Ein Report der Anti-Defamation League (ADL) enthüllt massive Manipulationen auf Wikipedia. Mindestens 30 Autoren sollen über Jahre hinweg gezielt anti-israelische und antisemitische Inhalte eingebracht haben. Besonders betroffen sind Seiten zum israelisch-palästinensischen Konflikt, wo Gewalt gegen Israel systematisch verharmlost und pro-Hamas-Propaganda gefördert wird.

Hamas verherrlicht, Zionismus verteufelt – konkrete Eingriffe im Detail

Einige Beispiele aus dem ADL-Bericht zeigen, wie systematisch das Wikipedia-Netzwerk vorging: So wurde etwa auf der arabischsprachigen Seite über die Terrororganisation Hamas das Massaker vom 7. Oktober 2023 kaum erwähnt. Stattdessen lobte der Text den „Widerstand“ der Organisation, glorifizierte ihre Tunnelbau-Aktivitäten und sprach von der „Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer“. Selbst ein Abschnitt über „soziale Wohltätigkeit“ übernahm unkritisch Hamas-Propaganda – mit kaum belegten Behauptungen und vielen toten Links.

Auch auf der englischsprachigen Wikipedia wurden gezielte Eingriffe dokumentiert: Auf der Seite zum Gaza-Krieg entfernten die betroffenen Editoren im August 2024 Hinweise auf die von Hamas begangenen sexuellen Gewaltverbrechen am 7. Oktober. Auf der Seite „Palestinian political violence“ wurden mehrfach akademische Belege zu Terroranschlägen gelöscht, ebenso wie Aussagen von Hamas-Anhängern, die offen mit Nazi-Symbolik und Vernichtungsabsicht gegenüber Juden prahlten.

Sogar die zentrale Zionismus-Seite wurde stark verändert: Statt einer nüchternen Definition wird Zionismus nun als „ethnokulturelle, kolonialistische Bewegung“ beschrieben, die „so viele Juden und so wenig Palästinenser wie möglich“ ins Land bringen wollte. Kritische Rückfragen wurden von Administratoren abgewürgt – Diskussionen zur Korrektur sind seit Februar 2025 für ein Jahr gesperrt.

Wikipedia – neutral oder manipulierbar?

Grundsätzlich kann jeder mit einem Benutzerkonto auf Wikipedia Artikel bearbeiten oder neu anlegen. Dabei gelten feste Regeln, die sicherstellen sollen, dass die Inhalte neutral und verlässlich bleiben. So dürfen nur Themen aufgenommen werden, die eine ausreichende Relevanz besitzen. Außerdem müssen die Artikel stets neutral formuliert sein und sie dürfen keine einseitigen Darstellungen beschreiben. Jede Aussage muss durch eine seriöse Quelle belegt werden, um die Nachprüfbarkeit zu gewährleisten. Eigene Theorien, unbelegte Behauptungen oder persönliche Meinungen sind ausdrücklich nicht erlaubt – so zumindest laut eigenen Angaben der freien Enzyklopädie.

Der Report der Anti-Defamation League (ADL) wurde am 18.März 2025 veröffentlicht.adl.org/Screenshot exxpress

So wird gestritten – und manipuliert

Wikipedia wirbt mit Neutralität, setzt dabei aber vor allem auf ein komplexes System aus Diskussion und Konsens. Zunächst kann jeder Autor einen neuen Artikel anlegen – egal ob es um eine Bohnensorte, einen Vizepremier oder ein urzeitliches Werkzeug geht. Über die Inhalte wird anschließend auf den sogenannten Diskussionsseiten gestritten.

Wird man sich nicht einig, kann ein „Request for Comment“ gestartet werden, eine Art offizielle Anfrage zur Klärung. Dabei entscheidet am Ende ein erfahrener, bislang unbeteiligter Autor oder ein Administrator, wie die strittige Frage geregelt wird. Administratoren sind dabei weniger Schiedsrichter der Wahrheit, sondern überwachen vor allem, dass die Regeln eingehalten werden. Genau hier liegt laut ADL eine Schwachstelle: Trotz dieser Schutzmechanismen finden Akteure immer wieder Wege, Wikipedia gezielt für ihre Zwecke zu manipulieren.

Wikipedia ist die weltweit größte Online-Enzyklopädie, die von freiwilligen Autoren erstellt und laufend aktualisiert wird.IMAGO/SOPA Images

Der Skandal: Pro-Hamas-Netzwerk aufgedeckt

Der Report der ADL beschreibt, dass eine Gruppe von mindestens 30 Wikipedia-Editoren in auffälliger Weise zusammengearbeitet hat. Diese Editoren waren überdurchschnittlich aktiv: Sie machten im Vergleich zu anderen Gruppen mindestens doppelt so viele Bearbeitungen in den vergangenen zehn Jahren. Zudem waren sie bis zu 18-mal aktiver in der Gruppenkommunikation als vergleichbare Editorengruppen.

Nach Einschätzung der ADL koordinierten diese Editoren gezielt ihre Änderungen auf Seiten zum israelisch-palästinensischen Konflikt. Dabei sei es zu systematischen Eingriffen gekommen, etwa zum Herunterspielen von palästinensischem Antisemitismus, Gewalt und Aufrufen zur Zerstörung Israels sowie zur verstärkten Aufnahme von Kritik an Israel. Die Organisation berichtet außerdem, dass diese Eingriffe seit den Hamas-Angriffen vom 7. Oktober 2023 zugenommen haben.

Wie Kritik an Hamas gelöscht wurde

Der Report wirft den beteiligten Autoren darüber hinaus vor, gezielt verlässliche Quellen entfernt zu haben. Durch ausgemachtes Vorgehen auf Wikipedia-Abstimmungsseiten sorgten sie dafür, dass Israel-kritische Inhalte bestehen blieben, während Hinweise auf palästinensische Gewalt und Terrorismus gelöscht wurden.

Wie externe Gruppen Wikipedia lenken

Die ADL warnt weiter vor dem sogenannten Canvassing: Dabei mobilisieren Autoren gezielt andere Nutzer, meist über externe Plattformen wie Discord, um Diskussionen und Abstimmungen zu beeinflussen.

Zudem zeigt der Report, dass auch die arabischsprachige Wikipedia betroffen ist. Dort fanden die Forscher, sowohl auf der Hauptseite als auch in vielen verwandten Artikeln, zahlreiche Inhalte, die Hamas positiv darstellen und gegen die Neutralitätsregeln verstoßen.

Wikipedia braucht Schutz vor Desinformation

Abschließend formuliert die ADL konkrete Empfehlungen. Wikipedia selbst solle ein Expertenprogramm einrichten, um strittige Seiten von Fachleuten prüfen zu lassen, sowie spezielle Abschluss-Editoren einsetzen, die bei Konflikten über Inhalte entscheiden. Zudem fordert die Organisation, dass Wikipedia seine bestehenden Werkzeuge gegen inauthentisches Verhalten überprüft und verstärkt.

An die Politik richtet die ADL den Appell, Task Forces gegen antisemitische Verzerrungen zu gründen, Anhörungen durchzuführen und mehr Transparenz von der Wikimedia Foundation einzufordern. Auch große Plattformen wie Google und Anbieter von Sprachmodellen sollen Wikipedia-Inhalte zu diesem Themenfeld kritischer gewichten, um die Verbreitung von Desinformation zu verhindern.