Schulskandal weitet sich aus: Blockiert Wien qualifizierte Lehrer?
Nach dem exxpress-Bericht melden sich immer mehr empörte Quereinsteiger: Obwohl sie ein strenges Auswahlverfahren bestanden haben, scheinen sie im Portal der Schulen nicht auf – und erhalten keine Chance. Zugleich bekommen immer mehr Unqualifizierte Sonderverträge. Die Bildungsdirektion schweigt.
Tausende Schüler, zu wenige Lehrer in Wien – doch Michael Ludwigs Bildungsdirektion blockiert qualifizierte Quereinsteiger.APA/GEORG HOCHMUTH/dpa/Philipp von Ditfurth
Der exxpress-Bericht über zurückgehaltene Quereinsteiger in Wien – mutmaßlich systematisch – löste eine Lawine aus. In der Folge meldeten sich bei uns unzählige weitere Betroffene – Physiker, Karikaturisten, Therapeuten, Mathematiker, Techniker. Sie hatten das mehrstufige, strenge Zertifizierungsverfahren erfolgreich durchlaufen. Doch dann blieben ihre Bewerbungen im System der Bildungsdirektion Wien hängen – ohne jemals an die Schulen weitergeleitet zu werden. Die zuständigen Wiener Beamten hätten sie nur ins Web-Portal eintragen müssen, damit auch die Schuldirektionen von ihren Bewerbungen erfahren.
Während Sondervertragslehrer unterrichten, warten Zertifizierte vergeblich
Besonders brisant: Während qualifizierte Quereinsteiger offenbar ausgebremst werden, werden gleichzeitig immer mehr Lehrer ohne Lehramtsstudium und ohne Zertifizierung über Sonderverträge eingestellt. Laut Prof. Andreas Schnider, Leiter der Zertifizierungskommission, sind mittlerweile 30 Prozent aller Neueinstellungen in Wien sogenannte Sonderverträge für Quereinsteiger, die nicht das Verfahren zwecks Zertifizierung durchlaufen haben. Nur 20 Prozent sind zertifizierte Quereinsteiger. Dabei gibt es von Letzteren sogar Hochqualifizierte – oder fast muss man sagen Überqualifizierte.
„Man wollte mich nicht“ – sagt ein TU-Professor
Ein emeritierter Professor der TU Wien erinnert sich: „Ich machte vor drei Jahren als pensionierter Universitätsprofessor und Physiker ähnliche Erfahrungen: Man wollte mich nicht. Eine Sprecherin der Wiener Bildungsdirektion meinte sogar, es gäbe nur einen angeblichen Lehrermangel.“
Zeichner: „Im Gegensatz zu anderen kann ich wirklich zeichnen und malen“
Besonders skurril ist der Fall eines bekannten Zeichners und Karikaturisten, der an den AHS bereits Comic-Zeichenkurse vermittelt über das Bildungsministerium angeboten hat, und auch schon an Volkshochschulen unterrichtet hat. „Ich wollte offiziell nebenberuflich an Schulen unterrichten. Für Wiener Schulen waren 30 bis 40 Zeichenlehrer ausgeschrieben. Ich hatte mit mehreren Direktoren Kontakt, hielt sogar Probestunden. Alle hätten mich genommen – aber ich schien im System nie auf. Meine Bewerbungen wurden von der Bildungsdirektion nicht weitergeleitet.“
Der Künstler ist überzeugt: „Ich kann zeichnen und malen – was bei anderen Lehrern, die das unterrichten, leider keine Selbstverständlichkeit ist.“
Anders als in Wien verliefen Bewerbungen in der Steiermark und in Niederösterreich problemlos: „Von der Grazer Bildungsdirektion werde ich bis heute per E-Mail laufend über neu ausgeschriebene Stellen informiert. In Wien hingegen wurde meine Bewerbung zwei Monate lang nur mit ‚eingelangt‘ markiert – weitergeleitet wurde sie bis heute nicht.“ Anders auch in Niederösterreich: Dort habe die Bildungsdirektion seine Bewerbungen noch am selben Tag bearbeitet und sofort an die Schulen weitergeleitet. Prompt stieß er auf vier Stellen. „Die Bildungsdirektion Wien hat bei meine Bewerbungen hingegen zwei volle Monate nur mit ,eingelangt‘ markiert, bevor dort ‚In Bearbeitung‘ stand! Und wirklich bearbeitet oder weitergeleitet haben sie die Bewerbung bis heute nicht an die AHS.“
Mathe-Lehrer: In Wien ignoriert – in NÖ sofort eingestellt
Ein zertifizierter Mathematiker schildert: „Ich habe mich an mehreren Wiener Schulen beworben, bekam aber keinerlei Rückmeldung. Die Bildungsdirektion vertröstete mich nur mit dem Hinweis, dass meine Bewerbung ‚in Bearbeitung‘ sei. Passiert ist nichts. In Niederösterreich wurde ich hingegen sofort genommen.“
Psychotherapeutin: „Meine Name war im System nie angeführt“
Eine Psychotherapeutin mit zwei Masterabschlüssen (unter anderem in Heilpädagogik) und zehn Jahren Unterrichtserfahrung wollte als Teamlehrerin im inklusiven Unterricht arbeiten. „Ich bewarb mich an acht Schulen – die Antwort der Direktoren war immer dieselbe: Man hat meine Bewerbung nicht erhalten. ,Ihr Name ist im System ,Get your Teacher‘ nicht angeführt‘, hieß es.“
Stattdessen wurde ihr erklärt, sie müsse den Computerführerschein machen. „Heute bin ich froh, dass ich keine Lehrerin bin. Ich wäre wahrscheinlich wahnsinnig geworden.“
Bewerber aus der Industrie: „Direktor musste der Bildungsdirektion nachlaufen“
Ein technischer Bewerber schildert seinen Frust so: „Ich hatte mich an einer Berufsschule beworben, aber die Direktion musste der Bildungsdirektion regelrecht nachlaufen, um meine Bewerbung überhaupt bearbeiten zu lassen. Ich hätte nach 20 Jahren Berufserfahrung ein Einstiegsgehalt bekommen. Am Ende wurde es mir zu blöd und ich bin in der Industrie geblieben.“
Der zentrale Vorwurf: Systematische Zurückhaltung
Ein empörter Bewerber meint gegenüber dem exxpress: „Nach allem, was ich erlebt habe, ist das gängige Vorgehen in Wien: Quereinsteiger werden so lange blockiert, bis alle Lehramts-Absolventen versorgt sind. Erst dann kommt man vielleicht dran. Das widerspricht der Gesetzeslage – zertifizierte Quereinsteiger sollen gleich behandelt werden!“
Gegenüber dem exxpress schweigt die Bildungsdirektion bis heute zu den Vorwürfen. Die Redaktion erhielt keine Antwort. Damit erging es uns nicht anders als zahlreichen Bewerbern, die auf direkte Anfragen ebenfalls keine oder nur ausweichende Rückmeldungen erhielten. Der Eindruck verfestigt sich: Die Bildungsdirektion Wien duckt sich weg.
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