Wien ist nicht nur Hauptstadt – Wien ist Österreichs sozialpolitischer Brennpunkt. Rund 22 Prozent der Österreicher leben hier, aber etwa 73 Prozent aller Sozialhilfe- und Mindestsicherungsbezieher. Das heißt: Drei von vier Fällen konzentrieren sich in einem einzigen Bundesland. Eine Schieflage dieser Größenordnung gibt es sonst in keinem Teil der Republik.

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Kosten für Mindestsicherung haben sich in Wien seit 2014 verdreifacht

Das ist keine Momentaufnahme, sondern ein Dauertrend. 2014 lagen Wiens Ausgaben für Sozialhilfe – die hier bis heute „Mindestsicherung“ heißt – noch bei gut 400 Millionen Euro, ab 2015 bereits bei rund 600 Millionen. Seither zeigt die Kurve fast nur noch nach oben. Für 2024/25 budgetiert Wien rund 1,25 Milliarden Euro für Sozialhilfe und Mindestsicherung. In zehn Jahren hat sich das Volumen also mehr als verdoppelt.

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Die Schere geht weiter auf

Österreichweit bezogen 2024 rund 205.800 Menschen Sozialhilfe oder Mindestsicherung. Etwa 149.000 davon lebten in Wien. Schon 2015 war der Wiener Anteil hoch – damals lag er grob bei rund 60 Prozent. Heute sind es exakt 73 Prozent.

Die Dynamik ist eindeutig: Wien wird überproportional stärker belastet – Jahr für Jahr.

Schutzberechtigte als Haupttreiber

Besonders stark ins Gewicht fällt eine Gruppe, die sich in Wien fast bündelt: Schutzberechtigte. Der Österreich-Vergleich zeigt, wie extrem die Konzentration ist: Von 77.648 Asylberechtigten im Sozialhilfesystem leben 60.135 in Wien. Und von 13.652 subsidiär Schutzberechtigten sind 12.647 in Wien – also praktisch alle. (Subsidiär Schutzberechtigte erhalten kein Asyl, aber Schutz vor Abschiebung wegen Gefahr im Herkunftsland.)

Damit ist Wien nicht nur Zentrum des Sozialhilfe-Bezugs, sondern auch Zentrum der Schutzberechtigten im System. Kein anderes Bundesland trägt eine auch nur annähernd vergleichbare Quote.

Wiens Ausgaben wären ohne Schutzberechtigte nicht annähernd so hoch – die Zahl der Bezieher wäre nämlich nur halb so groß. Von den 149.000 Mindestsicherungsbeziehern in Wien sind 72.800 Schutzberechtigte. Das sind rund 49 Prozent aller Empfänger – also knapp die Hälfte.

Wien hat nicht nur hohe Sozialkosten, sondern auch hohe Schulden.Selektiv/Grafik

Wer Sozialhilfe bezieht: drastische Unterschiede nach Herkunft

Die Wiener Statistik zeigt eine extreme Konzentration einzelner Herkunftsgruppen in der Sozialhilfe. Während die Gesamtbevölkerung bei einer Bezugsquote von etwa 9 Prozent liegt und österreichische Staatsbürger bei rund 4 Prozent, steigen die Werte bei einigen Zuwanderergruppen dramatisch:

Rund 74 Prozent der Syrer beziehen Sozialhilfe. 72 Prozent der Somalier ebenso. Bei afghanischen Staatsbürgern sind es 54 Prozent, bei Irakern 46 Prozent.

Je stärker diese Gruppen in Wien vertreten sind, desto stärker steigen naturgemäß Kosten und Fallzahlen. Die Budgetkurve der vergangenen Jahre ist die logische Folge dieser Ballung.

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Warum Wien? Sonderweg plus Pull-Effekt

Dass so viele Schutzberechtigte nach Wien ziehen, hat mehrere Gründe – doch entscheidend war jahrelang die Politik: Wien zahlte subsidiär Schutzberechtigten volle Mindestsicherung, während andere Bundesländer diese Gruppe auf Grundversorgung zurückstuften.

Aber Wien hat noch einen zweiten, zentralen Anreiz gesetzt: 326 Euro pro Kind in der Mindestsicherung. Das ist nicht nur der höchste Betrag, sondern auch ein Fixsatz ohne Staffelung. Niederösterreich zahlt zum Vergleich 302,25 Euro für ein Kind, 241,80 Euro je Kind bei zwei, 181,35 Euro je Kind bei drei, 151,13 Euro je Kind bei vier und 145,08 Euro je Kind bei fünf Kindern.

Für Bezieher der Mindestsicherung mit vielen Kindern ist das Wiener System eindeutig attraktiver.APA/HELMUT FOHRINGER

Wer fünf Kinder hat, erhält in Wien damit insgesamt rund 1.630 Euro, in Niederösterreich aber nur 725,40 Euro. Niederösterreich zahlt also nicht einmal die Hälfte des Wiener Familienbetrags.

Für subsidiär Schutzberechtigte mit Kindern ist Wien besonders lukrativ

Noch drastischer wird es, wenn der Elternteil subsidiär schutzberechtigt ist: In Niederösterreich fällt diese Person in die Grundversorgung und hat keinen Anspruch auf Mindestsicherung wie in Wien. Dort bleiben in der Regel nur 260 Euro pro Monat für den Lebensunterhalt; bei Privatunterbringung kommt eine Wohnkostenpauschale von 330 Euro hinzu.

In Zahlen: Ein subsidiär Schutzberechtigter mit fünf Kindern erhält in Niederösterreich etwa 985 Euro pro Monat, in einer Privatunterkunft maximal rund 1.315 Euro. In Wien sind es rund 2.841 Euro pro Monat, gegebenenfalls zusätzlich ergänzt durch Wohnleistungen. Das ist mehr als das Doppelte, wenn nicht das Dreifache.

SPÖ-Stadtrat Peter Hacker verteidigte jahrelang Wiens Sonderweg – jetzt zwingt die Kostenexplosion selbst ihn zum Kurswechsel.APA/

So entstand über Jahre ein Kreislauf, der das System aufblähte: höhere Leistungen fördern den Zuzug nach Wien – der Zuzug schafft mehr Bezieher – mehr Bezieher treiben die Kosten – und hohe Kosten verstärken am Ende die Ballung.

Binnenwanderung nach Anerkennung: jetzt erstmals belegt

Was lange vermutet wurde, konnte mit Daten des Integrationsfonds erstmals belegt werden: Wer in den Bundesländern Asyl oder subsidiären Schutz erhält, zieht oft kurz danach nach Wien weiter. Am stärksten war der Zuzug im Jahr 2023: 68,9 Prozent der subsidiär Schutzberechtigten und 52,41 Prozent der Asylberechtigten gingen nach der Anerkennung in die Hauptstadt, wie die Krone aufzeigte.

Noch klarer wird die Richtung, wenn man die Zielorte betrachtet: Wer nach Anerkennung aus Oberösterreich oder der Steiermark wegzieht, landet zu 94 Prozent in Wien. Aus Niederösterreich zu 92 Prozent, aus dem Burgenland zu 90 Prozent. Damit ist klar: Die Konzentration entsteht nicht zufällig – sie folgt einem strukturellen Wanderungsmuster.

Minderjährige Flüchtlinge: Wien trägt doppelt so viel wie vorgesehen

Auch bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ist Wien das Zentrum. Anfang 2025 befanden sich österreichweit rund 1.400 minderjährige Flüchtlinge in der Grundversorgung, etwa 570 davon in Wien – also mehr als 40 Prozent. Gemessen am Bevölkerungsanteil wäre Wiens Sollwert rund halb so hoch. Die Stadt erfüllt die Quote damit zu 208 Prozent.

Seit 2021 haben sich die Fallzahlen in Wien ungefähr verdreifacht, mit entsprechend steigenden Kosten für Betreuung und Unterbringung.

Der Sonderweg kommt Wien zu teuer

Kein Wunder, dass sich die Kosten für die Mindestsicherung in Wien seit 2014 mehr als verdreifacht haben – von rund 400 Millionen Euro auf etwa 1,25 Milliarden Euro. Nach Jahren steigender Ausgaben reagiert die Stadtregierung nun: Ab 2026 verlieren subsidiär Schutzberechtigte den Anspruch auf Mindestsicherung und fallen in die Grundversorgung zurück. Dazu kommen Kürzungen bei Wohnanteilen für Familien, eine Halbierung des 13./14. Bezugs und strengere Regeln für Wohngemeinschaften. Wien bricht damit erstmals bewusst mit jener Linie, die den Pull-Effekt über Jahre befeuert hat. Vom hohen Fixbetrag für jedes Kind rückt man aber vorerst nicht ab.

Eines steht fest: Wien ist nicht „etwas stärker belastet“, sondern das Zentrum der österreichischen Sozial- und Flüchtlingsrealität. Schutzberechtigte und ihre Familien konzentrieren sich hier wie in keinem anderen Bundesland – und nach der Anerkennung zieht es viele fast automatisch in die Hauptstadt.