Eineinhalb Stunden geht es im ORF 2-Format „Stöckl Live: Miteinander reden“ sehr gesittet und diszipliniert zu. Dabei hat das Thema durchaus Sprengkraft: In der am Dienstag ausgestrahlten Folge mit dem Titel „Integration oder Illusion?“ diskutieren Experten und Publikum, wie sich die österreichische Gesellschaft seit der Flüchtlingskrise 2015 verändert hat.

Im Publikum sitzen die unterschiedlichsten Menschen: eine Österreicherin etwa, die 2015 zusammen mit ihren Kindern am Wiener Hauptbahnhof ankommenden Flüchtlingen Essen reichte. Die damalige „Welle der Hilfsbereitschaft“ bereue sie nicht, sagt sie in der Sendung. Aber sie gibt zu: „Ich glaube, ich habs ein bisschen durch die rosarote Brille gesehen. Ich habe gedacht: Das wird schon werden, wir werden alle irgendwie integrieren. Da habe ich die Möglichkeiten überschätzt und die Schwierigkeiten unterschätzt“.

Diese Frau hieß 2015 Flüchtlinge am Wiener Hauptbahnhof willkommen.ORF ON / Screenshot

Frau aus Gemeindebau: „Es geht um das Akzeptieren unserer Traditionen"

Ein Syrer, der vor zehn Jahren in Österreich ankam, ist heute Senior-Produktmanager einer Bank und Springreiter. Er findet, dass Integration ein gegenseitiger Prozess ist. „Menschen flüchten nicht, weil sie es wollen, sondern weil sie keine Wahl haben. Aber Menschen, wenn sie hier sind, sollten hier etwas beitragen und aufbauen und sollten Teil dieser Gesellschaft sein“, gibt der 34-Jährige zu bedenken.

Der 34-jährige Syrer kam 2015 nach Österreich und integrierte sich scheinbar gut.ORF ON / Screenshot

Eine ältere Dame erzählt von dem Zusammenleben im Gemeindebau. Seit 2015 leben dort vermehrt Ausländer, erzählt sie. „Da entstehen Probleme. Es geht um Regeln, es geht um das Akzeptieren unserer Traditionen“, fährt sie fort.

Eine andere verteidigt die offenen Grenzen: 2015 sei eine Fluchtbewegung gewesen. „Es war nicht aus Jux und Tollerei, dass Leute ihr Leben aufs Spiel setzten“, sagt sie ins Mikrofon. Flüchten sei ein Menschenrecht.

Auch eine muslimische Künstlerin ist bei der Stöckl-Show anwesend. Sie stammt aus dem Irak und ist mittlerweile österreichische Staatsbürgerin. Ihre Familie wurde nach mehreren Jahren Aufenthalt in Österreich in den Irak abgeschoben. Besonders für ihren kleinen Bruder sei das traumatisch gewesen. Er war sehr integriert in seiner Schule und hatte viele Freunde.

So geht es die ganze Sendung hindurch: Menschen aus dem Publikum erzählen von ihren Erfahrungen, die Experten, darunter auch exxpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier, kommentieren.

Auch exxpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier (3. v. l.) war in der Expertenrunde vertreten.ORF ON / Screenshot

„Ich verurteile keinen Flüchtling, ich verurteile unsere Politik"

Doch gegen Ende der Sendung kommt es zu einem kleinen Tumult. Eine Frau, die schon länger versuchte, zu Wort zu kommen, redet Klartext: Es gehe viel um die Frage, welche Verantwortung die Österreicher für Migranten haben. „Ich verurteile keinen Flüchtling, ich verurteile unsere Politik, die da wieder versagt hat, sagt sie. Dann zählt sie die Fakten auf: „70 Prozent der Menschen in den Justizvollzugsanstalten haben Migrationshintergrund, die 10- bis 14-jährigen Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund haben sich 2020 verdoppelt.“

Dann sagt sie etwas, was sich wohl viele Österreicher denken: „Wer fragt denn nach der Menschlichkeit bei den Menschen, bei den Polizisten, die niedergestochen und niedergeschossen wurden, bei den Mädchen, die vergewaltigt wurden, wer fragt bei den Menschen nach, die sich ihr Leben hier nicht mehr leisten können, wer fragt hier nach Traumaverarbeitung?“. Sie könne sich nicht erinnern, dass nach dem Jugoslawienkrieg oder als italienische Gastarbeiter kamen, Betonklötze vor Christkindlmärkten gebraucht wurden, dass man Angst haben mussten, dass ein Auto in einen Markt hineinfährt oder dass Volksfeste abgesagt wurden. Während der Rede der Dame beginnen Leute um sie herum zu tuscheln. Was sie sagen, ist über das Video nicht verständlich. Zum Schluss sagt die Frau: „Mir wird gesagt, ich verurteile Flüchtlinge. Und unsere Politik verharmlost das schon wieder“.

Gegen Ende der Sendung spricht diese Frau Klartext.ORF ON / Screenshot

Harte Tatsachen werden ausgeklammert

Wie reagiert Claudia Stöckl auf die zu Recht besorgte Dame? Weder geht die Moderatorin auf das von ihr Gesagte ein, noch gibt sie Raum zur Diskussion. Sie moderiert ab mit den Worten: „Wir sind leider schon am Ende der Sendung“. Während Stöckl das sagt, hört man die Worte der Dame „Das ist keine Radikalisierung“ im Hintergrund. Möglicherweise wurde ihr das in der Sendung von anderen Gästen vorgeworfen.

Dann bittet die Moderatorin die Migrationsexpertin Judith Kohlberger, die Sendung abzurunden. Die Autorin des Buches „Migrationspanik“ versucht, das Format abzurunden und betont, wie wichtig es sei, im Gespräch zu bleiben. Stöckl erwähnt lobend einen Abschnitt aus Kohlbergers Buch, wo sie eine persönliche Begegnung mit einem FPÖ-Wähler beschreibt.

Die Sendung war zwar insgesamt recht ausgewogen, trotzdem bleibt ein gewisser Beigeschmack zum Schluss. Auf die bitteren Fakten, die die Frau ansprach, wurde nicht eingegangen, kein Raum für Diskussion geöffnet, als ihre Worte im Publikum auf Widerstand stoßen. Es scheint: Die wirklich harten Tatsachen werden gerne ausgeklammert und sollen erst gar nicht auf den Tisch gebracht werden. Lieber bleibt man in einem erfahrungsbasierten Wohlfühl-Austausch.