NGOs warnen vor Spionage-Gesetz – Brief an alle Abgeordneten
Mehr als 40 NGOs warnen: Das Gesetz zur Gefährder-Überwachung greift tief in Grundrechte ein – ohne unabhängige Kontrolle. Kritiker sprechen von einem gefährlichen Präzedenzfall für demokratische Systeme.
Mit einem offenen Brief an alle Nationalratsabgeordneten wollen einige österreichische und internationale NGOs die “Gefährder-Überwachung” verhindern. Das Gesetz soll beim Nationalratskehraus von Mittwoch bis Freitag beschlossen werden. Die über 40 Unterzeichner – neben Datenschutz-Organisationen wie epicenter.works auch Greenpeace und die Katholische Aktion – appellieren, gegen das Gesetz zu stimmen. Es sei ein “historischer Rückschritt für die allgemeine Sicherheit”.
Kritisiert wird in dem Schreiben insbesondere die fehlende unabhängige Kontrolle, da sich nach dem aktuellen Entwurf das Innenministerium “selbst kontrollieren” würde. Zudem sei eine gezielte Überwachung von Messenger-Diensten technisch nicht möglich, ohne das gesamte Gerät anzugreifen. Dadurch “wird der Staat selbst zum Hacker, Sicherheitslücken blieben absichtlich offen – mit Folgen für alle Nutzer:innen, von kritischen Infrastrukturen bis hin zu Privathaushalten.” In anderen Ländern habe das bereits zur Folge gehabt, dass Krankenhäuser, Züge und Mobilfunknetze lahmgelegt wurden.
Diese Woche wird die Messenger-Überwachung aka Gefährder-Überwachung im Parlament beschlossen. Alle diese erfundenen Bezeichnungen versuchen den Inhalt zu verweichlichen.
— Alexander Weyrosta (@a_weyrosta) July 7, 2025
Beschlossen wird der staatliche Einsatz von Überwachungssoftware ohne Wissen der betroffenen Person.
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Überwachung mancherorts bereits Realität
Besonders bedroht seien zudem Journalisten, Aktivistinnen, Wissenschafterinnen und oppositionelle Kräfte. In Spanien überwachte der Geheimdienst etwa mithilfe der Spionagesoftware “Pegasus” die Mobiltelefone von katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern, Journalistinnen, Aktivisten und sogar Regierungsmitgliedern. In Griechenland wurden im sogenannten “Predatorgate”-Skandal Politiker und Journalisten systematisch überwacht. In Polen kam “Pegasus” gegen fast 600 Personen zum Einsatz, darunter Oppositionelle und Juristen. “Diese Vorfälle stehen exemplarisch dafür, wie schnell der Einsatz solcher Überwachungstechnologien demokratische Strukturen untergräbt”, heißt es in dem Brief.
Fließender Übergang zwischen Prävention und Überwachung
Im Interview mit exxpress warnte KI-Expertin Branka Panic mit Blick auf aktuelle Gesetzesinitiativen davor, Überwachung als Allheilmittel zu begreifen. Zwar könnten Frühwarnsysteme helfen, gesellschaftliche Eskalationen frühzeitig zu erkennen – doch Menschen im Vorfeld als Gefährder einzustufen, berge erhebliche Risiken. Falsche Verdächtigungen, ethische Dilemmata und mangelnde Transparenz könnten Vertrauen zerstören und gesellschaftliche Spaltung verschärfen. Aus ihrer Sicht braucht es unabhängige Prüfstellen außerhalb staatlicher Kontrolle, um Missbrauch zu verhindern – denn der Übergang von Prävention zu Überwachung sei fließend. Panic betonte, dass KI nie zur Grundlage für individuelle Verdachtsmomente werden dürfe und sprach sich klar gegen Systeme aus, die Einzelpersonen algorithmisch bewerten.
🔴Die Regierung hat sich auf einen Entwurf zur Handy-Überwachung geeinigt. Offiziell gegen "Gefährder". Doch wenn es solche Gesetze und Software gibt, werden immer mehr Menschen überwacht. Wer das gut findet: Hier den Browserverlauf, alle Chats und alle persönlichen Daten posten.
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) June 18, 2025
Abstimmungsverhalten unklar
Die Messenger-Überwachung schaffte es als Forderung der ÖVP ins Regierungsprogramm. Nach koalitionären Unstimmigkeiten ob der Verfassungstauglichkeit – insbesondere die NEOS hegten Zweifel – einigte man sich letztlich doch auf einen Gesetzesentwurf. Noch offen ist, ob die Regierungsparteien diesen im Nationalrat geschlossen abnicken – kündigten doch die NEOS-Mandatare Stephanie Krisper und Nikolaus Scherak an, dagegen votieren zu wollen. Mit dem Brief, unterzeichnet von Organisationen u. a. aus der Türkei, den USA und der Ukraine, erhoffen sich die NGOs, weitere der 183 Abgeordneten für ihre Sache zu gewinnen.
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