Noch vor einem Jahr machte sich jeder unbeliebt, der einen Sieg Kiews gegen Moskau für unwahrscheinlich und eine Verhandlungslösung samt Kompromiss für erstrebenswert hielt. Heute sehen das zahlreiche Medien anders – allerdings nicht das Weiße Haus, zumindest den öffentlichen Stellungnahmen zufolge. Wenige schmeichelhaft sind die Worte, die der investigative Journalist und Pulitzer-Preisträger Hersh für die jetzige Administration findet: „In Bidens außenpolitischem Team herrscht immer noch Wunschdenken vor, während das Gemetzel in der Ukraine weitergeht.“

In seinen öffentlichen Mitteilungen will US-Außenminister Anthony Blinken von Unstimmigkeiten mit Kiew und Fehler der Kriegspolitik nichts wissen.APA/AFP/POOL/LEAH MILLIS

Auch Blinken wisse: Werden den Krieg gegen Russland nicht gewinnen

Hersh hat heuer dem eXXpress exklusiv ein Interview über seine Enthüllungen rund um die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines gegeben. Seine neueste Aufdeckung stützt sich neuerlich auf Insiderwissen von – mindestens – einem US-Geheimdienst-Mitarbeiter. Hinter den Kulissen glaubt demnach niemand mehr so Recht an einen Erfolg von Kiews Gegenoffensive und an einen Sieg über Russland, wie Hersh in seinem jüngsten Beitrag auf Substack berichtet.

Selbst Außenminister Tony Blinken habe „begriffen, dass die Vereinigten Staaten“ – sprich: ihr Verbündeter: die Ukraine – „den Krieg gegen Russland nicht gewinnen werden“.

CIA: Offensive Kiews wird nicht funktionieren

Beamte innerhalb des US-Geheimdienstes seien zuvor auf zu optimistische Ankündigungen des ukrainischen Präsidenten hereingefallen. Das habe man nun Blinken klar gemacht: „Über die Agentur [CIA] wurde ihm mitgeteilt, dass die ukrainische Offensive nicht funktionieren würde. Es war eine Show von Selenskyj, und es gab einige in der Verwaltung, die seinen Schwachsinn glaubten.“

Der Außenminister hatte auf mehr gehofft, berichtet die anonyme Quelle: „Blinken wollte ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine aushandeln, wie es Kissinger in Paris zur Beendigung des Vietnamkriegs getan hat.“ Stattdessen „war es eine große Niederlage, und Blinken ist weit über seine Verhältnisse gefahren. Aber er will nicht als Hofnarr dastehen“.

Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger (l., im Bild mit US-Präsident Gerald Ford) konnte einst eine Beendigung des Vietnahmkriegs aushandeln.APA/AFP

Wunschvorstellung prägt öffentliche Reden – doch „das Ende naht“

Nach außen hin sind allerdings weiterhin ganz andere Töne zu hören. Tony Blinken hatte noch vor wenigen Monaten öffentlich bekräftigt, dass es in der Ukraine keinen sofortigen Waffenstillstand geben werde. Er ist nach wie vor im Amt, wie Hersh bemerkt, „und würde, wenn man ihn fragt, sicherlich jegliche Unzufriedenheit mit Selenskyj oder der mörderischen und gescheiterten Kriegspolitik der Regierung in der Ukraine bestreiten.“

Zumindest an der Rhetorik Washingtons werde sich somit vorerst nichts ändern, so lautet das Fazit von Seymour Hersh: „Die Wunschvorstellung des Weißen Hauses in Bezug auf den Krieg wird sich also fortsetzen, wenn es darum geht, mit dem amerikanischen Volk realistisch zu reden. Aber das Ende naht, auch wenn die Einschätzungen, die Biden der Öffentlichkeit liefert, einem Comic entstammen.“