Spaltung , Downgrading, Vertrauenskrise: Diese gefährliche Gemengelage macht einen Bürgerkrieg immer wahrscheinlicher, warnt David Betz. „Früher wurden politische Debatten an Sachfragen festgemacht – heute bestimmen Identität und Gruppenzugehörigkeit das Denken“, analysiert er in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Besonders gefährlich sei eine „polarisierte Fraktionalisierung“.

Kirsten Dunst ist als Kriegsfotografin Lee im Film „Civil War“ zu sehen – Fiktion als Warnung vor inneren Konflikten.GETTYIMAGES/Moviepix/Murray Close

Als Beispiel nennt er Großbritannien: Dort wachse „eine muslimische politische Bewegung, die faktisch eine Ein-Themen-Partei ist – mit Fokus auf internationale muslimische Interessen, aktuell vor allem Gaza, während britische Binnenpolitik kaum Beachtung findet.“ Betz ist Professor für „Krieg in der modernen Welt“ am Fachbereich Kriegsstudien des King’s College London. Er forscht zu Aufständen und Aufstandsbekämpfung, Informations- und Cyberkrieg.

Abstieg der Mehrheit

Auch der Abstieg der einstigen Mehrheitsgesellschaft sei markant: „In mehreren europäischen Ländern wird die einheimische Bevölkerung innerhalb einer Generation zur Minderheit im eigenen Land. Im Vereinigten Königreich rechnet man damit um 2060, in anderen Ländern früher oder später.“

„Downgrading“ bedeute, dass Sprache, Werte und politische Prioritäten der bisherigen Mehrheit nicht mehr maßgeblich seien.

Masseneinwanderung Projekt der Eliten, nicht der Bevölkerung

Zur Migration bemerkt Betz: „Masseneinwanderung ist kein Projekt der Bevölkerung, sondern der Eliten. In Großbritannien hat es nie eine Wahl gegeben, bei der die Wähler sich bewusst für unbegrenzte Migration entschieden hätten. Offiziell hieß es immer ‚Kontrolle und Begrenzung‘ – real wurde der Wasserhahn voll aufgedreht. Diese Eliten – politische, wirtschaftliche, mediale, akademische – sind post-national geprägt.“

Innere Sicherheit im Fokus: Ein Absperrband der Polizei trennt den Einsatzbereich vom Alltag der Menschen.APA/MAX SLOVENCIK

Das Vertrauen sei der Kitt jeder Gesellschaft: „Vertrauen ist das soziale Kapital einer Gesellschaft. Über Jahrzehnte wurde es systematisch abgebaut – in Politik, Medien, Polizei, Justiz, sogar in Kirche und Medizin. Heute genießen Politiker als Gruppe in vielen Ländern Vertrauen nur noch im einstelligen Prozentbereich. Doch ohne Vertrauen sinkt die Fähigkeit, Konflikte friedlich zu lösen. Gesellschaften können so ‚sozial bankrott‘ gehen – genau wie Unternehmen finanziell bankrottgehen können.“

Wirtschaftlicher Abstieg als Brandbeschleuniger

Historisch hätten Wohlstand, gute Regierungsführung und eine einigermaßen geeinte Elite Bürgerkriege verhindert. Nach Betz sind diese drei Pfeiler im Westen angeschlagen: Produktivität und Innovation stagnieren seit Jahren, Bürokratie lähmt den Apparat. Zu den Staatsfinanzen: „Deutschland etwa war einst Musterbeispiel für Haushaltsdisziplin, heute werden in kurzer Zeit Hunderte Milliarden bis Billionen Euro aufgenommen.“

Urbane Gewalt und wachsende Unsicherheit (Symbolfoto)GETTYIMAGES/Natnan Srisuwan

Mit Blick auf Energie und Industrie: „Die Politik zerstört Wettbewerbsfähigkeit – Deutschland greift nicht mehr auf russische Energiequellen zurück und verliert zentrale Exportmärkte wie China.“ Hinzu kommt die Lage der junge Generation: „Beim Einkommen, Wohneigentum, Familiengründung und der Altersvorsorge sind sie schlechter gestellt als die Eltern, teils sogar sinkende Lebenserwartung.“

Zwei Konfliktachsen – und der Kipppunkt

Betz erwartet mögliche Gewalt entlang zweier Linien:
Nationalisten versus Post-Nationale – eine Revolte der „Regierten“ gegen Eliten, die Regeln zu ihrem Nachteil ändern.
Einheimische versus Neuankömmlinge – potenziell urbane Gewalt entlang ethnischer Bruchlinien.

Einsatzkräfte im EinsatzAPA/HARALD SCHNEIDER

Er spricht von plötzlichen Kipppunkten und dem Normalitätsbias und verweist auf Ex-Jugoslawien als warnendes Beispiel: „In Bosnien hielten 1990 noch 90 Prozent der Menschen ihre Beziehungen zu anderen Ethnien für gut. Zwei Jahre später war Jugoslawien zerbrochen und es folgten Massaker, Folter, Vertreibungen.“

Auch linke Revolutionsentwürfe fließen in seine Überlegungen ein: „In der Schrift ‚Der kommende Aufstand‘ werden Angriffe auf urbane Infrastruktur skizziert, um Macht zu ergreifen.“ Langfristig, so Betz, „wird sich die nationale Idee behaupten, weil Post-Nationalismus weder ökonomisch noch sozial tragfähig ist.“

Wie hoch ist das Risiko?

Betz unterstreicht: „Meine Thesen stützen sich auf etablierte Forschung – Barbara Walter, Robert Putnam, Monica Duffy Toft. Die Annahme, der Westen sei ‚immun‘ gegen Bürgerkrieg, ist wissenschaftlich nicht haltbar.“ Laut Politologin Barbara Walter liege die jährliche Eintrittswahrscheinlichkeit in Ländern mit erfüllten strukturellen Bedingungen bei rund 4 Prozent. Auf fünf Jahre hochgerechnet: ca. 18,5 Prozent.

Zudem springen Bürgerkriege oft auf Nachbarländer über: „Bricht ein solcher Konflikt in Frankreich aus, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich Unruhen auf Nachbarstaaten übertragen.“ Betz kalkuliert konservativ eine Fünfjahreswahrscheinlichkeit bis zu 60 Prozent für mehrere Länder Europas. Sein Bauchgefühl: „hoch, wahrscheinlich innerhalb der nächsten fünf Jahre. Ich sehe keinerlei Anzeichen für eine ernsthafte politische Kurskorrektur.“