
Russland vor Pokrowsk: Die letzte Verteidigungslinie der Ukraine wankt
Russische Truppen rücken bei Pokrowsk vor und bringen die letzte Verteidigungslinie ins Wanken. Fällt die Stadt, droht der Ukraine ein strategischer Rückzug mit katastrophalen Folgen. Dahinter liegt fast nur noch offenes Gelände, das Moskaus Armee schnellen Vormarsch ermöglicht. Die nächsten Wochen könnten den Kriegsausgang entscheiden.

Die Ukraine steht vor einer entscheidenden Bewährungsprobe: Die militärische Lage im Osten spitzt sich weiter zu. Russische Truppen stehen kurz davor, die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk in der Oblast Donezk einzukesseln. Sollte die Stadt fallen, wäre die letzte ukrainische Verteidigungslinie im Donbass durchbrochen – mit dramatischen Folgen. „Die russischen Kräfte haben sich systematisch durch die gestaffelten Verteidigungslinien gekämpft. Jetzt steht die dritte und letzte im Fokus“, warnte kürzlich Oberst Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie – der exxpress berichtete.
Die ersten beiden Verteidigungsstellungen wurden bereits durchbrochen
Pokrowsk, eine Stadt mit rund 60.000 Einwohnern, gilt als eines der wichtigsten Logistikzentren der Ukraine. Hier verlaufen zentrale Eisenbahn- und Straßenverbindungen, die für den ukrainischen Nachschub essenziell sind. Russische Einheiten versuchen, die Stadt von Süden und Südwesten her zu umgehen, um die Verteidiger einzukesseln. Sollte ihnen das gelingen, könnte sich die ukrainische Front an dieser Stelle auflösen – ein Szenario, das für Kiew kaum zu kompensieren wäre.

Seit 2014 hat die Ukraine gestaffelte Verteidigungsstellungen aufgebaut, doch die ersten beiden Linien wurden bereits durchbrochen. Nun gerät auch die letzte unter massiven Druck. Die Kämpfe um Pokrowsk könnten darüber entscheiden, ob die Ukraine in der Region noch eine geordnete Verteidigung aufrechterhalten kann oder sich weiter ins Landesinnere zurückziehen muss. Besonders heikel: Hinter Pokrowsk gibt es kaum befestigte Stellungen, so dass Russland nach einem Durchbruch schnell größere Gebiete erobern könnte. Anders als im Donbass befinden sich westlich von Pokrowsk weite Ebenen ohne Hügel, die der Verteidiger für erhöhte Stellungen nutzen kann, und ohne natürliche Hindernisse.
„Der Fall von Pokrowsk wäre eine Zäsur im gesamten Krieg“
„Sollte Pokrowsk fallen, wäre das nicht nur eine taktische Niederlage, sondern eine Zäsur im gesamten Krieg“, analysiert Oberst Reisner. „Die Stadt ist einer der letzten funktionierenden Logistikknoten der Ukraine in diesem Frontabschnitt. Fällt sie, wird es für Kiew ungleich schwerer, Truppen, Munition und Nachschub effizient in den Osten zu bringen.“

Gleichzeitig könnte Russland durch die offenen Landschaften der Oblast Dnipropetrowsk ungehindert weiter vorrücken. „Hier gibt es kaum natürliche Barrieren, die einen Vormarsch bremsen. Artillerie und Drohnen könnten aus großer Entfernung angreifen, während gepanzerte Einheiten schneller und flexibler operieren“, so Reisner weiter. „Die Ukraine steht in Pokrowsk vor einer der schwierigsten Entscheidungen dieses Krieges: Halten um jeden Preis – oder geordnet zurückziehen, bevor es zu spät ist.“
Russland auch sonst auf dem Vormarsch – aber mit hohen Verlusten
Nicht nur bei Pokrowsk, auch an anderen Frontabschnitten ist Russland auf dem Vormarsch. In Richtung Kupjansk konnten die russischen Truppen ihren Brückenkopf über den Fluss Oskil weiter ausbauen. Auch in Chassiw Jar und Torezk gehen die Kämpfe weiter, vereinzelt gelingt es der Ukraine, kleinere Gebiete zurückzuerobern. Militärexperten gehen jedoch davon aus, dass Russland die Initiative behält. „Der russische Vormarsch ist stetig, wenn auch verlustreich“, erklärt Oberst Reisner in einer neuen Analyse. „Die Ukraine verteidigt entschlossen, aber ihr fehlt es zunehmend an Ressourcen.“

Neue ukrainische Soldaten sollen bisherige Einheiten verstärken
Angesichts der kritischen Lage hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Änderung der Rekrutierungspolitik angeordnet. Statt neue Brigaden mit unerfahrenen Rekruten aufzustellen, sollen frische Soldaten gezielt bestehende, kampferprobte Einheiten verstärken. Ziel ist es, die Kampfkraft der ukrainischen Streitkräfte zu erhalten, anstatt unausgebildete Truppen an die Front zu schicken. Doch ob diese Strategie ausreicht, um den russischen Druck zu bremsen, bleibt fraglich – vor allem, wenn entscheidende Knotenpunkte wie Pokrowsk fallen sollten.

Massive Raketenangriffe auf ukrainische Städte
Während der Bodenkrieg an Intensität zunimmt, setzen beide Seiten verstärkt auf Luftangriffe. Russland flog in den vergangenen Tagen mehrere Raketenangriffe auf ukrainische Städte, darunter Odessa und Poltawa. Gleichzeitig greift die Ukraine mit Drohnen gezielt russische Ölinfrastruktur an, um die Treibstoffversorgung des Gegners zu schwächen. Doch Reisner warnt: „Russland nutzt seine Luftüberlegenheit zunehmend, um seinen Vormarsch am Boden zu unterstützen. Sollte die Ukraine nicht bald neue Luftabwehrsysteme erhalten, könnte das für die Verteidiger fatal werden.“
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