Alles begann in der letzten Juli-Woche: Der neue Spot der US-Modekette American Eagle mit Sydney Sweeney sorgte für Aufregung. Kern ist ein Wortspiel, das auf Englisch gleich klingt: „Jeans“ und „Genes“. Der Slogan „Sydney Sweeney has great jeans“ lässt zwei Lesarten zu: „tolle Jeans“ – oder eben „tolle Gene“.

Im Off-Text des Clips sagt Sweeney (deutsch übertragen): „Gene werden von den Eltern an die Nachkommen weitergegeben und bestimmen oft Merkmale wie Haarfarbe, Persönlichkeit und sogar Augenfarbe. Meine Jeans sind blau.“

„Kann denn Schönheit Sünde sein?“ – Sydney Sweeney auf dem roten Teppich.APA/AFP/HENRY NICHOLLS

Weil Sweeney weiß, blond und blauäugig ist, werteten Kritiker das als Anspielung auf Eugenik und ein weißes Schönheitsideal. Der Clip flog nach dem Entrüstungssturm von den Social-Kanälen der Marke.

Die Shitstorm-Choreografie seit den 2010ern

Das Muster solcher Empörungswellen ist hinlänglich bekannt: erst Reizwort, dann Empörung, schließlich Boykott-Rufe samt Medienwelle. Identitätspolitische Aufreger folgen seit den 2010ern immer wieder und immer häufiger dieser Dramaturgie – oft zeitverzögert.

Ein jüngeres Beispiel: das Videospiel „Hogwarts Legacy“. Monatelang kursierten Boykottaufrufe wegen J. K. Rowlings Trans-Debatten und eskalierten erst rund um die Veröffentlichung am 10. Februar 2023. Empörung braucht häufig Anlauf.

Der Spott der Rechten

Doch im Falle der Jeans-Werbung mit Sydney Sweeney wurde die Empörung zum Bumerang. Dauer-Shitstorms gegen alles und jeden: Irgendwann wird’s halt lächerlich. Als die Vorwürfe („Eugenik“, „Nazi-Bezüge“) kreisten, konterte die rechte Seite mit Hohn – und Reichweite:

Nun gelten Leute schon als „Nazis“, wenn sie Sydney Sweeney für schön halten, spottet JD Vance (Bild).APA/AFP/Elijah Nouvelage

US-Vize J. D. Vance stichelte: Demokraten beschimpften Leute schon als „Nazis“, wenn sie Sweeney schön fänden. US-Senator Ted Cruz kommentierte: „Jetzt ist die verrückte Linke gegen schöne Frauen.“ US-Präsident Donald Trump lobte den Spot weil „nicht woke“. Charlie Kirk (Chef von Turning Point USA), Clay Travis (Moderator, OutKick) und Michael Knowles (Kommentator, Daily Wire) erklärten die linke Erregungskultur zur Dauersatire.

Das Ergebnis: Memes, Clips, Häme – und eine noch lautere Debatte.

Der bequeme Spin der New York Times

Das gefiel der New York Times gar nicht. Gestützt auf eine eigene Auswertung, die später auch der österreichische Standard übernahm, präsentieren beide die Sache so:

In der Frühphase habe es kaum linke Kritik gegeben, vielmehr überwiegend Zustimmung (ca. 3:1): „Insgesamt gab es drei Mal so viele Beiträge unterstützend zur Kampagne und zu Ms. Sweeney auf X wie kritische Beiträge.“ Falls es Kritik gab, kam sie von kleinen Accounts. Erst später hätten rechte Influencer, Sender und Politiker die Debatte groß gemacht und von einem linken Shitstorm gesprochen, den es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gab. Demokratische Amtsträger hätten die Werbung nicht attackiert; Konservative hätten sie demonstrativ verteidigt.

Eine Filiale von American Eagle: Die Kampagne prägte zeitweise das Stadtbild.IMAGO/UPI Photo

Kurz: Der große Aufreger sei ein Produkt rechter Verstärkung – die Linke habe höchstens defensiv reagiert. Das ist die Auswertung der New York Times. Ganz abgesehen davon, dass die linke Erregung ja keine Fata Morgana war, hat die Behauptung Löcher.

Warum diese Erzählung wackelt

1) Plattform-Scheuklappen
Die Zahlen der New York Times beruhen ausschließlich auf X (Twitter). TikTok taucht nur als Beispielclip auf, ohne eigene Messung. Für Instagram, YouTube, Threads, Reddit gibt es keine ausgewiesene Analyse. Somit bleiben zahlreiche Kanäle, in denen linke Milieus ebenfalls laut sind, außen vor. Aus „Auf X war wenig los“ wird so vorschnell „Es gab noch keinen Shitstorm“.

Auch auf dem New Yorker Times Square: „Sydney Sweeney has great jeans“ im XXL-Format.

2) Enges Zeitfenster und eine Irreführung
Die New York Times misst einen Früh-Snapshot von genau zwei Tagen: 24. bis 25. Juli 2025 (nur X/Twitter). Der Kampagnenstart war am 23. Juli. Aber: Der rechte Spott setzte erst am 27. und 28. Juli ein. Brisant: Im Artikel heißt es einleitend: „Tatsächlich erwähnten zum Zeitpunkt, als rechte Nutzer bereits in Aufruhr waren, … nur einige tausend Beiträge auf X Sydney Sweeney.“ Und: „Weniger als zehn Prozent hätten eindeutige Kritik geübt.“ Das ist irreführend, denn die Kennzahlen stammen aus der Frühphase, bevor sich die Rechten einschalteten – ein rhetorischer Zeitsprung. Im Übrigen: Empörungswellen, gerade bei Identitätsthemen, oft erst nach Tagen.

3) Reichweite ist nicht gleich Relevanz
Kleine Accounts können Frames setzen, die sich memetisch verbreiten. Geringe Followerzahlen in der Startphase sagen wenig über die Wirkung.

Markante Beispiele linker Empörung

Ob von Rechten angestoßen oder nicht: Die linke Empörungswelle war real, wie markante Beispiele zeigen.

„Das ist Eugenik. Nazi-Propaganda. Und das unverhohlen.“, erklärte US-Autorin Elle M. Drew. Ihre Attacke auf die Sweeney-Kampagne wurde von Leitmedien auch aufgegriffen.

„GenericArtDad“ (Chris Glover), reichweitenstarker US-TikTok-Creator, erklärte: „Die Vorstellung, dass deine Gene besser seien, ist Überlegenheits-Denken“, überdies seien das „Codierte Signale an Überlegenheits-Ideologen.“ Er lässt keinen Zweifel daran und list das „good genes/jeans“-Wortspiel ausdrücklich als rassische Überlegenheits-Botschaft.

Der Slogan löste die „Jeans/Genes“-Diskussion aus.IMAGO/UPI Photo

Dr. Sayantani DasGupta, Dozentin an der Columbia University, sowie Autorin und Medizinerin, verlieh der Empörung in YouTube-Videos sogar akademische Autorität: „Wirklich von eugenischer Botschaft durchdrungen“, meinte sie mit Blick auf die Werbung.

Auch Medien sprangen auf den Zug auf. „Es sind nicht einfach nur ,gute Gene’. Es ist eine düstere Erinnerung an die Geschichte“, kommentierte The 19th, ein progressives US-Non-Profit-Medium. „Unsensibler Marketing-Schachzug“, erklärte das linksliberale US-Onlinemagazin Salon, und sah Nähe zu eugenischer Sprache. Ein meinungsstarkes Leitmedium hat damit die Kampagne selbst problematisiert.

Das Bild hinter der Eugenik-DebatteIMAGO/UPI Photo

Wird den Linken ihre Erregungskultur langsam peinlich?

Die Empörung war nicht erfunden. Linke Creator und Medien haben den Eugenik-Rahmen selbst gesetzt. Das spätere „Das waren die Rechten“ wirkt wie der Versuch, die eigene Erregungskultur zu entsorgen, sobald sie Spott erntet. Haben Konservative die Welle zusätzlich befeuert – vielleicht sogar gezielt? Möglich. Gerade das zeigt, wie berechenbar diese Maschine geworden ist – und wie wenig sie vielerorts noch verfängt. Gut so: Zu viele Menschen wurden von Rufmord-Kampagnen bereits an den Rand gedrängt.

Wenn die Linke mittlerweile selbst genervt ist von ihrer Dauererregung: umso besser. Solange jedes Wortspiel zur „weißen Eugenik“ und jede Werbung zum „Systemsignal“ erklärt wird, kommt der Bumerang zurück. Angefangen haben damit dennoch: die eigenen Reihen.