhauses einen Bericht mit dem Titel „Die Bedrohung durch ausländische Zensur“ („The Foreign Censorship Threat“). Darin wird die EU-Verordnung DSA als Instrument dargestellt, das globale Plattformen – auch in den USA – zur Zensur politischer Debatten zwinge. Der DSA wird als „ausländische Zensurbedrohung“ gelabelt – also als Angriff auf den berühmten First Amendment – Ersten Verfassungszusatz“ zur Meinungsfreiheit – und Amerikas Tech-Souveränität.
Bei einer Anhörung am 3. September 2025 legten Kongress-Zeugen nach: Die EU exportiere ihre Regeln „extraterritorial“ und dränge US-Plattformen durch Strafandrohungen zur vorauseilenden Löschung legaler Inhalte. Der politische Rahmen war damit längst gesetzt – Trump macht ihn nun zur Staatsdoktrin.
GRANITE Act: Amerikas juristische Gegenoffensive
Parallel formiert Washington eine legislative Waffe: den GRANITE Act – der exxpress berichtete. Der Entwurf soll US-Bürgern und Unternehmen ermöglichen, ausländische Behörden oder Staaten zu klagen, wenn diese Inhalte sanktionieren oder unter Druck setzen wollen, die in den USA durch den Ersten Verfassungszusatz geschützt sind.
Der Vorstoß liegt bislang als Bundesstaaten-Initiative auf dem Tisch: In Wyoming wurde ein entsprechender Gesetzesentwurf eingebracht, in New Hampshire liegt eine Vorlage vor – und in Washington wird er als Modell für eine mögliche Bundesregelung diskutiert.
Die Zielrichtung ist klar: EU-Behörden sollen in den USA ein rechtliches Risiko tragen, wenn sie DSA-Forderungen gegenüber US-Plattformen durchsetzen wollen. Trumps Free-Speech-Außenpolitik bekommt damit ein scharfes juristisches Instrument – ein Warnsignal an Brüssel, dass der Konflikt jetzt auch vor US-Gerichten ausgetragen werden könnte.
Brüssel vs. Washington: zwei feindliche Modelle?
Die EU will globale Plattformen regulieren. Washington interpretiert das als Versuch, amerikanische Debattenmacht einzuhegen. Hier prallen zwei Modelle frontal aufeinander: technokratische Regulierung versus verfassungsrechtlicher Freiheitsanspruch.
Die Folge: Brüssel ist für die Trump-Regierung kein Partner mehr, sondern ein Akteur, der die Meinungsfreiheit bedroht. Die Auseinandersetzung ist damit nicht länger technisch oder wirtschaftlich – sie ist ideologisch und geopolitisch.
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