Putins eingefrorene Gelder werden zur Zerreißprobe: Wird sich die EU zerstören?
Die EU am Abgrund: Brüssel will russische Zentralbankgelder für die Ukraine nutzen – ein hochriskantes Vorhaben. Finanzminister Marterbauer (SPÖ) begrüßt das, Belgien, Italien, Malta und Bulgarien fordern eine andere Finanzierung, Ungarn und Slowakei lehnen weitere Gelder an Kiew ab. Die Lage ist explosiv.
Wird der Ukraine-Krieg die EU zerreißen? Ursula von der Leyens gewagte Pläne entzweien die Union und lassen bei einigen die Alarmglocken läuten.APA/AFP/Simon Wohlfahrt/GETTYIMAGES/Francesco Scatena
Zwei Lager, ein sich zuspitzender Konflikt: Belgien, Italien, Malta und Bulgarien stellen sich gegen den Plan der EU-Kommission, 210 Milliarden Euro eingefrorene russische Zentralbankgelder zur Finanzierung der Ukraine zu verwenden. Diese vier Staaten sind nicht nur besorgt über die juristischen Risiken, sondern auch um die Stabilität des europäischen Finanzplatzes.
Doch sie haben einen Gegenvorschlag: EU-Darlehen oder EU-Schulden, die von allen Mitgliedstaaten gemeinsam getragen werden. Alle EU-Staaten würden sich die Kosten teilen, sodass kein einzelnes Land – wie etwa Belgien, wo sich der Großteil der Zentralbankgelder befindet – alleine für die Risiken verantwortlich gemacht wird
Kurz: Alle EU-Staaten teilen sich die Haftung – doch die Steuerzahler zahlen die Rechnung.
Das Dilemma: Ehrlichkeit und Einstimmigkeit fehlen
Dieser Plan würde die EU dazu zwingen, die Bürger von Anfang an mit der vollen finanziellen Verantwortung für die Ukraine-Unterstützung zu konfrontieren – etwas, das Brüssel offenbar scheut. Doch das eigentliche Problem liegt woanders: Um diese Finanzierung umzusetzen, ist Einstimmigkeit erforderlich – und genau daran scheitert das Vorhaben. Ungarn und die Slowakei blockieren den Vorschlag, weil sie Verhandlungsspielräume mit Russland offenhalten wollen. Zudem befürchten sie eine Eskalation der Sanktionen.
Kritiker vermuten, dass dies der wahre Grund ist, warum Brüssel auf das alternative Konstrukt umschwenkt, bei dem russische Gelder zur Finanzierung genutzt werden. Mit einer juristisch umstrittenen Argumentation will Brüssel hier die notwendige Einstimmigkeit umgehen, damit nur noch die qualifizierte Mehrheit von 55 Prozent der Staaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, ausreicht.
Diese Mehrheit besteht nach wie vor. Werden die EU-Staaten also Belgien überstimmen? Diplomaten halten das für undenkbar. Doch der EU-Plan birgt noch aus anderen Gründen Sprengstoff.
Ein Dammbruch in der EU-Politik
Was ursprünglich als Einfrieren russischer Vermögenswerte begann, könnte jetzt in eine De-facto-Enteignung der russischen Staatseigentümer münden. Die EU-Kommission will die eingefrorenen 210 Milliarden Euro als Sicherheit nutzen oder sie direkt veräußern, um die Ukraine zu unterstützen. Dieser Dammbruch stellt die Grundprinzipien des internationalen Rechts auf den Kopf, warnen Kritiker. Es wäre der Anfang eines gefährlichen Präzedenzfalls.
Die Alarmglocken von Euroclear
Valérie Urbain, die CEO von Euroclear, einer der wichtigsten Finanzinfrastrukturen in Europa, schlägt Alarm. Euroclear verwaltet einen Großteil der eingefrorenen russischen Zentralbankgelder. Urbain warnt: „Das ist nicht realistisch und könnte das Vertrauen in den gesamten europäischen Finanzmarkt erschüttern.“
Euroclear könnte für Haftungsrisiken verantwortlich gemacht werden, sollte Russland rechtlich gegen die Nutzung seiner Gelder vorgehen. Urbain fordert, dass die eingefrorenen Mittel stattdessen als Instrument für diplomatische Verhandlungen oder Friedenslösungen genutzt werden, statt sie für ein hochriskantes finanzielles Abenteuer zu missbrauchen, das Europas Finanzplatz destabilisieren könnte.
Keine Einwände von Marterbauer: „Schlimmstenfalls haften wir mit 1 Milliarde Euro“
Bemerkenswert gelassen reagiert hingegen Österreichs Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) auf Brüssels Idee, die er für „überzeugend und finanziell handhabbar“ hält. Er relativiert die Haftungsrisiken und erklärt: „Selbst wenn Haftungsrisiken bestehen, würde Österreich im schlimmsten Fall mit einer Milliarde Euro durchaus leben können.“ Eine Milliarde Euro? Nach Ansicht des Finanzministers kein Problem, aber er glaubt nicht, dass es soweit kommen wird. Andere Beobachter sind pessimistischer. Sie sprechen von ein paar Milliarden Euro Haftung für Österreich.
Marterbauers Haltung steht im starken Kontrast zu den Bedenken Belgiens und Italiens. Der Finanzminister hält das Risiko aus österreichischer Sicht für kalkulierbar – doch ist diese Sichtweise realistisch?
Wachsender Widerstand gegen den Plan
Juristen, Finanzakteure und institutionelle Beobachter warnen vor unabsehbaren Folgen, nicht nur aus rechtlichen Gründen: Ein Zugriff auf russische Vermögenswerte könnte das Vertrauen in den Euro und europäische Finanzinstitute beschädigen. Andere Länder könnten den Euro als sicheren Finanzplatz infrage stellen, wenn solche Einzelfälle legitimiert werden.
Belgien und Euroclear befürchten, dass sie für Schadenersatzklagen oder Vollstreckungsversuche Russlands haftbar gemacht werden. Der Druck aus Moskau wächst. Mittlerweile sieht sich Euroclear mit einer Klage von rund 230 Milliarden Dollar durch die russische Zentralbank konfrontiert, was die massiven Haftungsrisiken verdeutlicht.
EZB-Chefin Lagarde in Sorge um die finanzielle Stabilität
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), teilt die rechtlichen Bedenken und warnt vor den möglichen Auswirkungen auf die Finanzstabilität des Euro-Raums: „Jede Entscheidung über die Nutzung der russischen Vermögenswerte muss im Einklang mit dem Völkerrecht stehen“, unterstreicht sie. „Die EZB beobachtet diesen Prozess sehr aufmerksam.“
Auch für Lagarde geht es darum, das Vertrauen in den Euro und europäische Finanzinstitute zu bewahren.
Ein juristisches Risiko für Europa
Ein weiteres juristisches Schwergewicht in der Debatte ist Armin Steinbach, Professor für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der international führenden Wirtschaftsschule HEC Paris. Er warnt gegenüber The Parliament Magazine: „Politisch mag eine Konfiszierung vertretbar erscheinen, aber rechtlich ist sie es nicht.“
Steinbach betont, dass Russlands Vermögenswerte durch staatliche Immunität geschützt sind und nur mit Russlands Zustimmung beschlagnahmt werden können. Ein solcher Schritt würde das Prinzip der staatlichen Immunität untergraben.
Russlands Rache: Gefährdung europäischer Unternehmen
Doch das ist noch nicht alles. Auch die Folgen für Europas Unternehmen könnten massiv sein. Russland könnte als Vergeltung europäische Vermögenswerte in Russland konfiszierten oder Sperrkonten von westlichen Firmen nationalisieren. Dies würde zusätzlich Unternehmen in Geiselhaft nehmen.
Am Ende wird dann alles noch teurer. Matthias Schepp, Vorsitzender der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer, warnte gegenüber der Presse: „Die europäischen Steuerzahler werden zweimal zahlen. Zum einen, weil Russland sich an europäischen Vermögenswerten in Russland schadlos halten wird, und zum anderen, weil das russische Vermögen bei Euroclear nur als Absicherung für das Reparationsdarlehen dient. Dann zahlen die Steuerzahler wieder.“
Zwei Lager, ein Problem für Brüssel
Die EU steht vor einer Zerreißprobe, die immer näher rückt: Auf der einen Seite die juristischen Bremser – Belgien, Italien, Malta und Bulgarien – die einen rechtlich abgesicherten Plan fordern. Auf der anderen Seite der politische Widerstand von Ungarn und der Slowakei, die befürchten, dass die Verhandlungen mit Russland langfristig gefährdet werden. Der Ausweg über juristische Umwege könnte, so die Befürchtung, die EU in einen finanziellen Abgrund stürzen, dessen Kosten die Steuerzahler am Ende alleine tragen.
Wird sich die EU selbst zerreißen? Ihre Zukunft steht auf dem Spiel.
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