Europa hat die IT-Revolution verpasst. Bedeutende Industrien sind 40 Jahre und älter, neue und erfolgreiche Riesen wie Google, Apple und Amazon entstanden in den USA und auch in Asien – aber nicht hier. Ähnliche erfolglos dürfte Europa künftig bei der immer wichtiger werdenden Künstlichen Intelligenz (KI) abschneiden, befürchten Experten – „dank“ der EU. Brüssels Reglementierungswahn werde innovativen KI-Unternehmen schon bald das Leben sehr schwer machen, bis sie das Weite suchen, warnen sie. Dafür sorgt eine neue Verordnung, die zurzeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und von Thierry Breton, dem EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, in den höchsten Tönen gepriesen wird.

Thierry Breton hält die neue Verordnung für einen großen Wurf.APA/AFP/Ludovic MARIN

Massive Einschränkungen für zahlreiche KI-Anwendungen

Sein Ruf eilt ihm voraus: Thierry Breton gilt als der „digitale Vollstrecker“ von Brüssel. Wegen seiner Zensur-Pläne dachte schon Elon Musk laut darüber nach, X (früher Twitter) aus der Europäischen Union abzuziehen. Der Grund wer das neue Digital-Gesetz, das große Online-Plattformen verpflichtet, konsequent und schnell gegen sogenannte „Hassrede“ vorzugehen.

Nun wurde unter Breton eine weitere EU-Regulierung zu KI ausgearbeitet. Verschiedene EU-nahe Social-Media-Kanäle bejubelten den Beschluss, auf den sich der Europäische Rat, die Kommission und das EU-Parlament am Freitagabend geeinigt hatten. Die Vereinbarung sieht weitreichende Beschränkungen für zahlreiche Anwendungen von KI-Modellen vor. Systeme, die „menschliches Verhalten manipulieren“, sollen in der EU gänzlich verboten werden.

Innovationsbremse mit „katastrophalen Folgen“

Experten schütteln den Kopf. „Das vereinbarte KI-Gesetz erlegt den Entwicklern von Spitzentechnologien, die vielen nachgelagerten Systemen zugrunde liegen, strenge Verpflichtungen auf und wird daher wahrscheinlich die Innovation in Europa bremsen“, unterstreicht die Computer & Communications Industry Association (CCIA), eine internationale gemeinnützige Organisation mit Sitz in Washington. Sie vertritt die Informations- und Kommunikationstechnologiebranche und setzt sich für „fairen und offenen Wettbewerb“ ein.

Die Gruppe beschuldigte Brüssel, einen „vernünftigen risikobasierten Ansatz“ für die Verordnung aufzugeben und stattdessen pauschale Beschränkungen für die neue Technologie zu verhängen. Daniel Friedlaender, Europa-Vizepräsident der CCIA, warnte: Die wirtschaftlichen Folgen der Verordnung könnten „potenziell katastrophal“ sein. Ebenso warnte Boniface de Champris, der Leiter der Europapolitik der CCIA: Das Abkommen könnte die in der EU ansässigen Technologieunternehmen vergraulen.

Wissenschaftler und Unternehmer sehen Technikfeindlichkeit

Andere Branchenvertreter waren weniger diplomatisch, vor allem in den sozialen Medien, wo sich EU-Kommissar Thierry Breton für das neue Abkommen feierte. „Was für ein Idiot, der mit dem Schaden prahlt, den er angerichtet hat“, schrieb ein Professor für Informatik und Ingenieurwesen der University of Washington online und warf der EU insgesamt vor, ein „technikfeindlicher Kontinent“ zu sein. Der bekannte Krypto-Unternehmer Jeremy Kauffman meinte, er werde „lieber von Skynet als von europäischen Regulierungsbehörden regiert“.

Scharfe Kritik kommt auch aus Österreich. Plagiatsjäger und Kommunikationswissenschaftler kommentiert: „Die EU feiert sich selbst für den nächsten Irrweg nach der Datenschutzverordnung DSGVO. Werden jetzt Cookies-Banner um AI-Banner erweitert? Seit Jahren sieht die EU ihre Aufgabe nur darin, US-Erfindungen zu ‚reglementieren‘, von Google bis ChatGPT.“

Ähnlich sieht das der Politologe und regelmäßige Gast auf eXXpressTV Ralph Schöllhammer von der Webster Universität: „Es gibt kein europäisches Pendant zu Amazon, WeChat, Alibaba, Apple, Google, PayPal, etc. Bei der kommenden KI-Revolution tut die EU schon jetzt alles, damit die Europäer auch hier den Anschluss verpassen. Kleine und schwache Mächte regulieren, große Mächte innovieren“, klagt er.

Freude bei der EU-Spitze – und bei Brexit-Befürwortern

Erfreut über das Abkommen sind hingegen Brexit-Befürworter und der ehemalige Boris-Johnson-Vertraute Dominic Cummings: In ihren Augen bestätigt das Abkommen die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die EU zu verlassen. „Wie wir vorausgesagt haben, zwingt die EU sich selbst und ihre Bürger in die Knie“.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, feierte den Plan zur KI-Regulierung als einen Beitrag zur Sicherheit in der EU. „Durch die Gewährleistung der Sicherheit und der Grundrechte von Menschen und Unternehmen wird der Rechtsakt die auf den Menschen ausgerichtete, transparente und verantwortungsvolle Entwicklung, Einführung und Nutzung von KI in der EU unterstützen.“