Sebastian Kurz kann das große Erstaunen über den Auftritt des US-Präsidenten bei den Vereinten Nationen nicht nachvollziehen. „Mich hat die Kritik Donald Trumps an den Vereinten Nationen nicht groß überrascht, denn er ist bei diesem Auftritt einfach wieder Donald Trump gewesen“, unterstreicht der Ex-Kanzler im Interview mit der Welt. Dass Trump mit der UNO nicht viel anfangen könne, sei bereits aus seiner ersten Amtszeit bekannt.

„Die UNO muss sich neu aufstellen“

Kurz stimmt dem US-Präsidenten im Kern zu: „Dass sich die UNO neu aufstellen muss, ist common sense.“ Die Vereinten Nationen hätten zwar große Verdienste, doch es gebe „Reformbedarf“. Die Organisation sei nicht mehr so effektiv im Lösen von Krisen, wie sie es sein sollte. Selbst UN-Generalsekretär António Guterres habe Kürzungen von tausenden Mitarbeitern angekündigt, bemerkt Kurz.

Sebastian Kurz (Bild) stellt sich hinter Donald Trump: Auch er hält die UNO für ineffektiv und reformbedürftig.APA/EVA MANHART

Zu Trumps Wortwahl: „Donald Trump ist vieles, aber definitiv kein Diplomat. Er ist wahrscheinlich der undiplomatischste und atypischste Politiker, den ich je getroffen habe.“ Österreichs Sicht auf die UNO sei jedoch eine andere als jene der USA. Für ein kleines Land wie Österreich sei Multilateralismus entscheidend, während die „Supermacht USA“ eine andere Perspektive habe.

Zwei-Staaten-Lösung ohne Wirkung

Dem Vorstoß Großbritanniens und Frankreichs zur Anerkennung eines Palästina-Staates kann Kurz nichts abgewinnen. Langfristig sei der Fokus auf eine Zwei-Staaten-Lösung richtig, doch aktuell „bringt diese Initiative rein gar nichts“. Weder sei deshalb eine Geisel freigelassen worden, noch habe die Aktion „ein Leben in Gaza gerettet“. Auch das Blutvergießen werde dadurch nicht beendet. Vorrang müsse nun der Kampf gegen die Hamas haben: „Die Terrororganisation dort ist der Ursprung allen Übels.“

Das Massaker vom 7. Oktober 2023 habe zudem einen wichtigen Prozess im Nahen Osten gestoppt – die Abraham Accords. Diese Friedensabkommen zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten hätten zuvor „eine irrsinnige Dynamik“ entfaltet. Der Hamas-Anschlag habe das Ziel gehabt, die Annäherung Israels und der Golfstaaten zu stoppen. „Kurzfristig hat das die Situation massiv erschwert.“ Frankreichs Perspektive auf den Nahen Osten sei zurzeit nicht hilfreich.

Gefahr durch Drohnenangriffe und Cyberattacken

Zur Frage, ob die NATO bei den jüngsten russischen Drohnenangriffen den „Test bestehen“ werde, warnt Kurz: „Das ist brandgefährlich. Jede Verletzung des Luftraums kann innerhalb von Sekunden zu einer totalen Eskalation führen. Was ist, wenn ein Jet abgeschossen und dabei ein russischer Pilot getötet wird?“

Drohnen würden künftig noch mehr zum Problem für Europa werden – ebenso wie Cyberangriffe, die sich häuften und die kritische Infrastruktur bedrohten. Neben dem Blutvergießen in der Ukraine seien es genau diese Spannungen mit Russland, die Europa vor seine größten Herausforderungen der nächsten Jahre stellen.