Verrückt! So begeisterte Selenskyj vor zehn Jahren die Russen zum Neujahrstag
Krieg und Spiele: Ungläubiges Kopfschütteln ruft heute die russische Neujahrs-Gala zum Jahreswechsel 2012/13 hervor. Der jetzige Präsident der Ukraine Selenskyj moderierte damals die Show, im Publikum klatschte ihm begeistert Wladimir Solowjow zu, zurzeit prominentester Kreml-Propagandist im Ukraine-Krieg.
Zurzeit sehen sich hunderttausende Russen diese Gala des russischen Staatssenders Rossija 1 zum Jahreswechsel 2012/13 neuerlich auf YouTube an, teils unter Tränen. Sie können glauben, was sie hier sehen. Zehn Jahre später wirkt es fast surreal: Der jetzige Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj moderiert – damals noch Comedian – durch die gesamte Sendung.
Das russische Publikum klatschte ihm damals begeistert zu, unter den Zuschauern ist auch der bekannte TV- und Radiomoderator Wladimir Solowjow. Seit der Annexion der Krim fungiert Solowjow als eine Art Ober-Propagandist des Kremls – auf demselben Fernsehkanal. Im vergangenen Jahr bejubelte er in seiner wöchentlichen Polit-Talkshow „Sonntagabend mit Wladimir Solowjow“ mehrmals die Angriffe der russischen Armee auf die Ukraine und drohte sämtlichen europäischen Ländern – darunter auch Deutschland – mit militärischen Angriffen Russlands, weil sie die Ukraine unterstützen.
Russen auf YouTube: „Gebt mir mein 2013!!“
Seit der Ukraine-Invasion entdecken immer mehr Russen die russische Gala im Internet aufs Neue. „Man glaubt gar nicht, wie toll es früher war“, schreibt einer auf YouTube. „Tränen steigen in die Augen und man wünscht sich, man könnte zurückkehren.“ Noch emotionaler wird ein anderer: „Gebt mir mein 2013 zurück!!! Kein Covid, kein Krieg, kein anderer Scheiß… Selenskyj hatte eine so freundliche Stimme, wenn er sang…“.
Unzählige weitere Kommentare klingen ähnlich: „Das treibt mir die Tränen in die Augen. Die Party ist vorbei…“, „Es bricht mir das Herz, das zu sehen … wie konnte es so weit kommen“, „Stellen Sie sich vor, 100.000 zehnjährige Buben sehen dieses Konzert im Jahr 2013 und sind im Jahr 2022 tote Soldaten.“
Co-Moderator Galkin gilt beim Kreml heute als „ausländischer Agent“
Selenskyjs Co-Moderator ist der Comedian Maxim Galkin. Er „ist Traumschwiegersohn der Zuschauerinnen, die ihre besten Jahre in der Sowjetunion hatten“, schreibt der deutsche Journalist und ehemalige Moskau-Korrespondent Julian Hans auf Twitter. „Galkins Spezialität waren harmlose Parodien stets im Rahmen dessen, was der Kreml als Kritik erlaubt.“
Mittlerweile hat auch Galkin die Seiten gewechselt. „Nach dem 24. Februar dieses Jahres hat Galkin als einer der ersten klar Stellung gegen den Krieg bezogen. Dafür wurde er zum ‚ausländischen Agenten‘ gestempelt.“ Mittlerweile lebt er in Israel und „tourt durchs Baltikum, Israel, USA und wird dort von der Diaspora unter anderem für seine Parodien auf Propagandisten wie Solowjow gefeiert.“
2013 wurde Selenskyj noch gut vom Kreml bezahlt
Ungläubiges Kopfschütteln gib es dafür auch auf Youtube: „Galkin und Selenskyj singen zusammen und Solowjow singt mit ihnen, das ist so unglaublich…“, schreibt ein Russe. Ein anderer meint: „Jetzt stell dir vor, du erzählst ihnen, was in 9 Jahren passieren wird, sie würden dich für verrückt halten.“
„Als Komiker war Selenskyj enorm beliebt beim russischen Publikum“, berichtet Julian Hans. „Fraglos hat er gut verdient an den Geldern, die der Kreml in die Unterhaltungsindustrie pumpt, um das Volk bei Laune zu halten.“ Im Rahmen der Sendung zieht er auch seine Rolle als „Gastarbeiter“ durch den Kakao.
Zur Trennung kam es erst nach der Krim-Annexion 2014. Moskau warf Selenskyj vor, den Maidan und später die ukrainische Armee im Kampf gegen die vom Kreml gelenkten „Separatisten“ finanziell unterstützt zu haben.
— Julian Hans (@juli_anh) December 31, 2022
Zwischen diesen Bildern liegen keine zehn Jahre.
3/16 pic.twitter.com/8O3Cp519Ue
Sämtliche Entertainer der Gala sind heute offiziell Feinde
Tatsächlich befinden sich sämtliche Entertainer in der damaligen Sendung heute auf den anderen Seiten der Front, wie der Russland-Kenner berichtet.
Der Schlagerstar Oleg Gasmanow gab Konzerte in Donezk „und war als Top Act für Annexionsfeiern in Isjum und Cherson angekündigt“.
Die Sängerin Ani Lorak aus der Westukraine schweigt nach wie vor zum Krieg und gibt weiterhin Konzerte in Russland, weshalb sie von Kiew mittlerweile auf die Sanktionsliste gesetzt wurde.
Das Duo Oleksii Potapenko und Nastia Kamenskykh sammelt heute Spenden für ukrainische Hilfsorganisationen und für die Armee.
Der Sänger und Showmaster Nikolaj Baskow trägt die Ehrentitel „Volkskünstler der Russischen Föderation“ und „Volkskünstler der Ukraine“. Allerdings vertritt er heute ganz die Linie des Kremls und ist auf der US-Sanktionsliste.
Silvester 2022/23: der andere Jahreswechsel
Auch zum Jahreswechsel 2022/23 fand eine Neujahrsgala statt. Die Stimmung war – wohl weniger ausgelassen.
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