Studie der Stadt Wien verharmlost Angst junger Frauen
Für 42.314,71 Euro ließ die Stadt eine Studie erstellen, die Ängste junger Frauen im öffentlichen Raum herunterspielt. Trotz Berichten über Übergriffe und gefährliche Orte wird die Schuld den Medien gegeben. Migration bleibt unerwähnt, Täterprofile fehlen völlig.
Eine 42.000 Euro Studie der Stadt Wien verharmlost das Unsicherheitsgefühl junger Frauen.IMAGO/McPHOTO
Wien gilt in internationalen Rankings als eine der sichersten Großstädte Europas. In den Hochglanzstatistiken liest sich das beeindruckend – doch das Bild, das junge Frauen von ihrer Stadt zeichnen, ist oft ein anderes. Eine aktuelle, von der Stadt Wien in Auftrag gegebene qualitative Untersuchung (Kostenpunkt: 42.314,71 Euro aus der „Partizipativen Kinder- und Jugendmillion“) zeigt ein Spannungsfeld zwischen offizieller Sicherheit und subjektiver Unsicherheit. Die Studie beleuchtet Erfahrungen von 81 Jugendlichen, vor allem junger Frauen (Durchschnittsalter 16.4 Jahre), und offenbart Erzählungen, die den offiziellen Sicherheitsmythos brüchig machen.
Zwischen Ausgehfreude und gemiedenen Orten
Die Jugendlichen gehen aus – in Clubs, Bars, Parks, zu Konzerten oder privaten Feiern – meiden jedoch Orte mit „schlechtem Ruf“. Wiederholt fällt der Name Reumannplatz. Einige meiden ihn gänzlich, andere fühlen sich vor Ort sicher, halten ihn aber „allgemein“ für gefährlich.
Was in den Erzählungen auftaucht, ist brisant: „Also, auch eben nicht direkt erfahren. Aber man sieht in den Aufnahmen schon so, dass Bandenkriege oft dort sind und so Messerstechereien. Und da wohnt eine Freundin von mir und die wird meistens noch von den Eltern nach Hause gebracht. Zum Teil, weil es halt schon ziemlich unsicher ist.“ Trotz solcher Aussagen spielt die Stadt Wien den gefährlichen Ruf herunter. Die von ihr bezahlte Studie erklärt diesen Widerspruch mit dem Einfluss „medialer Berichterstattung“. Also, nicht die Vorfälle selbst, sondern die Schlagzeilen sorgen für Angst. Für viele junge Frauen, die solche Szenen selbst erlebt oder miterlebt haben, ist das eine Verhöhnung ihrer Realität.
Was tatsächlich passiert: Erfahrungen im öffentlichen Raum
Die Gruppenberichte enthalten konkrete Vorfälle – vom aggressiven Nachstellen bis zu körperlichen Übergriffen in Öffis. Ein Beispiel: „…ein Mann [ist] eingestiegen, ist zu uns gekommen und hat sie so angefasst… Wir haben auch Hilfe gerufen, aber niemand hat irgendwas gemacht.“ (FG5, weiblich). Solche Schilderungen sind kein „Medienkonstrukt“, sondern Erlebnisse der Betroffenen.
Die Studie hält allerdings fest, dass es „real erlebte, teilweise sehr heftige Erlebnisse“ gibt, die in keiner offiziellen Statistik aufscheinen, weil sie nicht gemeldet werden. Das untermauert, warum Statistiken das Ausmaß nicht vollständig abbilden und es möglicherweise ein Irrglaube ist, dass es am häufigsten zu Übergriffen im privaten Haushalt kommt – das könnte sich über die letzten Jahre deutlich verändert haben.
Ausgeblendet: Migration und Täterprofile
Und hier zeigt sich das eigentliche Problem: Während konkrete Orte und Erlebnisse benannt werden, bleiben entscheidende Fragen unbeantwortet. Wer sind die Täter? Gibt es Muster, die bestimmte Gruppen, Milieus oder Hintergründe betreffen?
Auffällig: Obwohl in den Schilderungen immer wieder Gruppen junger Männer oder alkoholisierte Männer in bestimmten Gegenden vorkommen, verzichtet die Studie völlig darauf, Täterprofile zu analysieren oder Angaben zu Herkunft, Nationalität oder Integrationshintergrund zu machen. Migration als möglicher Faktor wird mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen bleibt die Darstellung auf einer abstrakten Ebene: „patriarchale Strukturen“ werden als Erklärung für Unsicherheit und Gewalt angegeben.
Was wirklich passiert – und was in keiner Statistik steht
Die Erfahrungsberichte sind hingegen äußerst konkret: „Ich war am Bahnhof und es war 3:00 Uhr nachts und ich war mit einer Freundin, wir haben auf die S-Bahn gewartet. Und dann war da so ein Typ, der war auch schon älter und betrunken und auch richtig aggressiv. Er hat dann begonnen uns anzuschreien und dann sind wir weggerannt und er ist uns hinterhergerannt. Wir sind dann auf die Gleise und dann haben wir uns versteckt und dann sind wir runter und weggerannt.“
Eine andere junge Frau berichtet: „Früher hatte ich nicht so sehr Angst, aber jetzt. Mittlerweile habe ich eher Angst, alleine zu gehen.“
Diese Vorfälle tauchen in keiner Kriminalstatistik auf, weil sie schlicht und ergreifend nicht gemeldet werden, da viele Betroffene überzeugt sind, dass die Polizei ohnehin nichts tun würde oder ihnen nicht glaubt. Eine Teilnehmerin bringt es auf den Punkt: „Du hörst auch so oft als Frau, dass du halt nicht ernst genommen wirst, wenn du zum Beispiel bei der Polizei anrufst. Oder was soll die Polizei machen, wenn du anrufst und sagst: ,Hey, mir hat gerade auf der Straße auf den Arsch gehauen worden […].‘ Was soll die Polizei machen, wenn du anrufst?“
Leben mit ständiger Selbstkontrolle
Die Reaktionen der jungen Frauen sind ein stiller Beweis dafür, wie tief Unsicherheit in den Alltag eingesickert ist: „Ich tue einfach so, als würde ich telefonieren, wenn mir jemand komisch vorkommt.“ Andere klemmen den Schlüssel zwischen die Finger, lassen sich abholen oder nehmen lieber ein Taxi. „Wenn ich mit meinem Freund nachhause gehe, dann kann ich mein Gehirn ausschalten und wenn ich mit einer Freundin gehe, dann schaue ich trotzdem noch.“
Politisch genehme Erzählung statt ehrlicher Analyse
Die Studie hätte die Chance gehabt, alle Faktoren zu benennen, die das Sicherheitsgefühl prägen – gesellschaftliche, bauliche und auch demografische. Doch statt unangenehme Fragen zu stellen, liefert sie eine Lesart, die sich nahtlos in den politischen Diskurs der Auftraggeberin einfügt: gefährliche Orte sind ein Medienkonstrukt, Migration kein Thema und Wien weiterhin die sicherste Stadt der Welt.
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