US-Zeitung setzt nach „Blutgeld“-Sager eins drauf: „Österreich unter Aufsicht stellen“
Österreich sollte vom Ausland unter Kuratel gestellt werden: Das Land müsse gedemütigt oder notfalls mit „roher Gewalt“ unter Druck gesetzt werden, damit es sich von Russlands Gas und von seiner Neutralität löst – das fordert allen Ernstes die US-Zeitung Politico.
Folgende Textpassage befindet sich tatsächlich in Politico: „Wenn die Geschichte Österreichs seit dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches im Jahr 1918 etwas gezeigt hat, dann das, dass dieses Land eine Aufsicht (sic!) von außen benötigt. Wenn man die Österreicher sich selbst überlässt, werden sie von ihren schlimmsten Instinkten beherrscht.“ Man müsse nur bis 1938 blicken, „um die Auswirkungen zu verstehen“.
Unter Verweis auf die – unstrittige – Mittäterschaft von Österreichern während des Zweiten Weltkriegs und die fehlende Bereitschaft Österreichs, diese in der Nachkriegszeit auch offen einzugestehen, erklärt der US-Journalist, der auch öfters in deutschen Talk-Shows zu Gast ist: „Die Österreicher lernen nicht aus ihren Fehlern. Bis zum heutigen Tag beherzigen die Österreicher selten die besseren Seiten ihrer Wesensart, es sei denn, die Außenwelt zwingt sie dazu, entweder durch Demütigung bis hin zur Unterwerfung oder durch rohe Gewalt.“
Die Forderung: Brüssel und Washington sollen Österreich noch mehr demütigen und unter Druck setzen
Diese Zeilen sind ernst gemeint. Mehr noch: An beidem – „Beschämung und roher Gewalt“ – fehlt es dem Autor zufolge zurzeit. Der Westen sei nämlich „an den moralischen Defiziten Österreichs fast genauso schuld wie die Österreicher“, weil er Wien zu wenig unter Druck setze.
Man fragt sich, weshalb so schwere Geschütze gegen Österreich aufgefahren werden sollen. Nun, Aufhänger des anti-österreichischen Pamphlets sind die Lieferungen russischen Erdgases an Wien und der fragwürdige „Blutgeld“-Sagers des EU-Beauftragten Martin Selmayr. Doch, wie sich im Laufe des Artikels zeigt, geht es dem Autor in Wahrheit um etwas anderes: eine schärfere Abkehr Österreichs von Russland und von seiner Neutralität – und eine stärkere Hinwendung zur NATO.
Mit anderen Worten: Österreichs Glück liege bei der NATO, und zu diesem Glück müsse das Land halt notfalls gezwungen werden.
Österreich sei nach wie vor „ein Land des Herrn Karls“
Der „Blutgeld“-Sager solle in Österreich lieber „zu mehr Selbstreflexion führen“, fordert der Artikel unter dem Titel „Putin entlarvt den Mythos von Österreichs Opferrolle“. Unter Verweis auf anti-österreichische Klischees, die von der Kunstfigur des Herrn Karl bedient werden, meint der Autor weiter: Russlands Krieg gegen die Ukraine sei „eine bittere Erinnerung daran, dass Österreich nach wie vor ein Land des Herrn Karls ist, das auf allen Seiten mitspielt.“ Und: „Das eklatanteste Beispiel für diese Heuchelei ist Österreichs anhaltende Abhängigkeit von russischem Erdgas, das etwa 55 Prozent des Gesamtverbrauchs des Landes ausmacht.“
Der EU-Vertreter Martin Selmayr habe eine „unbequeme Wahrheit“ ausgesprochen.
Österreich bleibe Trittbrettfahrer in der EU solange es nicht unter Druck gesetzt wird
Im weiteren Teil des Artikels wettert der Autor primär gegen Österreichs Neutralität. Sie habe im Laufe des Kalten Krieges „eine fast religiöse Qualität“ angenommen. Dass die Österreicher weiterhin nicht im Traum daran denken, dem NATO-Bündnis beizutreten, stört den Autor ganz besonders. „Heute ist die österreichische Neutralität kaum mehr als eine bequeme Ausrede, um sich vor der Verantwortung zu drücken.“
Für den Politico-Schreiber steht fest: „Einfach ausgedrückt: Österreich ist ein Trittbrettfahrer seiner Nachbarn und der Vereinigten Staaten und wird dies auch weiterhin tun, bis es unter Druck (sic!) gesetzt wird, seinen Kurs zu ändern.“ Gerade deshalb „braucht es mehr klare Worte von Leuten wie Selmayr, nicht weniger.“
Anders als Schweden und Finnland wende sich Österreich nicht dem NATO-Bündnis zu, dabei sei das zurzeit eigentlich „die europäische Armee“. Der Autor wird sehr deutlich: „Dennoch wird die Rhetorik allein Österreich nicht zu einem Kurswechsel bewegen. Fast 80 Prozent der Österreicher unterstützen die Neutralität, weil sie so bequem ist. Die EU und die USA müssen sie unangenehm machen. Im Moment sehen die meisten Österreicher nur die Vorteile der Neutralität, aber auch nur, weil der Westen dem Land keine Kosten für das Trittbrettfahren auferlegt hat. Das muss sich ändern.“
Österreichs Isolation werde ein Umdenken einläuten
Der Journalist warnt vor einem zu rücksichtsvollen Umgang mit Österreich und sieht vor allem Washington am Zug: „Kritiker eines aggressiveren Vorgehens gegenüber Wien argumentieren, dass dies die Entschlossenheit der Bevölkerung, die Neutralität aufrechtzuerhalten, nur verstärken und die extreme Rechte stärken würde. Kurzfristig mag das stimmen, aber die Geschichte des ausländischen Drucks auf Österreich, insbesondere aus Washington – sei es die Isolation während der Waldheim-Affäre oder der Druck zur Entschädigung von Sklavenarbeitern aus dem Krieg – zeigt, dass die Interventionen letztendlich funktionieren.“
Somit stehe fest: „Wenn die Österreicher vor die Wahl gestellt werden, entweder im Westen zu bleiben oder isoliert zu werden, werden sie sich immer für Ersteres entscheiden.“ Wenn andererseits „Österreichs Partner weiterhin eine Konfrontation vermeiden, wird das Land wahrscheinlich weiter in Richtung Orbánismus rutschen.“ Kritisch erwähnt wird auch der wachsende Zuspruch zur FPÖ in den Umfragen. Dass dieser Artikel daran etwas ändern wird, darf getrost bezweifelt werden.
Was der Journalist nicht erwähnt: Sollte Donald Trump der kommende US-Präsident werden, könnte schon bald das NATO-Bündnis selbst in schwere Turbulenzen geraten. Dann hätten NATO-Befürworter ganz andere Sorgen als Österreich. Für die Österreicher selbst würde ein solches Szenario allerdings alles andere als bedrohlich sein – vor allem nach diesem Politico-Artikel.
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