ORF.at rechtswidrig? EU-Kommission prüft seit Jahren!
Die „blaue Seite“ des ORF ist seit Jahren hoch umstritten, auch rechtlich. Der Verband Österreicher Zeitungen (VÖZ) hat im Zuge der Einführung des ORF-Beitrags bereits 2023 eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingebracht. Den aktuellen Verfahrensstand verrät VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger gegenüber dem exxpress.
ORF-Generaldirektor Roland Weißmann (Bild) will orf.at nicht abdrehen. So viel dürfte sicher sein. Freier Wettbewerb sieht anders aus.APA/MAX SLOVENCIK
Die Finanzierung des ORF ist seit Jahren eine einzige Pleiten-, Pech- und Pannenshow, zumindest für den Gebührenzahler. Zunächst beschwerte sich der ORF vor Jahren höchstselbst vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) über die alte GIS-Gebühr, die dann vom Höchstgericht gekippt wurde. Ziel des ORF war es, die sogenannte „Streaminglücke“ zu schließen. Das ist ihm gelungen – die Folge: Ein neuer Zwangsbeitrag und damit mehr Geld für den Staatsfunk. Denn die damalige schwarz-grüne Koalitionsmehrheit führte auf den VfGH-Spruch hin den ORF-Beitrag ein und gab dem ORF online noch mehr Spielraum.
Die Reaktionen auf das Vorhaben der Regierung waren durchaus heftig: Der Verein der Chefredakteure bezeichnete das Gesetz als „existenzbedrohend“ für die privaten Medienhäuser, der Verband Österreicher Zeitungen (VÖZ) und der Verband Österreichischer Privatsender (VÖP) sprachen von EU-rechtswidriger Wettbewerbsverzerrung. Der VÖZ brachte umgehend eine Wettbewerbsbeschwerde bei der EU-Kommission ein. Hintergrund ist unter anderem die sogenannte „blaue Seite“, also ORF.AT. Dort werden Inhalte kostenlos angeboten, während sich private Medienunternehmen auch online selber finanzieren müssen, etwa durch Abomodelle oder Werbung.
ORF.at ähnlich wie Tageszeitung
Eigentlich ist dem ORF bereits jetzt – und auch schon vor der Novelle – tageszeitungsähnliche Berichterstattung verboten. Nach § 4e ORF-Gesetz ist dem ORF nämlich lediglich die „tagesaktuelle Überblicksberichterstattung“ erlaubt, dabei dürfen die einzelnen Elemente der Überblicksberichterstattung „nicht vertiefend“ sein und sind „auf die nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung zur Vermittlung des wesentlichen Informationsgehalts beschränkt“. Ausdrücklich wird im Gesetz auch festgehalten, dass die blaue Seite „weder in der Aufmachung, noch in der Gestaltung oder Anordnung einzelnen Elemente mit dem Online-Angebot von Tages- oder Wochenzeitungen vergleichbar sein“ darf.
Soweit das Gesetz. In Wirklichkeit ist ORF.at aber längst tageszeitungsähnlich: Der VÖZ ließ die blaue Seite an einem „durchschnittlich ereignisreichen Tag“ auf Zeitungspapier ausdrucken. Das Ergebnis: Die so produzierte „ORF-Tageszeitung“ umfasste mehr als 70 Seiten – mehr als eine durchschnittliche private Print-Tageszeitung. Die gesetzlichen Vorgaben werden damit laut Experten der Interessensverbände in der Praxis nicht eingehalten.
Jahrelange Verfahren
Laut VÖZ ist diese Form der Berichterstattung ein klarer Verstoß gegen das EU-Wettbewerbsrecht. Der Verband sah in einer kritischen Stellungnahme zur ORF-Novelle eine unzulässige Quersubventionierung der ORF-Presseberichterstattung durch eine unzulässige staatliche Beihilfe, die von der EU-Kommission vorab in einem formellen Verfahren zu prüfen gewesen wäre. Zwar wurden mit der Digitalnovelle die Anzahl der Beiträge auf 350 pro Woche beschränkt, das reicht laut VÖZ allerdings nicht zur Aufrechterhaltung der pluralistischen Medienvielfalt.
Wie geht es mit der blauen Seite weiter? Der VÖZ bestätigt auf exxpress-Anfrage, dass die Wettbewerbsbeschwerde nach wie vor bei der EU-Kommission anhängig ist. „Daraus jedoch ein positives oder negatives Signal abzuleiten, ist nicht möglich“, heißt es vom VÖZ. Der Verlegerverband strengte gemeinsam mit dem VÖP bereits in den Jahren 2004 und 2005 ein EU-Beihilfenverfahren gegen die Republik Österreich an, worauf das ORF-Gesetz massiv umgebaut und saniert werden musste. Das Verfahren dauerte damals mehr als vier Jahre. „Auch bei Verfahren, die Verlegerverbände anderer Länder führen, dauert es ähnlich lange“, sagt VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger gegenüber dem exxpress.
Aus für ORF.at?
Dass die blaue Seite komplett abgedreht wird, ist unwahrscheinlich. Zu groß ist der Wunsch der politischen Parteien, die reichweitenstärkste Nachrichtenseite des Landes aufrechtzuerhalten – immerhin haben die Parteien indirekt starken Einfluss auf den ORF und die dortigen personellen Besetzungen. Das Verfahren könnte jedoch ähnlich enden wie 2009: Möglicherweise wird die Regierung gegenüber den Privaten weitere Zugeständnisse machen müssen, ORF.at könnte mehr oder weniger wesentlich eingeschränkt werden.
Jedenfalls den freien Wettbewerb beeinträchtigt der Staatsfunk mit seinem Milliardenbudget – ganz überwiegend durch öffentliche Gelder finanziert – massiv. Wie bekannt, rollt derzeit eine Kündigungswelle durch die Redaktionen im gesamten Land. Besteht da ein Zusammenhang mit dem ORF? Grünberger dazu: „Die Notwendigkeit von Kündigungen lässt sich sicherlich nicht unmittelbar auf die durch das Angebot von ORF.at verursachten Hemmnisse im Bereich der Digitalabos zurückführen. Allerdings kann auch nicht bestritten werden, dass das faktische Gratisangebot der ‚blauen Seite‘ die Möglichkeiten, neue Abonnentinnen und Abonnenten im Digitalbereich zu gewinnen, erheblich einschränkt.“
Der VÖZ Geschäftsführer betont allerdings, „dass die aktuellen problematischen Entwicklungen hauptsächlich auf den dramatischen Abfluss an Werbegeldern in Richtung der Big-Tech-Unternehmen einerseits und der wirtschaftlichen Gesamtsituation andererseits zurückzuführen sind.“ Übrigens: Auch die öffentlichen Stellen, unter anderem die Bundesregierung, inserierten in den vergangenen Jahren zig Millionen in den sozialen Medien und damit bei den Big-Tech-Unternehmen – freilich mit dem Steuergeld aller.
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