Die Financial Times fragte jüngst: „Kann sich Deutschland seinen 1,35-Billionen-Euro-Sozialstaat leisten?“ – Antwort: Nein. Die begleitende OECD-Tabelle zeigt jedoch: Österreich hat noch mehr Anlass zur Sorge. Kein Land gibt gemessen an seiner Wirtschaftsleistung mehr für Gesundheit, Pensionen, Pflege und Sozialleistungen aus. 2024 erreichte Österreich eine Sozial-Quote von  31,6 Prozent des BIP – vor Deutschland (27,9 Prozent), erstmals auch vor Frankreich (30,6 Prozent), Belgien (28,6 Prozent) und Finnland (31,4 Prozent).

Jüngste Berechnungen der Statistik Austria weisen für 2024 sogar 33,3 Prozent aus.

Die Agenda Austria machte bereits auf Österreichs Spitzenplatz aufmerksam. Der Titel „Gefangen in der sozialen Kälte“ ist ironisch gemeint.Agenda Austria/Grafik

Damit leistet sich Österreich den teuersten Sozialstaat der Welt. Auch außerhalb der OECD gibt es kein Land mit dokumentiert höheren Quoten. In Lateinamerika gilt Uruguay als Spitzenreiter, bleibt aber – trotz üppiger Pensionen und staatlicher Medizin – in den hohen Zwanzigern. Brasilien landet mit seinen Rentenlasten und zusätzlichen Sozial- und Gesundheitskosten in den niedrigen bis mittleren Zwanzigern. Südafrika, Afrikas Schwergewicht bei Transfers, kommt nur in den mittleren Zehnerbereich. Und auch in Europa gibt es außerhalb der OECD keinen Sozialstaat, der so tief in die Tasche greift.

„Hätten wir noch die Sozialquote von 2019, dann würden die Sozialausgaben heute um rund 18 Milliarden Euro geringer ausfallen“, warnte bereits im Frühjahr die Denkfabrik Agenda Austria. Nach den pandemiebedingten Ausweitungen habe der Staat „das Bremspedal nicht mehr gefunden“, warnt Agenda-Austria-Ökonom Dénes Kucsera.

Aufstieg an die Spitze

Dass fast ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung in Österreich mittlerweile in Sozialausgaben fließt, liegt auch am schwachen BIP-Wachstum bei gleichzeitig valorisierten und damit ausgeweiteten Sozialleistungen. In Summe handelt es sich um eine langjährige Entwicklung, die sich nach 2019 nochmals beschleunigte.

„Verständlicherweise sind die Sozialleistungen in der Corona-Pandemie stark ausgeweitet worden. Doch der Staat hat es nicht geschafft, nach der Krise das Bremspedal zu finden“, meint Agenda-Austria-Ökonom Dénes Kucsera.Elke Mayr/Agenda Austria

Bereits 2020 schnellte die Sozialquote aufgrund der COVID-19-Pandemie auf 34,1 Prozent. Grund war das Zusammenspiel aus massiv gestiegenen Ausgaben – etwa für Kurzarbeit, Arbeitslosenhilfe und Unternehmensstützungen – und einem gleichzeitigen Wirtschaftseinbruch. Allerdings lagen damals Frankreich und Italien ähnlich hoch. Seit 2022 verschoben sich die Kräfteverhältnisse deutlicher: Während Frankreich, Italien und Belgien ihre Quoten leicht senkten, verharrte Österreich auf sehr hohem Niveau.

Absolute Entwicklung seit 2010

In absoluten Zahlen zeigt sich der Anstieg noch deutlicher: Zwischen 2010 (87,5 Milliarden Euro) und 2023 (146 Milliarden Euro) stiegen die Sozialausgaben um fast 59 Milliarden Euro – ein Plus von rund 67 Prozent. Im Jahr 2000 lagen die Sozialausgaben bei etwa 59,6 Milliarden Euro – der aktuelle Stand setzt somit eine jahrzehntelange Wachstumsdynamik fort.

Neben den ursprünglich befristeten Covid-Programmen, die sich faktisch verstetigt haben, treiben auch andere Faktoren das Wachstum.

Die Menschen werden älter – erfreulich, doch die Politik hat es verabsäum, den Sozialstaat entsprechend zu reformieren.GETTYIMAGES/Jörg Koch

Ursachen des Anstiegs

Alterung und Pensionen
Das ist der größte Treiber: Immer mehr Menschen erreichen das Pensionsalter, die Lebenserwartung steigt, Österreichs System ist vergleichsweise großzügig. Die gesamten Pensionskosten stiegen von 41,6 Milliarden Euro (2010) auf 68,4 Milliarden Euro im Jahr 2023, was plus 65 Prozent entspricht. Nach Berechnung der Ökonomin Prof. Monika Köppl Turyna dürften die Pensionsausgaben im Jahr 2024 insgesamt knapp 75 Milliarden Euro betragen haben. 2024 lag der Pensions-BIP-Anteil laut Statistik Austria vorläufig bei etwa 15,9 Prozent. Nahezu die Hälfte aller Sozialausgaben entfällt heute auf Altersleistungen.

Politische Entscheidungen
Österreich setzte selten auf Kürzungen, häufig auf Valorisierungen und Ausweitungen (Familienleistungen, Mindestsicherung, Einmalhilfen). Viele zeitlich befristete Programme wurden nicht vollständig zurückgenommen – das verfestigte das höhere Ausgabenniveau.

Migration und Flüchtlingskosten
Die Bundesausgaben für Flüchtlinge stiegen von 54 Millionen Euro im Jahr 2010 auf 453 Millionen Euro im Jahr 2023. Im Verhältnis zum gesamten Sozialbudget bleibt der Anteil klein, die Dynamik ist jedoch hoch – mit zusätzlichen Wirkungen über Länder und Gemeinden. Überdies verursachten Asylwerber und Asylberechtigte auch zusätzliche Kosten in anderen Bereichen, etwa im Gesundheitswesen.

Gesundheit und andere Leistungen
Rund ein Viertel der Sozialausgaben entfällt auf das Gesundheitswesen; medizinische Inflation und Alterung wirken doppelt. Auch Familien- und Behindertenleistungen wuchsen moderat, tragen in absoluten Zahlen aber spürbar zur Gesamtsumme bei.

Seit dem Flüchtlingsjahr 2015 explodierten die Ausgaben für Migranten. Das ist ein wichtiger Faktor, doch er allein erklärt die hohen Kosten nicht.APA/BARBARA GINDL

2022 hatten andere Länder noch eine höhere Sozialquote

Im Jahr 2022 hatten andere Staaten gemessen an ihrer wirtschaftlichen Leistung noch teurere Sozialstaaten, etwa Frankreich mit 31,6 Prozent und Italien mit 30,1 Prozent. Bei Österreich betrug der Anteil damals noch 29,4 Prozent.

Damit hat sich Österreich vom Mitläufer zum internationalen Spitzenreiter entwickelt. Die Kombination aus demografischem Wandel, massiven Covid-Krisenmaßnahmen, politischer Ausgabenkontinuität und schwachem Wirtschaftswachstum katapultierte das Land an die Spitze. Heute gilt Österreich damit als der teuerste Sozialstaat der Welt – kein anderes Land weist aktuell eine höhere Sozialquote aus.

„Will die Regierung den kommenden Generationen einen funktionierenden Sozialstaat hinterlassen, gilt es jetzt Reformen zu setzen“, mahnt Ökonom Kucsera. Wichtig sei: Der Sozialstaat sollte nicht allen Bürgern offen stehen, sondern nur jenen, die ihn auch tatsächlich brauchen.