Verheerende Optik! Zweifel an der Ehrlichkeit des Richters im Kurz-Prozess
Es ist blamabel und höchst pikant: Ein Richter verurteilt einen Angeklagten wegen Falschaussage. Wenige Tage später entstehen Zweifel, ob er selbst beim Prozess die Wahrheit gesagt hat, und zwar zu einem durchaus zentralen Sachverhalt. Von Richter Michael Radasztics ist hier die Rede und von seinen Aussagen im Gerichtsverfahren gegen Ex-Kanzler Kurz.
Es ist ein bekanntes Phänomen: Man sieht den Splitter im fremden Auge, aber nicht den Balken im eigenen. Heikel wird es, wenn das auch für die Justiz gilt.
Richter Michael Radasztics befand Sebastian Kurz bekanntlich der Falschaussage schuldig. Im U-Ausschuss habe der Ex-Kanzler nicht die volle Wahrheit gesagt und bestimmte Umstände (zur ÖBAG-Besetzung) verschwiegen.
Derselbe Richter hatte zu Beginn des Prozesses seine Befangenheit bestritten. Dabei ging es um seinen Kontakt zum ehemaligen Nationalratsabgeordneten Peter Pilz (damals Grüne), der rein geschäftlich gewesen sei.
Wenige Tage nach der Urteilsverkündigung wird ein Disziplinarurteil vom Mai 2023 gegen Richter Radasztics öffentlich zugänglich – und was dort steht, das betrifft ebenfalls dessen Kontakt zu Peter Pilz. Allerdings hatte Michael Radasztics diese Gerichtsentscheidung zuvor mit keiner Silbe erwähnt!
Seither besteht ein schwerer Verdacht: Mutmaßlich hat Richter Radasztics im Kurz-Prozess ebenfalls wichtige Umstände seines Kontakts zu Pilz verschwiegen und dabei vielleicht sogar bewusst einen falschen Eindruck erzeugt?
Jeder möge sich seine eigene Meinung bilden. Der eXXpress hat das Gerichtsprotokoll mit dem Disziplinarurteil verglichen.
Erster Akt: Kurz-Anwalt Dietrich beantragt Befangenheit des Richters wegen dessen Kontakt zu Peter Pilz
Otto Dietrich, der Anwalt von Sebastian Kurz, beantragt zu Prozessbeginn einen Richterwechsel. Der Grund: Befangenheit. Michael Radasztics habe als ehemaliger Staatsanwalt durch „Informationsweitergabe an Dr. Pilz“ die „politische Oppositionsarbeit gegen die von Sebastian Kurz geführte Bundesregierung unterstützt.“ Das sei am 20. Dezember 2018 geschehen. Damals vernahm Radasztics den damaligen Grünen-Politiker als Zeugen zur Eurofighter-Causa, und habe dem Nationalratsabgeordneten bei dieser Gelegenheit besagte Informationen weitergegeben. (Radasztics informierte den Grünen-Politiker über die Weisung, Aktenteile zur Eurofighter-Causa aus Gründen der nationalen Sicherheit an das Verteidigungsministerium zurückzustellen. Davon wusste Pilz zum damaligen Zeitpunkt noch nichts.)
Kurz-Anwalt Dietrich schildert auch die Umstände, unter denen diese Informationsweitergabe erfolgt sei: Radasztics soll Oberstaatsanwältin Patricia Frank extra gebeten haben, das Zimmer zu verlassen.
Was antwortet darauf der Richter?
Zweiter Akt: Richter Radasztics sieht keine Befangenheit und schildert knapp seinen Kontakt zu Pilz
Michael Radasztics bestreitet die Schilderung. Niemals habe er die damalige Oberstaatsanwältin aus dem Zimmer geschickt. Radasztics: „Wenn jetzt vorgebracht wurde, ich hätte zu irgendeinem Zeitpunkt im Dezember 2018 Frau Oberstaatsanwältin Mag. Frank gebeten, das Zimmer zu verlassen, um mit Herrn Dr. Pilz persönlich zu sprechen, weise ich darauf hin, dass diesbezüglich nichts vorgelegt worden ist, aber es gibt entsprechende Protokolle, aus denen sich ergibt, dass das tatsächlich nicht stattgefunden hat.“
Auf seinen Kontakt zu dem ehemaligen Grünen-Politiker im Zuge der jahrelangen Eurofighter-Ermittlungen geht Radasztics auch ein. Er behauptet, die „Umstände“ des Kontakts zu Peter Pilz seien „ausschließlich solche, die sich aus der Führung des Verfahrens ergeben haben“. Dr. Pilz sei eben „als Anzeiger aufgetreten, hat tatsächlich Unterlagen vorbei gebracht und ist mehrfach von mir als Zeuge einvernommen worden“. Das war es.
Auch alle „Erörterungen“ am 20. Dezember 2018 anlässlich der Zeugenvernehmung von Peter Pilz „haben verfahrensbezogen stattgefunden. Sie haben sich ausschließlich auf die Führung des Ermittlungsverfahrens und auf die Rolle des Dr. Pilz als Zeuge, Anzeiger beziehungsweise als Person bezogen, die über relevante Informationen und Unterlagen verfügt“.
Fazit: Es habe „tatsächlich ein geschäftlicher Kontakt bestanden“, es bestehe keine Befangenheit, weitere Ermittlungen zur Befangenheit, etwa die von Kurz-Anwalt Dietrich zuvor geforderte Zeugenaussage von Oberstaatsanwältin Patricia Frank sei nicht erforderlich.
Dritter Akt: Eine Gerichtsentscheidung enthüllt Neues über den Kontakt zwischen Radasztics und Pilz
Nun wird es brisant: Drei Tage nach der Verurteilung von Sebastian Kurz wird ein 14-seitiges Erkenntnis des Oberlandesgerichts Graz (OLG Graz) im öffentlich einsehbaren Rechtsinformationssystem (RIS) veröffentlicht. Die Gerichtsentscheidung enthüllt so einiges, und bei jedem der unten aufgelisteten Punkte stellt sich die Frage: Warum Richter Michael Radasztics all das beim Gerichtsverfahren verschwiegen?
1) Das Erkenntnis des OLG Graz entpuppt sich als Disziplinarstrafe gegen den damaligen Staatsanwalt Radasztics: Im Rahmen der Eurofighter-Causa habe er seine damaligen Pflichten „schuldhaft verletzt“, heißt es darin, unter anderem, weil er dem ehemaligen Grünen-Politiker Peter Pilz im Jahr 2018 an jenem 20. Dezember unerlaubt (!) Informationen zu Verwaltungsinterna zukomme habe lassen. Kurz: Die Informationsweitergabe an Pilz hatte also ein gerichtliches Nachspiel.
2) Wie aus dem Erkenntnis weiter hervorgeht, hat Radasztics zwar nicht Oberstaatsanwältin Frank des Raumes verwiesen, sehr wohl aber alle anwesenden Kriminalbeamten und den Schriftführer. Frank verließ das Zimmer aber ebenfalls – warum auch immer.
3) Es erfolgte ein Austausch mit Pilz außerhalb der gewöhnlichen Zeugenvernehmung bzw. danach. (Eine Zeugenvernehmung unter vier Augen gibt es nicht.) Hier wäre zu fragen, inwieweit hier ausschließlich „Umstände“ vorliegen, „die sich aus der Führung des Verfahrens ergeben haben“, wie Radasztics später vor Gericht behaupten sollte.
4) Über den Inhalt des Gesprächs erfährt man nichts. (Über das Wetter dürfte nicht gesprochen worden sein.) Als die Oberstaatsanwältin aber zurückkehrte, machte sich Peter Pilz Notizen zu dem, was ihm Radasztics mitteilte. Bei dieser Gelegenheit informierte der damalige Staatsanwalt den Grünen-Politiker auch unerlaubterweise über die Rückerstattung von Aktenteilen, wozu er aber nicht befugt war.
5) Michael Radasztics war später geständig und hatte vor dem Prozess gegen Sebastian Kurz bereits seine Verfehlung reumütig gestanden (im Gerichtsverfahren gegen Kurz aber darüber geschwiegen). Das OLG Graz erwähnt: „Mildernd sind hingegen das reumütige Geständnis, das allerdings in Ansehnung der belastenden Beweisergebnisse für die Beweisführung nur von geringer Bedeutung war und folglich zur Wahrheitsfindung nicht erheblich beizutragen vermöchte.“
6) Im Dezember 2023, also während des Kurz-Prozesses, wurde das Urteil rechtskräftig, weil die Oberstaatsanwaltschaft damals aus unbekannten Gründen die Rechtsmittel zurückzieht.
Vierter Akt: Viele offene Fragen zum Schweigen des Richters im Prozess
Zurück bleiben viele offene Fragen:
Warum verschwieg der Richter zu Prozessbeginn im Oktober 2023 jenes Verfahren, das seinen Kontakt zu Peter Pilz betrifft?
Warum informierte er die Rechtsparteien im Dezember nicht über die Rechtskraft des Urteils?
Warum ließ er eine Prüfung auf Befangenheit nicht zu und verhinderte damit, dass Obersaatsanwältin Frank als Zeugin ihre Sicht der Dinge vor Gericht aussagen konnte?
Warum verschwieg er, dass er damals alle Kriminalbeamten des Zimmers verwiesen hat und Oberstaatsanwältin Frank zumindest ebenfalls das Zimmer verlassen hat?
Warum behauptete er, die „Umstände“ des Kontakts zu Peter Pilz hätten sich „ausschließlich … aus der Führung des Verfahrens ergeben“, ohne den Austausch mit Pilz nach dessen Einvernahme zu erwähnen?
Interessant ist im Übrigen, dass der Richter den Anwalt von Kurz fragte, ob er weitere Dokumente habe, obwohl er wissen musste, dass es ein Disziplinarverfahren mit zig Dokumenten gibt.
Epilog: Zwei offene Fragen zum Abschluss
Die letzten beiden Fragen möge der Leser selbst beantworten:
Hat Richter Michael Radasztics mit seinen Aussagen vor Gericht eben jenen Eindruck über den Kontakt mit Peter Pilz vermittelt, den man beim Lesen des Gerichtsentscheids des OLG Graz erhält?
Und: Hätte Richter Michael Radasztics seine Aussagen im Zeugenstand oder im U-Ausschuss gemacht, wären sie dann eine Falschaussage, und zwar gemäß jener Definition, die er bei der Urteilsverkündigung selbst geliefert hat?
Gemäß Radasztics ist schon das Verschweigen von Umständen und das Herunterspielen der eigenen Rolle ausreichend für eine Falschaussage. Zu Sebastian Kurz meinte Radasztics beim Prozessende: „Sie haben Ihre tatsächliche Rolle bei der Besetzung des ÖBAG-Aufsichtsrats heruntergespielt und auch, wie sehr sie involviert waren. Da haben Sie falsch ausgesagt.“ Auskunftspersonen dürften im U-Ausschuss nicht Umstände verschweigen oder den Eindruck erwecken, sie hätten vollständig ausgesagt. Entscheidend sei das Gesamtbild.
PS: Auch wenn die Aussagen des Richters nicht im U-Ausschuss und auch nicht im Zeugenstand unter Wahrheitspflicht fielen, wird normalerweise vorausgesetzt, dass ein Richter die Wahrheit sagt.
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