In einem scharfen Kommentar warnt der britische Journalist Owen Matthews in The Telegraph vor der gefährlichen Situation, in der sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj befindet. Die Ukraine steht aufgrund des anhaltenden Krieges nicht nur vor einer fast unlösbaren militärischen und politischen Krise, sondern auch vor einem sich ausweitenden Korruptionsskandal, der die politische Stabilität des Landes gefährdet. Doch statt sich den wahren Herausforderungen zu stellen, scheint Selenskyj zu symbolischen Aktionen zu greifen, die das Land weiter belasten könnten.

Ukrainische Militärsanitäter behandeln einen verwundeten Soldaten in der Region Donetsk, während die russischen Invasion in der Ukraine weiter voranschreitet.APA/AFP/Press service of the 93rd Separate Mechanized Brigade of the Ukrainian Ground Forces/Iryna Rybakova

Waffenverträge ohne finanzielle Grundlage

Selenskyj unterzeichnete kürzlich mehrere Waffendeals, die die Ukraine schlichtweg nicht bezahlen kann. So vereinbarte er mit Frankreich den Kauf von 100 Rafale-Kampfflugzeugen sowie fortschrittliche Luftverteidigungssysteme wie das SAMP/T-System. Gleichzeitig sicherte er sich mit Schweden 150 Gripen-Kampfjets und unterzeichnete ein Abkommen mit Griechenland über die Lieferung von amerikanischem Flüssiggas (LNG) für die südwestliche Ukraine. Diese Entscheidungen mögen angesichts der geopolitischen Lage und der militärischen Notwendigkeiten verständlich erscheinen. Doch Matthews stellt klar: „Die Ukraine hat nicht die finanziellen Mittel, um diese Verträge zu erfüllen.“

Bauen Macron und Selenskyj Luftschlösser? Der Ukraine fehlt das Geld für die jüngst beschlossenen Waffenkäufe.APA/AFP/POOL/Christophe Ena

Für den Publizisten steht fest: „Selenskyj setzt somit auf Waffenverkäufe und internationale Abkommen, ohne die nötigen Ressourcen für deren Finanzierung zu haben.“ Diese Strategie sei „magisches Denken“. Das Haushaltsdefizit von 60 Milliarden Dollar wird bis Februar 2026 nicht mehr tragbar sein. „Selenskyj ist in einer extrem schwierigen Lage, seine Versprechen zu halten“, warnt Matthews. Die Situation sei verzweifelt.

Im Februar wird dem Staat das Geld ausgehen, es sei denn, die EU stimmt einem Kredit von 140 Milliarden Euro zu, der durch russische Vermögenswerte abgesichert wird. Aber die Ukraine hat keine Hoffnung, diesen Kredit jemals zurückzuzahlen. Gleichzeitig lehnt Frankreich die Konfiszierung russischer Vermögenswerte weiterhin ab – aus Angst vor den rechtlichen Folgen und dem Abzug Investoren aus Europa.

Korruption im Inneren des Kreises

Während Selenskyj außenpolitisch auf Waffenlieferungen setzt, wird er innenpolitisch von einem schwerwiegenden Korruptionsskandal erschüttert. Mehrere Mitglieder seines inneren Kreises, darunter enge Vertraute, werden der Veruntreuung von 100 Millionen Dollar beschuldigt. Diese Gelder sollen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Luftverteidigungssystemen für Atomkraftwerke, die angesichts der russischen Angriffe besonders gefährdet sind, über Bestechungen geflossen sein.

Luftaufnahme zerstörter Gebäude in der Frontstadt Kostjantyniwka, Oblast DonezkAPA/AFP/93RD SEPARATE MECHANIZED BRIGADE "KHOLODNYI YAR"/Iryna Rybakova

Der ukrainische Präsident versuchte, die Ermittlungen zu stoppen, indem er die Antikorruptionsbehörde NABU unter staatliche Kontrolle stellen wollte. Straßenproteste zwangen ihn zum Einlenken. Matthews schreibt: „Der Versuch, die Ermittlungen zu stoppen, ist besonders schwerwiegend, da der Vorwurf des Kriegsprofiteierens inmitten der schwersten Energiekrise und der russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine erhoben wird.“

Die Situation eskalierte, als Timur Mindich, ein enger Verbündeter Selenskyjs und Mitgründer der TV-Produktionsfirma Kvartal-95, die der Präsident selbst ins Leben gerufen hatte, ins Zentrum der Ermittlungen geriet und vor einer Razzia nach Israel floh.

Wachsende Popularitätskrise und Militärdesertionen

Die politische Unterstützung für Selenskyj schwindet zunehmend. In seiner eigenen Partei fordern bereits erste Mitglieder den Rücktritt von Andriy Yermak, seinem engsten Vertrauten. Yermak steht im Zentrum des Korruptionsskandals und war zuvor als Chefjurist bei Selenskyjs Produktionsfirma Kvartal-95. Die Popularität des Präsidenten ist auf 20 Prozent gesunken, was auf ein massives Vertrauensdefizit hinweist.

Owen Matthews, renommierter britischer Historiker und Journalist, geht in The Telegraph mit Selenskyj hart ins Gericht.The Telegraph/Screenshot

Auch innerhalb des Militärs wachsen die Zweifel an Selenskyjs Führung. Die Zahl der Desertionen ist mittlerweile viermal so hoch wie im Vorjahr, und der drohende Verlust von strategisch wichtigen Gebieten wie Pokrovsk verschärft die militärische Lage weiter. Inmitten dieser dramatischen Situation warnt der prominente ukrainische Aktivist Serhii Sternenko vor einer „strategischen Katastrophe“ und dem drohenden Zusammenbruch der Ukraine als Staat. Erstmals kritisiert Sternenko offen die militärische und politische Führung Kiews.

Der gefährliche Weg der Verzweiflung

Angesichts dieser inneren und äußeren Krisen reagiert Selenskyj mit symbolischen Handlungen statt mit konkreten Lösungen, kritisiert Matthews. Die Unterzeichnung von Waffenverträgen, die sich die Ukraine nicht leisten kann, könnte das Land in eine noch tiefere politische und militärische Krise stürzen. „Die Ukraine befindet sich auf einem gefährlichen Pfad, und es ist nicht abzusehen, wie Selenskyj und seine Regierung dieses Tief überwinden sollen“, warnt Matthews. In einer entscheidenden Phase der Ukraine stelle sich die Frage, ob der Präsident die nötige Klarheit und den Mut finden kann, sich den echten Herausforderungen zu stellen.

Owen Matthews, geboren 1971, ist ein britischer Schriftsteller und Journalist, der sich mit osteuropäischen und geopolitischen Themen auskennt. Als ehemaliger Moskau- und Istanbul-Korrespondent für Newsweek ist er für seine Bücher und Beiträge über die politischen Entwicklungen in Osteuropa bekannt.