Die deutsch-türkische Imamin und Aktivistin Seyran Ateş warnt vor den Gefahren des Politischen Islams, den sie als größtes Problem Europa sieht. Besonders Österreich bezeichnet sie in einem Interview beim Mediengipfel in Lech als „Hotspot für Islamisten“, die sich in Parallelgesellschaften ungestört organisieren und zunehmend Gegengesellschaften bilden würden. „Die Parallelgesellschaften, über die nicht gesprochen werden sollte – weil man es als Fremdenfeindlichkeit und Stigmatisierung bezeichnet – sind inzwischen Gegengesellschaften geworden”, sagt Ateş.

Der Mut der Extremisten, die Einführung der Scharia offen zu fordern, wie vergangenen Juni bei einer Kalifats-Demonstration in Hamburg, sei gewachsen. Die Imamin erklärt: “Sie haben sich in gewissen Bezirken etablieren können, weil es keine vernünftige Integrationspolitik gab. Dort ist der Imam oder der Patriarch mehr wert als der Bürgermeister”.

Dem Tod knapp entronnen

Ateş setzt sich für eine progressive Ausrichtung des Islams ein und gründete in Berlin eine eigene Moschee. Ihre Moschee in Berlin, die Männer, Frauen und LGBTQI-Muslime gleichermaßen willkommen heißt, wurde mehrfach zur Zielscheibe von Drohungen. Sie selbst lebt seit 18 Jahren unter Polizeischutz. 1984 ist die Aktivistin dem Tod knapp entkommen: Sie überlebte einen Anschlag durch ein mutmaßliches Mitglied der rechtsextremen türkischen „Grauen Wölfe“.

Ateş nimmt kein Blatt vor den Mund: In Österreich und Deutschland fehle der politische Wille, fundamentalistische “Gettos” aufzulösen und eine strikter regulierte Migrationspolitik umzusetzen. Die Regierungen zeigen zu viel Toleranz für Intolerante, um sich nicht “die Finger an dem Thema zu verbrennen.” Die Imamin spricht Klartext: “Es wird sich erst etwas ändern, wenn diese Leute oder ihre Kinder etwas in die Fresse kriegen.”

Christ- und Sozialdemokraten würden sich abschaffen

Christ- und Sozialdemokraten würden sich kurz- oder langfristig abschaffen und radikalen Kräften den Weg bereiten. “Das, was in den USA mit Donald Trump jetzt passiert ist, sehe ich in Österreich und Deutschland mit fünf bis zehn Jahren Verspätung auch passieren. Vor allem die Migranten, die schon länger im Land leben, werden dafür sorgen, dass AfD und FPÖ stark werden”, warnt Ateş. Die Demokratie schaffe sich selbst ab.

Die Aktivistin bestätigt, dass die Islamisten immer jünger werden. Sie erklärt auch, warum das ihrer Meinung nach so sei: “Es fehlt einfach an einem wirksamen Gegennarrativ. Kinder werden während der Pubertät von der Gesellschaft allein gelassen und sind leichte Beute für Extremisten.” Ultrakonservative Imame in sozialen Netzwerken würden ihnen Orientierung in einer komplexen Welt und das Gefühl von Zugehörigkeit vermitteln, sagt Ateş.

Junge Muslime würden sich modernes Leben wünschen

Dennoch glaubt Ateş, dass eine wachsende Zahl junger Muslime in Europa ein modernes Leben bevorzugt und der konservative Islam nur deshalb dominant erscheine, weil orthodoxe Strukturen den Dialog mit staatlichen Institutionen kontrollieren.

Die Sicherheitslage der Imamin hat sich seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober verschärft, weil sie sich für das Existenzrecht Israels aussprach. Ateş fordert, den Islam nicht wie die Kirche zu behandeln und orthodoxen Institutionen weniger Gewicht zu geben. Ihre Pläne für eine progressive Moschee in Wien scheiterten am Widerstand der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ).

(Das Gespräch führten Raphael Gruber/APA und Elisabeth Kröpfl/Kurier)