„Staatlicher Fitnesstest“ oder Musterung durch die Hintertür?
Während in Berlin über die Rückkehr zur Wehrpflicht gestritten wird, versuchen Wehrbeauftragte dem Bild der Musterung einen neuen Anstrich zu verpassen – als „kostenfreien Fitnesstest“ für junge Menschen.
Deutschland diskutiert die Rückkehr zur Wehrpflicht – die Musterung wird als „Fitnesstest“ neu verpackt.IMAGO/SEPA.Media
Doch Kritiker sehen darin eine gefährliche Schönfärberei einer alten Agenda: der schleichenden Militarisierung einer Generation, die man an den Gedanken des Krieges gewöhnen will.
Der neue Anstrich der Musterung
Deutschlands Verteidigungspolitik steht an einem Wendepunkt. Nach Jahren der Diskussion um Personalnot und angeblich wachsende Bedrohungen drängt die Politik auf ein neues Wehrdienstmodell. Besonders der Wehrbeauftragte des Bundestags, Henning Otte (CDU), bemüht sich derzeit, das Konzept der Musterung in ein zeitgemäßes Licht zu rücken.
Was früher als Pflichttermin mit strenger Atmosphäre galt, soll nun zum „Service-Angebot“ werden – eine Art Gesundheitscheck mit patriotischem Beigeschmack. Otte sprach in der Rheinischen Post von einer „positiven Erfahrung“, ja sogar von einem „kostenfreien staatlichen Fitnesstest“. Die Untersuchung könne, so Otte, „ein Beitrag zur Gesundheitsfürsorge“ sein – frei von Zwang, aber mit klarer Erwartungshaltung an die Jugend.
Zwischen Einberufung und Imagepflege
Während Otte mit Begriffen wie „Freiwilligkeit“ jongliert, läuft die politische Debatte längst in eine andere Richtung. Die Bundesregierung arbeitet an einem Gesetz, das die Rückkehr zu einer flächendeckenden Musterung vorsieht – ein Schritt, der vielen Beobachtern zufolge den Boden für eine erneuerte Wehrpflicht bereitet.
SPD und CDU zeigen sich dabei ungewöhnlich einig. Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) erklärte bereits, die Gespräche stünden „kurz vor dem Abschluss“. Ein zügiger Beschluss noch vor Jahresende gilt als wahrscheinlich.
Die Rückkehr der Wehrmentalität
Dass die politische Spitze diese Entwicklung mit festlichem Pathos begleitet, zeigt sich an Symbolpolitik wie dem diesjährigen 70. Jubiläum der Bundeswehr. In Berlin sollen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsminister Boris Pistorius beim feierlichen Gelöbnis vor dem Reichstag Präsenz zeigen – ein Ritual, das die emotionale Bindung an Uniform und Flagge stärken soll.
Ein Service mit Hintergedanken
Was als harmlose Modernisierung verkauft wird, ist in Wahrheit ein rhetorischer Etikettentausch. Die Musterung soll zum Fitness-Test werden, die Wehrpflicht zur „Chance für die Jugend“. Dahinter steht jedoch eine klare politische Agenda: die schleichende Rückkehr der Wehrmentalität in Zeiten wachsender Kriegsrhetorik.
Deutschland versucht, seine jungen Bürger freundlich zu mustern – aber am Ende geht es nicht um Fitness, sondern um Verfügbarkeit. Und wer genau hinhört, merkt: Diese neue Freundlichkeit trägt Uniform.
Kommentare