Was als friedliche Chanukka-Feier am Strand begann, endete in einem Blutbad. Am 14. Dezember 2025 eröffneten zwei bewaffnete Männer – Vater (50) und Sohn (24) – das Feuer auf die öffentliche Veranstaltung „Chanukah by the Sea“ am Bondi Beach in Sydney. Mindestens 15 Menschen wurden ermordet, rund 40 weitere verletzt. Unter den Toten: ein zehnjähriges Kind, ein Chabad-Rabbi und ein Holocaust-Überlebender.

Australiens Behörden stuften die Tat rasch als gezielten antisemitischen Terroranschlag ein. Der US-amerikanische Sicherheitsexperte Stephen D. Bryen spricht in seinem Blog Weapons and Strategy von einem vorhersehbaren Desaster – verursacht durch politische Ignoranz und sicherheitspolitisches Versagen.

Trauer nach dem Terror: Blumen für die Opfer des antisemitischen Anschlags auf die Chanukka-Feier am Bondi Beach – 15 Menschen wurden ermordet.APA/AFP/Saeed KHAN

„Das Ausmaß der Bedrohung“

Bryen, ein ehemaliger Pentagon-Beamter und langjähriger Analyst für Sicherheits-, Terror- und Verteidigungsfragen, findet deutliche Worte. Der Anschlag zeige „das Ausmaß der Bedrohung für die jüdische Gemeinschaft – nicht nur in Australien, sondern weltweit“.

Australien sei seit Jahren von wachsendem Antisemitismus geprägt, während Politik und Behörden die Warnungen der jüdischen Gemeinde ignoriert oder relativiert hätten. Besonders schwer wiegt für Bryen die Tatsache, dass es sich um eine öffentlich beworbene jüdische Großveranstaltung an einem symbolträchtigen Ort handelte – ohne erkennbaren Polizeischutz.

Kaum Polizei, ein bekannter Attentäter und ein mutiger Zivilist

Videoaufnahmen vom Tatort zeigen Erschütterndes: Bis zum Beginn des Schusswechsels ist keine aktive Polizeipräsenz zu sehen. Erst als bereits geschossen wurde, trafen Einsatzkräfte ein. Die Täter nutzten sechs Schusswaffen, alle legal auf den Vater registriert. Dieser wurde von der Polizei erschossen, der Sohn schwer verletzt festgenommen.

Besonders brisant: Der überlebende Täter war dem Inlandsgeheimdienst ASIO bereits bekannt. 2019 stand er wegen Kontakten zu islamistischen Kreisen unter Beobachtung – wurde jedoch nicht als akute Gefahr eingestuft. Jahre später konnte er unbehelligt ein Massaker verüben.

Der wohl dramatischste Moment: Ein unbewaffneter Zivilist griff ein. Der 43-jährige Ahmed El Ahmad überwältigte einen der Schützen, riss ihm die Waffe aus der Hand und verhinderte so vermutlich ein noch größeres Massaker. El Ahmad wurde dabei zweimal angeschossen, als vom erhöhten Fußweg weiter auf die Menge gefeuert wurde. Bryens Fazit ist unmissverständlich: Wenn ein Zivilist das Leben von Dutzenden retten muss, weil staatlicher Schutz fehlt, ist die Sicherheitsarchitektur gescheitert.

„Gas the Jews“ – das ignorierte Warnsignal

Der Anschlag kam nicht aus dem Nichts. Bereits am 9. Oktober 2023, zwei Tage nach dem Hamas-Massaker in Israel, skandierten Teilnehmer einer pro-palästinensischen Kundgebung vor dem Opernhaus von Sydney offen: „Gas the Jews“.

Die Parole wurde gefilmt, verbreitet – und blieb weitgehend folgenlos. Für viele Juden in Australien war dies der Wendepunkt: Offener Judenhass war wieder öffentlich sagbar, ohne spürbare Konsequenzen.

In den Monaten danach folgten Brandanschläge, Schmierereien, Drohungen und Angriffe auf jüdische Einrichtungen. Eine nachhaltige Abschreckung blieb aus.

Warnungen aus Israel

Nach dem Anschlag bestätigten israelische Stellen, dass Australien wiederholt gewarnt worden sei. Präsident Isaac Herzog erklärte, man habe die Regierung in Canberra mehrfach auf die eskalierende Gefahr hingewiesen. Premierminister Benjamin Netanjahu warf der australischen Führung vor, den Antisemitismus nicht entschieden genug bekämpft zu haben.

Antisemitismus auf Rekordniveau

Die Zahlen untermauern die Kritik. Laut dem Exekutivrat der australischen Juden (ECAJ) wurden zwischen Oktober 2024 und September 2025 mehr als 1.650 antisemitische Vorfälle registriert. Im Jahr davor waren es sogar mehr als 2.000 – ein Anstieg von über 300 Prozent gegenüber der Zeit vor dem 7. Oktober 2023.

Selbst die staatliche Antisemitismus-Beauftragte Jillian Segal räumte nach dem Anschlag ein: „Die Zeichen standen längst an der Wand.“

Trauer: Mitglieder der jüdischen Chabad-Gemeinde von gedenken der Opfer.APA/AFP/Saeed KHAN

Opposition mit scharfer Kritik

Scharfe Kritik übte auch die Opposition. „Wir haben einen klaren Mangel an Führungsstärke beim Schutz jüdischer Australier gesehen“, kritisierte Sussan Ley von der liberal-konservativen Liberalen Partei. Sie sagte weiter: „Wir haben eine Regierung, die Antisemitismus als ein Problem betrachtet, das gemanagt werden muss, und nicht als ein Übel, das ausgerottet werden muss.“

Versagen öffentlich-rechtlicher Medien: Wenn Judenhass kleingeredet wird

Nicht nur Politik und Sicherheitsbehörden stehen in der Kritik – auch australische Leitmedien. Besonders der öffentlich-rechtliche Sender ABC geriet wiederholt unter Beschuss, Antisemitismus zu relativieren oder nicht mit der nötigen Schärfe zu benennen. Der liberale Senator James Paterson sprach von einer „erschreckenden Gleichgültigkeit“ des Staatssenders gegenüber dem antisemitischen Krisenzustand im Land.

Auslöser war unter anderem eine Sendung von ABC-Moderator Paul Barry, der sich im Mai 2024 darüber lustig machte, dass Sky News beinahe täglich über antisemitische Vorfälle berichtete. Paterson konterte scharf: Angesichts eines Anstiegs von bis zu 700 Prozent bei antisemitischen Zwischenfällen sei diese Berichterstattung keine Panikmache, sondern journalistische Pflicht. Es sei vielmehr „eine nationale Schande“, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk so wenig Interesse an der Angst jüdischer Bürger zeige.

Auch Joe Gersh, ehemaliger ABC-Direktor, äußerte sich besorgt. Ausgerechnet der nationale Broadcaster habe die Dimension der Krise „nicht vollends begriffen“ und die Berichterstattung darüber weitgehend anderen überlassen.

Hinzu kam eine zweite Form der Verharmlosung: In Kommentaren – etwa bei Guardian Australia – wurde suggeriert, die Sorge vor einer „Antisemitismus-Krise“ sei überzogen und müsse ins Verhältnis zu anderen Hassverbrechen gesetzt werden. Experten widersprachen vehement. Der Antisemitismus-Forscher Dr. Andre Oboler stellte klar, dass seit dem 7. Oktober 2023 nicht nur die Zahl, sondern auch die Brutalität der Vorfälle massiv zugenommen habe – von Holocaust-verharmlosenden Schmierereien bis zu offenen Todesdrohungen gegen Juden.

Bryens Lehre

Stephen Bryen zieht eine klare Schlussfolgerung: Gute Sicherheit schreckt Terror ab. Schlechte oder fehlende Sicherheit lädt zur Gewalt ein.

Genau diesem Thema widmet sich auch sein demnächst erscheinendes Buch („Security Planning for Holy Places“), eine aktualisierte Fassung seines Werks von 2019. Darin beschreibt er detailliert, wie religiöse Einrichtungen geschützt werden müssen – und welche tödlichen Folgen politische Bequemlichkeit haben kann.

Fazit: Der Hass war sichtbar. Die Warnungen zahlreich. Die Gefahr bekannt. Und dennoch wurden feiernde Juden bei einem religiösen Fest nicht geschützt. Wenn ein Staat trotz all dieser Signale versagt, ist das kein tragischer Zufall. Es ist Staatsversagen.