Seymor Hersh im Interview: „Der Krieg lief nicht gut, deshalb wurde Nord-Stream gesprengt“
Harte Kritik prasselt auf den US-Journalisten Seymour Hersh seit der Veröffentlichung der Recherche zum Nord-Stream-Anschlag nieder. Jetzt gab er dazu ein Interview – und bleibt dabei: Es waren die USA. Sie hatten die Befürchtung, dass Deutschland aufgrund der Sanktionen ein Ende des Krieges mit Russland will.
Der berühmte Investigativjournalist hat mit einem heftigst kritisierten Artikel in der Vorwoche für weltweites Aufsehen gesorgt. Laut Seymour Hersh (85) sind die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines von der US-Regierung mit Unterstützung Norwegens in Auftrag gegeben worden. US-Regierung und CIA wiesen Hershs Recherche-Ergebnisse auf das Schärfste zurück. Kritische Stimmen bemängelten zudem, dass Hersh seine anonyme Quelle nicht offenlegt. Seine Behauptungen seien somit nicht überprüfbar. Im Übrigen sei seine Recherche nicht stimmig.
Jetzt hat der Berliner Publizist Fabian Scheidler für die „Berliner Zeitung“ bei Seymour Hersh noch einmal nachgefragt.
Hersh: „USA hatten Angst, dass Deutschland die Sanktionen wegen eines kalten Winters aufheben würde“
Washington wollte Moskau ein Druckmittel wegnehmen und befürchtete, dass sich Berlin wegen des nahenden Winters von der Sanktionen verabschieden könnte, meint Seymour Hersh. Es sei darum gegangen, „dass Russland Westeuropa nicht mehr unter Druck setzen konnte, die Unterstützung der USA im Ukraine-Krieg zu beenden. Die Befürchtung war, dass Westeuropa nicht mehr mitmachen würde.“
Und Seymour Hersh weiter: „Ich glaube, der Grund für diese Entscheidung war, dass der Krieg für den Westen nicht gut lief und sie Angst vor dem nahenden Winter hatten. Nord Stream 2 wurde von Deutschland selbst auf Eis gelegt, nicht durch internationale Sanktionen, und die USA hatten Angst, dass Deutschland die Sanktionen wegen eines kalten Winters aufheben würde.“
„Warum sollte sich Norwegen nicht aus wirtschaftlichen Gründen mit den USA zusammentun?“
Der Star-Reporter erwähnt auch US-Außenminister Antony Blinken, der ein paar Tage nach der Sprengung der Pipelines auf einer Pressekonferenz erklärt hatte, „dass Putin ein wichtiger Machtfaktor genommen worden sei. Er sagte, die Zerstörung der Pipelines sei eine ungeheure Chance – eine Chance, Russland die Möglichkeit zu nehmen, die Pipelines als Waffe einzusetzen.“
Auf die Frage, weshalb sich Norwegen an der Aktion beteiligt hatte, meint Hersh: „Norwegen ist eine große Seefahrernation, und sie haben Energiequellen in der Tiefe. Sie sind auch sehr darauf bedacht, ihre Erdgaslieferungen nach Westeuropa und Deutschland zu steigern. Und das haben sie auch getan, sie haben ihre Exporte gesteigert. Warum sollten sie sich also nicht aus wirtschaftlichen Gründen mit den USA zusammentun? In Norwegen gibt es außerdem eine ausgeprägte Feindseligkeit gegenüber Russland.“
Hersh: „Es gibt einen Sprengstoff namens C4, der unglaublich wirkungsstark ist“
Auch auf die Durchführung der Operation geht Hersh nochmals ein und auf die CIA-Arbeitsgruppe, die zuvor erklärt hatte „Wir haben eine Möglichkeit, die Pipelines zu sprengen.“ Dazu der Pulitzer-Preis-Träger: „In der Marine der Vereinigten Staaten gibt es Einheiten, die sich mit U-Booten befassen, es gibt auch ein Kommando für Nukleartechnik. Und es gibt ein Minenkommando. Der Bereich der Unterwasserminen ist sehr wichtig, und wir haben ausgebildete Spezialisten dafür. Ein zentraler Ort für ihre Ausbildung ist eine kleine Urlaubsstadt namens Panama City mitten im Nirgendwo in Florida. Wir bilden dort sehr gute Leute aus und setzen sie ein.“
Solche Unterwasser-Minenspezialisten seien wichtig, um beispielsweise versperrte Eingänge zu Häfen frei zu machen. „Sie können auch die Erdöl-Unterwasserpipelines eines bestimmten Landes in die Luft jagen. Es sind nicht immer gute Dinge, die sie tun, aber sie arbeiten absolut im Geheimen.“ Damit sei für die entscheidende Gruppe im Weißen Haus klar, dass diese Gruppe die Operation erfolgreich durchführen könnte. „Es gibt einen Sprengstoff namens C4, der unglaublich wirkungsstark ist, vor allem bei der Menge, die sie verwenden. Man kann ihn mit Unterwasser-Sonargeräten fernsteuern.“
Hersh: „Ich glaube nicht, dass sie das gründlich durchdacht haben“
Auf die Frage nach der Motiven Washingtons – Schwächung Russlands bzw. der Beziehungen Russlands zu Westeuropa bzw. der deutschen Wirtschaft – entgegnet der Journalist: „Ich glaube nicht, dass sie das gründlich durchdacht haben. Ich weiß, das klingt seltsam. Ich glaube nicht, dass Außenminister Blinken und einige andere in der Regierung tiefgründige Denker sind.“ Möglicherweise gab es Personen, die sich über eine höhere Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft freuten. Doch für das Weiße Haus dürften diese Überlegungen nicht entscheidend gewesen sein.
Seymour Hersh glaubt, „man war immer nur von der Wiederwahl besessen, und man wollte den Krieg gewinnen, man wollte einen Sieg erringen, man wollte, dass die Ukraine irgendwie magisch gewinnt. Es könnte einige Leute geben, die denken, dass es vielleicht besser für unsere Wirtschaft ist, wenn die deutsche Wirtschaft schwach ist, aber das ist verrückt. Ich denke, dass wir uns in etwas verstrickt haben, das nicht funktionieren wird, der Krieg wird für diese Regierung nicht gut ausgehen.“
Kommentare