Zoff an der Oper in Venedig: Linke wollen junge Dirigentin verhindern
Beatrice Venezi soll auf einem Fixstern des italienischen Opernhimmels, La Fenice in Venedig, musikalische Leiterin werden, wogegen sich heftiger Widerstand in der linken Kulturszene regt. Vorgeblich kritisiert man ihr künstlerisches Renommee, doch sind die Gründe eher politischer Natur: Venezi ist konservativ und eine Freundin von Regierungschefin Giorgia Meloni.
Am weltberühmten Opernhaus La Fenice in Venedig, das seit seiner Eröffnung im Jahre 1792 zweimal niederbrannte, brennt jetzt der Baum: 300 Beschäftigte drohen mit Streiks, Protestkundgebungen, Sitzblockaden sowie öffentlichen Aktionen in Venedig und darüber hinaus, Abonnenten mit Kündigung ihrer Dauerkarten, und tausende unterzeichneten eine Petition. Es geht um die Ernennung von Beatrice Venezi zur neuen Musikalischen Leiterin des Opernhauses, die im Oktober 2026 ihre Stelle antreten soll.
Offiziell werden zwei Gründe für die Ablehnung Venezis vorgebracht: Die Entscheidung, sie zu berufen, sei über die Köpfe der Orchestermitglieder hinweg getroffen worden. Vor allem aber genüge sie den Ansprüchen des Opernhauses nicht. Als eine der größten und bekanntesten Einrichtungen der Welt, das Musikdirektoren wie Riccardo Muti und Kurt Masur hatte, sei Venezis musikalisch-künstlerisches Renommee für den neuen Posten unzureichend.
Meloni-Nähe stößt Kunstszene sauer auf
Jetzt drohen die Musiker, am 17. Oktober zu streiken. An dem Tag endet die diesjährige Opernsaison in Venedig, womit die Aufführung von Alban Bergs „Wozzeck“ gefährdet wäre. Die in aller Regel politisch links stehende Kulturszene behauptet zudem, Venezis Berufung sei ein Versuch der Regierung Meloni, eine Schlüsselposition im italienischen Kulturleben zu besetzen.
Hier liegt der eigentliche Grund für den irren Streit um die Dirigentin, die im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, in Talkshows zu Gast ist, teure Designerkleider trägt und den glamourösen Auftritt liebt. Venezi gilt nämlich als enge Vertraute von Regierungschefin Giorgia Meloni und ist mehrfach bei Veranstaltungen der italienischen Rechten aufgetreten. Mit ihren Ansichten zu Themen wie Kultur, Identität und Erziehung eckt sie beim linken Establishment an.
Zuletzt sprach sich Venezi, die sich als „Direttore musicale“ bezeichnet (den femininen Titel „Direttrice“ lehnt sie ab), mehrfach gegen Genderquoten aus. Venezi trat auch auf Veranstaltungen der Meloni-Partei Fratelli d’Italia auf. Kein Wunder, dass Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni sie in verschiedene Kulturkommissionen berief, unter anderem als Beraterin für das Kulturministerium. Meloni beschreibt Venezi als „talentierten und mutigen Künstler, der sich weigert, sich der Diktatur des Denkens und der Sprache zu beugen“.
Linke Dominanz im Kulturmilieu gefährdet
Das sieht man im „progressiven“ Lager, das sich sonst stets für junge Frauen in Spitzenpositionen begeistert (insbesondere am Dirigentenpult stehen nur sehr wenige Dirigentinnen), mit gehörigem Missmut. Dort meint man sogar daran erinnern zu müssen, dass Venezis Vater Mitglied der extrem rechten Forza Nuova war, die junge Frau in Sippenhaft nehmend. Mit Faschismus, sagt Beatrice Venezi aber klar, habe sie nichts am Hut: „Gott, Vaterland und Familie sind die Werte, mit denen ich mich identifiziere“, teilte sie in einem Interview in der italienischen Ausgabe der Huffington Post mit.
Dass das linke Kultur-Establishment sich über „politische Einmischung“ empört, entbehrt nicht einer gewissen Heuchelei, denn selbige ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch und durch sozialistisch geprägt. Offenbar befürchtet man, die bisher unangefochtene Vorherrschaft über die Kunstszene langsam zu verlieren.
Angeblich drohten auch 140 bis 160 der insgesamt 2.000 Abonnenten, ihre Abos zu stornieren – tatsächlich taten sie das aber nur in ganzen drei Fällen.
Medienschlacht um Venezi
Nicht nur Italiens Opernwelt ist in Aufruhr, auch in den Medien tobt die Schlacht. Der Corriere della Sera (regionale Ausgabe Corriere del Veneto) berichtete detailliert über die „Explosion der Proteste“ mit Sitzstreiks, Flugblättern im Saal („Die Musik ist Kunst, nicht Unterhaltung!“) und der Solidarität aus anderen Theatern wie etwa der Scala in Mailand. Der Fokus liegt auf der Spaltung zwischen Belegschaft und Leitung; Colabianchi verteidigt die Wahl als „Investition in Jugend und Weiblichkeit“, während Kritiker wie Ex-Superintendent Cristiano Chiarot sie als „politisch motiviert“ brandmarken. Der Corriere della Sera zitierte Experten wie Fabio Luisi („Sie gestikuliert rudimentär und ist unreif“) und hob „zwei Anomalien“ hervor: erste politisch motivierte Künstlerernennung und erste Dirigentin ohne Orchestererfahrung an der Fenice.
La Repubblica machte „einhellige Empörung“ aus und hob die Flugblatt-Aktion während eines Mahler-Konzerts hervor. Die Zeitung sieht „eine falsche Richtung“ und kritisiert die fehlende internationale Karriere Venezis (z. B. kein Repertoire mit Mahler oder Bruckner). Kolumnisten forderten ihren Verzicht, „um Schaden abzuwenden“. Der konservative Il Foglio hingegen verteidigte Venezi als „pop und rechts“ – als Opfer eines „Massakers“ durch subjektive Angriffe auf ihr Aussehen und Gestik: „Die Linke kann sie nicht für Transparenz kritisieren, also greift sie den Stil an.“
Weil die Fronten verhärtet scheinen, wird nun über eine zweite Mediationsfigur (künstlerischer Direktor) zur Beruhigung der Orchestermusiker spekuliert. Eine lange Krise würde dem Image der La Fenice Schaden zufügen. Die Arbeitnehmervertretung des Theaters bekräftigte weiter ihre zentrale Forderung: die sofortige Rücknahme der Ernennung von Maestro Venezi. Bereits Ende September wurde der Unmut der Belegschaft deutlich, als ein offizieller Protestzustand ausgerufen wurde. Ein Vermittlungsversuch unter Anwesenheit von Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro scheiterte. Der Vorschlag des Bürgermeisters, einen „Kennenlernprozess“ mit der neuen Dirigentin zu beginnen, wurde von der Gewerkschaft entschieden abgelehnt. Man sei zu einem solchen Weg erst bereit, wenn die Ernennung zuvor rückgängig gemacht werde.
Die Betroffene hält sich dezent zurück
Beatrice Venezi hält sich in der hitzigen Debatte über ihre Ernennung selbst zurück. Allerdings setzt sie die Staranwältin und Senatorin Giulia Bongiorno in Marsch, die Schadenersatz wegen Rufschädigung fordern soll. „Angesichts von Angriffen, die ebenso gewalttätig wie unbegründet sind, bin ich gezwungen, der Anwältin Giulia Bongiorno Vollmacht zu erteilen, damit sie die zivil- und strafrechtlichen Schritte prüft, die gegen jene einzuleiten sind, die ohne Zögern schwerste Unwahrheiten über mich verbreitet haben. Kritik ist legitim, aber wenn es zu Hetzkampagnen und sogar zu Morddrohungen kommt, ist das Maß voll“, schrieb Venezi.
Giulia Bongiorno, die unter anderem den verstorbenen Premier Giulio Andreotti in einem aufsehenerregenden Mafia-Prozess in Palermo und Vizepremier Matteo Salvini vor Gericht verteidigt hat, sagt dazu: „Wenn bestimmte Spitzenposten einer Frau anvertraut werden, kommt es zu Reaktionen – vor allem, wenn diese Frau nicht den linken Kreisen angehört.“
Ob „Fenice“-Intendant Nicola Colabianchi, der Venezi nominierte, und Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro, der dem Verwaltungsrat des Konzerthauses vorsteht, den heftigen Protesten widerstehen und an Beatrice Venezi festhalten werden, ist noch nicht sicher. Der Bürgermeister zeigt sich zuversichtlich, dass „Venezis erstes Konzert in La Fenice ausverkauft sein wird und sich der Preis der Eintrittskarten verdoppeln wird“.
Nur eine Etappe im Kulturkampf
Venezi wurde auch vom italienischen Kulturminister Alessandro Giuli verteidigt, der meinte, die erste Frau auf dem Musikdirektoren-Posten werde dafür sorgen, dass niemand ihre Vorgänger vermisse. Viele glauben, dass die 35-Jährige, die zuvor Chefdirigentin des in Florenz ansässigen Orchestra della Toscana war, frischen Wind in das angestaubte Opernmilieu bringen wird.
Im Teatro la Fenice, wo Welturaufführungen von fünf Verdi-Opern stattfanden, ist dieses Kapitel des auch in Italien ausgefochtenen Kulturkampfes noch nicht abgeschlossen. Lässt die Anti-Venezi-Front es wirklich zum Äußersten kommen und zieht den angekündigten Streik am 17. Oktober durch? Und wäre das ein Sieg für das linke Kultur-Establishment – oder würde das die Entschlossenheit konservativer Protagonisten wie Venezi und Meloni, dieses aufzumischen, nur stärken?
Dieser Beitrag ist ursprünglich bei unserem Partner-Portal NiUS erschienen.
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