Was der exxpress bereits im September berichtet hat, bestätigt nun die Wiener Denkfabrik Agenda Austria: Österreich hatte 2024 den teuersten Sozialstaat der Welt. Laut OECD-Schätzung fließen 31,6 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung in Sozialleistungen – ein Rekordwert, den kein anderes Industrieland erreicht.

Anders gesagt: Nirgendwo wird so viel vom erwirtschafteten Wohlstand in Transfers, Gesundheit, Pflege, Pensionen umgeleitet wie hierzulande.

Vom Mitläufer zum Spitzenreiter

Noch vor wenigen Jahren lagen Frankreich, Belgien und Finnland vorne. Doch Österreich hat sie überholt, weil sich zwei Entwicklungen gleichzeitig hochschaukeln: explodierende Sozialausgaben und schrumpfende Wirtschaftsleistung.

Ein System, das in fast allen Bereichen wächst

Die Zahlen für 2024 sind eindeutig: Österreich gab 161,7 Milliarden Euro für soziale Leistungen aus – plus 10,2 Prozent gegenüber 2023. Nach EU-Definition (Statistik Austria) stieg die Sozialquote damit von 30,9 auf 33,3 Prozent des BIP – ein Sprung von 2,4 Prozentpunkten in nur einem Jahr. Nach OECD-/Agenda-Austria-Abgrenzung liegt Österreich 2024 bei 31,6 Prozent des BIP und damit an der Spitze der Industrieländer.

Es ist nicht ein einzelner Kostentreiber. Der Anstieg kommt aus fast allen Bereichen des Sozialstaats – Jahr für Jahr mehr, immer breiter:

Agenda Austria/Grafik

Krankheit und Gesundheit: 42,9 Milliarden Euro, +7,5 Prozent. Medizinische Teuerung, mehr Behandlungen und mehr ältere Patienten treiben die Kosten gleichzeitig nach oben.

Familie und Kinder: 14,1 Milliarden Euro, +12,6 Prozent. Valorisierungen und ausgeweitete Leistungen lassen diesen Block zweistellig wachsen.

Invalidität und Erwerbsunfähigkeit: 8,8 Milliarden Euro, +16,3 Prozent – einer der stärksten Sprünge im System.

Arbeitslosigkeit: 7,3 Milliarden Euro, +12,7 Prozent. Schwächelt der Arbeitsmarkt, steigen die Ausgaben sofort mit.

Wohnen und soziale Ausgrenzung: Das umfasst Wohnbeihilfen, Wohnungssicherung und Hilfen gegen Obdachlosigkeit – also Leistungen, die Menschen vor dem sozialen Absturz durch hohe Wohnkosten schützen. 2024 lag dieser Bereich bei 3,9 Milliarden Euro (−3,7 %), als einziger rückläufig, aber zu klein, um den Gesamtrekord zu bremsen.

2024 war kein Ausreißer, sondern ein systemischer Anstieg quer durch den Sozialstaat. Das erklärt, warum Österreich im OECD-Ranking so schnell nach oben geschossen ist.

Der Wirtschaftskuchen schrumpft

Während die Sozialkosten steigen, ging Österreichs reale Wirtschaftsleistung 2024 um −0,7 Prozent zurück. Der Sozialkuchen wird größer – aber der Wirtschaftskuchen kleiner. Genau diese Kombination macht Österreich zum neuen Spitzenreiter.

Agenda Austria kommentiert das mit ironischem Unterton und spricht von einem Land, das „in der sozialen Kälte gefangen“ sei – ein Hinweis darauf, dass hohe Sozialleistungen nicht automatisch Wohlstand erzeugen.

Fast ein Drittel des BIP: globaler Rekord

Nahezu jeder dritte Euro an Wirtschaftsleistung fließt in Pensionen, Pflege, Gesundheit oder andere Sozialleistungen. Weltweit gibt es keinen dokumentierten Wert, der höher liegt.

Der größte Brocken: Pensionen

Besonders groß ist der Einfluss der Pensionen: 15,9 Prozent des BIP entfallen 2024 allein auf Altersleistungen – ein Spitzenwert im OECD-Vergleich und fast die Hälfte der gesamten Sozialquote. Der Sozialstaat wird älter – und teurer.

Warum Pensionen zu den Sozialausgaben zählen

Oft heißt es: Pensionen seien Versicherungsleistungen und daher kein „Sozialaufwand“. Das greift zu kurz. Internationale Statistikstandards unterscheiden nicht nach dem Etikett „Hilfe“ oder „Versicherung“, sondern nach der Funktion: Alles, was Lebensrisiken absichert – Alter, Krankheit, Invalidität, Arbeitslosigkeit, Familie – zählt zum Sozialschutz. Pensionen sichern das Risiko Alter ab, daher sind sie Sozialausgaben.

Bei einem Umlagesystem wie in Österreich ist das noch klarer: Die Pension heute wird nicht aus einem persönlichen Spar-Topf bezahlt, sondern aus den Beiträgen der heutigen Erwerbstätigen. Es ist kollektive Finanzierung und Umverteilung – Sozialausgabe im Kern.

Warum Österreichs Umlagesystem so teuer ist

Dass die Altersleistungen so massiv ins Gewicht fallen, hat strukturelle Gründe:

Kaum entlastende zweite Säule: Österreich hängt überproportional an der staatlichen Umlage. Länder mit starker Kapitaldeckung verteilen die Last – Österreich nicht.

Früher Pensionsantritt: In Österreich bricht die Beschäftigung ab 60 viel stärker ein als im OECD-Schnitt. Wer früher aussteigt, bezieht länger – und zahlt kürzer ein.

Viele Frühzugänge: Korridorpension, Schwerarbeit, Invalidität – zahlreiche Wege erlauben einen früheren Ausstieg und belasten den Umlagetopf über Jahre.

Demografie und automatische Anpassungen: Mehr Pensionisten, steigende Lebenserwartung und valorisierte Leistungen erhöhen die Summe Jahr für Jahr.

Kurz gesagt: Österreich zahlt länger, an mehr Menschen, mit hohen Anpassungen – finanziert aber fast alles über ein System, das auf immer weniger Beitragszahler trifft.

Warum viele Ältere gar nicht länger arbeiten dürfen

Der frühe Ausstieg ist oft keine reine Einzelentscheidung, sondern Ergebnis von Regeln und Strukturen, die den Verbleib im Job erschweren.

Im öffentlichen Dienst ist der Ruhestand mit 65 weitgehend fixiert. Allerdings gibt es rechtliche Möglichkeiten, Beamte bei Dienstunfähigkeit oder fehlender Einsetzbarkeit amtswegig in Pension zu versetzen. In der Praxis bedeutet das: Wenn kein passender Arbeitsplatz gefunden oder vorgesehen ist, endet das Dienstverhältnis früher – und die Pension übernimmt.

Auch in der Privatwirtschaft ist längeres Arbeiten nicht immer so einfach, wie es klingt. Viele Kollektivverträge und betriebliche Regelungen setzen Anreize für frühe Abgänge oder machen Weiterbeschäftigung ab einem gewissen Alter organisatorisch und finanziell unattraktiv. Dazu kommen Umstrukturierungen und der Versuch, Personalkosten zu steuern – nicht unbedingt aus „Böswilligkeit“, sondern weil die Systeme so gebaut sind. Das Ergebnis ist dasselbe: Ältere verlassen den Arbeitsmarkt früher, auch unfreiwillig, und dem Umlagesystem fehlen genau jene Beitragsjahre, die es dringend bräuchte.

Ein Sozialstaat, der stark ist – und abhängig macht

Ein Sozialstaat wird problematisch, wenn sein Wachstum private Vorsorge verdrängt, die Abgabenlast erhöht und Eigenverantwortung abbaut.

Hohe Steuern und Beiträge lassen weniger Spielraum für Eigentum, Investitionen und Vermögensaufbau – besonders für junge Familien und Aufsteiger. Regulierungen bremsen zusätzlich. Das Ergebnis: mehr Abhängigkeit vom Staat, nicht automatisch mehr Fairness.

Die Agenda Austria kommentiert: „Was für manche nach Sicherheit klingt, hat gravierende Nebenwirkungen: Wenn der Staat immer mehr übernimmt, verlieren Menschen den Anreiz und die Möglichkeit, selbst vorzusorgen und Vermögen aufzubauen. Öffentliche Pensionen verdrängen private Vorsorge, Mietregulierungen machen Eigentum unattraktiv, und hohe Steuern nehmen den Bürgern die Freiheit, in ihre Zukunft zu investieren.“

Mehr Steuern seien daher ungerecht. „Das Ergebnis ist nicht mehr Gerechtigkeit, sondern hohe Vermögensunterschiede. Wer für eine gerechtere Verteilung eintritt, sollte weniger Steuern statt mehr Steuern fordern. Für mehr Eigenverantwortung, mehr Eigentum und nicht nach noch mehr nach Nanny-State rufen.“