In einem wütenden Gastkommentar auf Russia Today spricht Medwedew vom „NATO-Anschluss“ Österreichs, wirft der heimischen Politik „Herdentrieb“ vor und erklärt den „Geist von Wien“ für bedroht. Seine Botschaft: Wer die Neutralität kippt, verliert Rollenvertrauen – und damit Wiens Status als eine der wichtigsten Diplomatie-Drehscheiben der Welt.

UNO, IAEO, OSZE: Die Standort-Drohung

Besonders heikel: Medwedew stellt offen eine Verlegung internationaler Organisationen aus Wien in Aussicht – in Länder des Globalen Südens oder Ostens. Für Österreich wäre ein solcher Schritt politisch und wirtschaftlich ein schwerer Schlag; organisatorisch wäre er komplex, aber allein die Drohung zielt auf Wiens Prestige.

„Österreich im Zielregister“ – die Sicherheitswarnung

Medwedew legt nach: Wenn Wien an der NATO-Tür klopfe, könne das Bundesheer in die Langstrecken-Einsatzplanungen der russischen Streitkräfte „aufgenommen“ werden. Eine klare Abschreckungsbotschaft – und eine Eskalation, die Österreichs Sicherheitsdebatte schlagartig verschärft.

Ihrer Rechtsansicht nach kann Russland mit einem Veto Österreichs NATO-Beitritt und damit die Aufgabe der Neutralität verhindern: Ex-Außenministerin Karin Kneissl (Bild).GETTYIMAGES/SOPA Images

3.000 Konvois, 5.000 Flüge: Der Militarisierungs-Vorwurf

Als Beleg für eine „schleichende Militarisierung“ nennt Medwedew Zahlen: über 3.000 NATO-Militärtransporte und über 5.000 Allianz-Überflüge über Österreich im Vorjahr. Fakt ist: Österreich ist Transitdrehscheibe und seit 1995 PfP-Partner, aber kein NATO-Mitglied. PfP („Partnerschaft für den Frieden“) ist ein seit 1994 bestehendes NATO-Kooperationsprogramm mit Nichtmitgliedern für Ausbildung, gemeinsame Übungen und Interoperabilität. Es ist kein Beitritt und beinhaltet keine Beistandspflicht (kein Artikel 5); die Teilnahme ist freiwillig.

Genau hier entzündet sich die innenpolitische Streitfrage: Reicht Partnerschaft plus Aufrüstung – oder braucht es den Bündnisschirm, wie manche nun fordern?

Kneissl: Russland kann Aufgabe der Neutralität verhindern

Der Kreml beruft sich auf Staatsvertrag und Moskauer Memorandum von 1955 – und erhält Rückendeckung von Karin Kneissl, die Russland eine Vetoposition zuschreibt. Österreichs Ex-Außenministerin erklärte jüngst in einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur TASS, Russland könne als Rechtsnachfolger der UdSSR einen NATO-Beitritt Österreichs verhindern; der Staatsvertrag sei die „Rechtsgrundlage“ der Neutralität, ein Kurswechsel bedürfe der Entscheidung aller vier Alliierten.

Österreichische Verfassungsrechtler widersprechen

Diese Sicht ist umstritten. Österreichische Verfassungsjuristen halten entgegen: Die Neutralität wurde innerstaatlich durch das Neutralitätsgesetz vom 26. Oktober 1955 als Verfassungsgesetz beschlossen; das Moskauer Memorandum ist politischer Natur und nicht rechtsverbindlich. Der Staatsvertrag von 1955 garantiert Österreichs Souveränität und verbietet den Anschluss an Deutschland, enthält die Neutralität jedoch nicht; diese erklärte Österreich anschließend aus eigenem Entschluss im Verfassungsrang.

Änderung braucht 2/3-Mehrheit im Parlament – und wohl auch Volksabstimmung

Außenministerin Beate Meinl-Reisinger warb Ende Juli 2025 für eine offene Debatte über Neutralität und NATO: „Neutralität allein schützt uns nicht.“ Zugleich betonte sie, derzeit fehlten Mehrheiten in Parlament und Bevölkerung. Umfragen zeichnen ein klares Bild: 2023 sprachen sich in einer Erhebung der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik nur 21 Prozent für einen NATO-Beitritt aus, 60 Prozent waren dagegen; spätere Erhebungen kamen zu ähnlichen Ergebnissen.

Fest steht: Eine Änderung bedürfte jedenfalls einer Zweidrittelmehrheit im Parlament – ob zusätzlich eine Volksabstimmung nötig wäre, ist umstritten, politisch aber wahrscheinlich.