Orbán beugt sich Brüssels Migrationspolitik nicht: „Die Rebellion hat begonnen“
Die sogenannten Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, die Slowakei und die Tschechische Republik stemmen sich gegen den Asyl- und Migrationspakt der EU. Sie wollen keine Einwanderer aufnehmen und auch nicht für sie zahlen.
Es war wie so oft der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der die deutlichsten Worte fand. Auf der Plattform X schrieb er: „Mit der heutigen Entscheidung versucht Brüssel, Ungarn zu zwingen, noch mehr zu zahlen oder Migranten aufzunehmen. Das ist inakzeptabel. Ungarn gibt bereits genug aus, um die Außengrenzen der Union zu schützen. Wir nehmen keinen einzigen Migranten auf und bezahlen auch nicht für die Migranten anderer Länder. Ungarn wird die Maßnahmen des Migrationspakts nicht umsetzen. Der Aufstand beginnt!“
With today's decision, Brussels is attempting to force Hungary to pay even more or take migrants in. This is unacceptable. Hungary already spends enough to protect the Union's external border.
— Orbán Viktor (@PM_ViktorOrban) December 8, 2025
We will not take a single migrant in, and we will not pay for others' migrants.…
Orbán liegt immer wieder mit Brüssel über Kreuz. So spricht er sich im russisch-ukrainischen Konflikt im Sinne Donald Trumps deutlich für eine Friedenslösung aus. Aus seiner Sicht riskiert die EU eine Fortführung und Ausweitung des Blutvergießens, auf Europa, er selbst hingegen bietet sich als Vermittler an. Auch geplante Sanktionen gegen die Einfuhr russischer Energieträger ab 2027 will der Premier nicht hinnehmen (und schaffte es, dass Trump Ungarn von Sanktionen ausnahm). Die wirtschaftlichen Folgen für sein Land wären verheerend. Ohne russisches Gas würden die Energiekosten der Privathaushalte Schätzungen zufolge um das Drei- bis Dreieinhalbfache steigen, die Drohungen der EU gingen zu weit: „Die Europäische Union hat den Weg der Rechtsstaatlichkeit verlassen, begeht Rechtsverstöße und missbraucht ihre Macht“, sagte Orbán.
Orbán wagt die Konfrontation
Auch Korruptionsfälle in der Ukraine, die Brüssel lieber nicht thematisiert, spricht Orbán an. Die Europäische Kommission und auch das Parlament seien zudem selbst von Korruptionsfällen betroffen (zuletzt wurde bekannt, dass jetzt gegen die frühere EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und zwei weitere Angeklagte ein Strafverfahren wegen Korruption läuft): „Was in der Ukraine passiert, passiert auch in Brüssel. In solchen Fällen wäscht man sich gegenseitig die Hände in Unschuld.“
Vor allem versucht die EU Orbán bei jeder Gelegenheit dafür zu bestrafen, dass er sich der Migrationspolitik verweigert. Ungarn will keine illegale Einwanderung dulden. Immer wieder hat der Regierungschef betont, man wolle im Land keine Zustände erleben, wie sie europäischen Städten herrschten, die von Migration aus islamischen Ländern geprägt sind. Mit dieser klaren Einstellung macht Orbán auch Wahlkampf. In Ungarn wird im April 2026 gewählt, und der Premier warnt davor, dass eine Regierung am Gängelband Brüssels Ungarn problematische Verhältnisse beschert, wie sie etwa London, Paris oder Berlin betreffen.
Der Migrationspakt stelle auch deswegen einen „absurden und ungerechten Angriff“ auf sein Land dar, weil Ungarn die „stabilste Verteidigungsbastion“ Europas sei und mit seinem Grenzzaun und Tausenden von Grenzbeamten zehntausende von Migranten daran gehindert habe, illegal einzureisen. Solange Ungarn eine nationale Regierung habe, werde es die empörende Entscheidung der EU nicht umsetzen.
Polen, Tschechien und die Slowakei springen Ungarn bei
Doch Orbán steht nicht allein: Auch Polen, die Slowakei und die Tschechische Republik haben erklärt, dass sie sich nicht an einem Quotensystem beteiligen werden und bereit sind, das Vorhaben der Kommission anzufechten. Dieses sieht vor, dass die EU-Staaten einen „Solidaritätspool“ bilden, der auf einem Vorschlag der Kommission beruht, der streng geheim ist und voraussichtlich nicht veröffentlicht wird.
Es geht darum, die Belastung der Länder mit Außengrenzen zu mindern, die als „unter Migrationsdruck“ stehend gelten. Unterstützung ist dabei möglich durch die Umsiedlung einer bestimmten Anzahl von Asylbewerbern in das eigene Hoheitsgebiet (was die meisten nicht wollen), durch die Zahlung von 20.000 Euro pro Person, die sie nicht aufnehmen, oder durch die Finanzierung operativer Unterstützung in den Außengrenzstaaten. Orban dazu: „Wir werden keine Migranten aufnehmen, und wir werden keinen einzigen Forint für sie bezahlen.“
In Polen wurde der Schritt von Premierminister Donald Tusk wenige Stunden nach dem Kommissionsvorschlag öffentlich gemacht. Ähnlich wie der Ungar schrieb er bei X: „Polen wird keine Migranten im Rahmen des Migrationspakts aufnehmen. Wir werden auch nicht dafür bezahlen.“ Auch der slowakische Ministerpräsident Robert Fico hatte schon vor fast einem Jahr erklärt, sein Land werde sich nicht an dem Programm beteiligen und auch nicht in den Solidaritätspool einzahlen. Fico schließt sich Orbáns Motto „Null Migranten“ an.
Greift der Europäische Rat ein?
Der designierte tschechische Regierungschef Andrej Babiš stellt noch sein Kabinett zusammen, hat aber bereits seine Ablehnung des Quotensystems unter Berufung auf „nationale Sicherheitsgründe“ angekündigt.
Nun gehören Polen und Tschechien zu den sechs Ländern, die als mit einer „erheblichen Migrationssituation“ konfrontiert gelten und eine Ausnahmeregelung für den Solidaritätspool beantragen können. In Brüssel rechnet man damit, dass sie diesen Schritt gehen. Ungarn und die Slowakei gelten als prinzipiell nicht berechtigt, eine Ausnahmeregelung zu beantragen, da sie nicht als Länder unter „schwerem“ Migrationsdruck betrachtet werden.
Jede Ausnahme muss jedoch von den EU-Ministern mit qualifizierter Mehrheit genehmigt werden. Heißt hier: 15 der 27 Mitgliedsstaaten, die mindestens 65 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung repräsentieren, müssen sie unterstützen. Der Anteil an den Umsiedlungen und dem finanziellen Beitrag wird dann aber nicht auf andere Staaten umgelegt, was zulasten der Außengrenzstaaten ginge. Es wird erwartet, dass in solchen Fällen der Europäische Rat interveniert. Dieser – das politische Leitorgan der EU, in dem sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten treffen – wird sich mit der Angelegenheit wohl auf dem letzten diesjährigen EU-Gipfeltreffen am 18. und 19. Dezember befassen.
Zerreißprobe für die EU
Es sieht jedenfalls danach aus, dass die Visegrád-Staaten (oder zumindest Ungarn und die Slowakei) den Migrationspakt, der am 12. Juni 2026 in Kraft treten soll, offiziell anfechten. Dazu könnten sie – innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe des Akts – eine Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einreichen. Das wäre der stärkste rechtliche Hebel. 2015 hatten Ungarn und Slowakei erfolgreich gegen Quoten zur Flüchtlingsverteilung geklagt, da der EuGH die Dringlichkeitsmaßnahme für nicht ausreichend begründet hielt.
Die V4-Staaten stehen allerdings vor dem Dilemma, dass der Pakt mit qualifizierter Mehrheit verabschiedet wurde und EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht hat. Wenn sie hart bleiben und darauf beharren, selbst zu entscheiden, mit wem sie leben wollen, könnte die Migrationsfrage für die Europäische Union zur Zerreißprobe werden.
Dieser Beitrag ist ursprünglich bei unserem Partner-Portal NIUS erschienen.
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