Afghanistans Nachbarländer sind alarmiert: Radikal-islamische Taliban bringen wichtigen Grenzabschnitt unter ihre Kontrolle
Eine wichtige Verbindung für Pakistan, Afghanistan, Iran und zentralasiatische Länder wird nun von den Taliban kontrolliert. Russland warnt die Taliban vor einer Destabilisierung. Amnesty International fordert ein Ende der Abschiebungen. Großbritannien ist unterdessen zu Gesprächen mit den Taliban bereit.
Die radikal-islamischen Taliban in Afghanistan haben eigenen Angaben zufolge die Kontrolle über einen bedeutenden Grenzabschnitt zu Pakistan übernommen. Zuvor hätten die afghanischen Truppen einen wichtigen Grenzposten aufgegeben. “Damit ist die wichtige Straße zwischen Boldak und Chaman und Kandahar nun unter der Kontrolle der Mudschahedin”, teilte ein Sprecher der Taliban am Mittwoch mit. Afghanischen Regierungsdaten zufolge passieren täglich 900 Lastwagen diese Grenze.
Russland warnt vor Destabilisierung
Die Grenze sei eine wichtige Verbindung für Pakistan, Afghanistan, Iran und zentralasiatische Länder. Russland warnte die Taliban erneut davor, Zentralasien zu destabilisieren. Das werde zahlreiche Opfer fordern, zitierte die Nachrichtenagentur RIA das russische Außenministerium.
Ein Vertreter der pakistanischen Sicherheitsbehörden, der nicht namentlich genannt werden wollte, bestätigte der Nachrichtenagentur AFP die Eroberung des Grenzübergangs. “Sie haben ihre Flagge gehisst und die afghanische Flagge entfernt”, sagte er.
Nachbarstaaten fürchten Infiltration der Islamisten
Die afghanische Regierung widersprach zunächst. Dann teilte das Innenministerium in Kabul mit, es habe “einige Bewegungen in der Nähe des Grenzgebietes” gegeben. “Die Sicherheitskräfte haben den Angriff abgewehrt”, sagte ein Sprecher.
Angesichts des anhaltenden Vormarsches der Taliban wächst in den Nachbarstaaten die Sorge, dass sie in den Konflikt hineingezogen werden und die Islamisten Zentralasien infiltrieren könnten. Seit einiger Zeit suchen immer mehr afghanische Sicherheitskräfte und Flüchtlinge ihr Heil etwa in Tadschikistan und im Iran. Eine Taliban-Delegation versuchte vergangene Woche bei einem Besuch in Moskau, solche Bedenken zu zerstreuen. Ihr Territorium würde nicht gegen die Nachbarn genutzt werden.
Russland fordert Übergangsregierung, bevor es zu spät ist
Russland forderte die Taliban und Afghanistan auf, Verhandlungen über eine Übergangsregierung aufzunehmen, bevor es dafür zu spät sei. Dem Vormarsch der Taliban war der Beginn des Abzuges ausländischer Truppen vorausgegangen.
Von 1996 bis zu ihrem Sturz durch die US-geführten Truppen 2001 hatten die Taliban Afghanistan beherrscht und die Menschenrechte massiv beschnitten. Die USA intervenierten in Afghanistan an der Spitze eines NATO-Bündnisses kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Bis Ende August 2021 sollen alle US-Truppen abgezogen werden.
Amnesty International an Europa: Augen nicht schließen
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte von Europa ein Ende der Abschiebungen von Afghanen. Die Amnesty-Migrationsexpertin Adriana Tidona stellte sich hinter die Forderung des afghanischen Flüchtlingsministeriums, wegen der Sicherheitslage am Hindukusch vorläufig keine Abschiebungen dorthin mehr vorzunehmen.
Afghanistans Appell auf Grundlage einer sich verschlechternden Sicherheitslage bedeute, “dass Europa nicht mehr die Augen verschließen kann vor den Gefahren, denen afghanische Rückkehrer ausgesetzt sind”, erklärte Tidona in Berlin. “Jahrelang haben europäische Länder versucht zu ignorieren, was klar zu erkennen ist: Afghanistan ist nicht sicher, um Menschen dorthin zurückzubringen.”
Großbritannien zu Zusammenarbeit mit Taliban bereit
Unterdessen teilte Großbritannien mit, im Falle einer Regierungsübernahme durch die Taliban in Afghanistan mit den militanten Radikalislamisten zusammenarbeiten zu wollen. “Die britische Regierung wird sich auf jeden einlassen, der die Regierung stellt, vorausgesetzt er hält sich an bestimmte internationale Normen”, sagte Verteidigungsminister Ben Wallace dem “Daily Telegraph”. “Wie bei anderen Regierungen in aller Welt werden wir die Beziehung überprüfen, wenn sie Menschenrechte ernsthaft verletzen.” Wallace sagte, falls sich die Taliban pragmatisch verhielten, könne dies ein Fundament für langfristigen Frieden in Afghanistan sein. (APA/Red)
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