Es ist das bittere Ende einer der größten Kontroversen der olympischen Geschichte. Gold-Gewinner Khelif wurde 2023 bei der Box-Weltmeisterschaft der Frauen ausgeschlossen, weil ein Geschlechtstest ergeben hatte, dass er XY-Chromosomen hat und somit ein Mann ist. Bei Olympia durfte er trotzdem antreten. Die Begründung des IOC: Beim Geschlecht zählt ausschließlich der Eintrag im Pass – und der soll bei Khelif weiblich lauten.

Imane Khelif am Freitagabend mit Siegergesicht.GETTYIMAGES/Richard Pelham / Freier Fotograf

Kein internationaler Protest, keine alten Fotos von Khelif mit Hodenschutz, keine Privatfotos, auf denen er eindeutig als Mann erkennbar ist, keine nachdatierte Geburtsurkunde, kein noch so großes Entsetzen über die brutalen Schläge eines Mannes gegen seine weiblichen und chancenlosen Gegnerinnen konnten Khelif auf seinem Triumphzug stoppen. Kurz vor dem Final-Kampf hatte eine frühere Gegnerin von Khelif Fotos auf Social Media veröffentlicht, die ihre schweren Verletzungen nach einem Kampf mit Khelif zeigten. Doch das IOC blieb bei seiner Linie, die, so zahlreiche Experten, für weibliche Boxerinnen unter Umständen lebensgefährlich sein könnte. Khelifs erste Gegnerin, Angela Carini aus Italien, hatte nach nur 46 Sekunden aufgegeben, weil sie die Schläge mit männlicher Wucht nicht aushalten konnte. “Ich bin noch nie in meinem Leben so hart getroffen worden”, sagte Carini nach dem ungleichen Kampf. Noch im Ring schrie sie: “Das ist nicht gerecht!”

IOC verweigert Geschlechtstests

Das IOC weigerte sich, während der Spiele zur Praxis von Geschlechtstests zurückzukehren, bei denen ein einfacher Speichel-Abstrich im Mund genommen wird. Solche Tests seien demütigend und entwürdigend, hieß es, was bemerkenswert ist, müssen sich beim Doping-Test die Athleten doch beim Urinieren zusehen lassen.

Bei einer so denkwürdigen wie bizarren Pressekonferenz, nur Stunden vor dem Final-Kampf, bekräftigte der deutsche IOC-Chef Thomas Bach heute die Hardliner-Position des Olympischen Komitees. Ob Bach die Sicherheit von Frauen geopfert habe, um der politischen Ideologie der “Inklusion” zu huldigen, wollten die Reporter in drängenden Fragen wissen.

Bach schien zum ersten Mal zumindest implizit zuzugeben, dass Imane Khelif und ein weiterer Boxer aus Taiwan, der morgen ebenfalls um Gold boxt, XY-Chromosomen aufweisen. Aber das, so Bach würde nicht bedeuten, dass sie Männer wären. Bach wörtlich: “Manche wollen es in diesem Kulturkampf so darstellen, dass XX- und XY-Chromosomen den klaren Unterschied zwischen Mann und Frau machen – das ist wissenschaftlich nicht mehr wahr.”

IOC-Präsident Bach.GETTYIMAGES/George Mattock / Freier Fotograf

Hebt das IOC die Geschlechtergrenzen auf?

Bach wiederholt damit eine Behauptung, die hoch ideologisch ist und im Zentrum politischer Bewegungen steht, die Geschlechtergrenzen aufheben und auch den Frauensport komplett für Männer öffnen wollen. Weiter sagte Bach auf der Pressekonferenz: “Wenn jemand uns eine wissenschaftlich solide Methode präsentiert, wie man Männer und Frauen identifizieren kann, sind wir die Ersten, die das gerne machen.”

Was Bach hier sagt, könnte schon in vier Jahren bei Olympia 2028 in Los Angeles das Ende des Frauensports bedeuten. Offenbar ist das IOC bereit, grundsätzlich in Frage zu stellen, ob man Männer und Frauen überhaupt auseinander halten kann. Wenn in Los Angeles in vier Jahren noch mehr Männer Frauen schlagen, im doppelten Sinne des Wortes, dann waren der Boxer Imane Khelif und der Funktionär Thomas Bach ihre Wegbereiter.

Schon vor dem Kampf zeigte sich Khelif stolz. “Ich bin die erste algerische Frau, die es in ein Box-Finale geschafft hat”, sagte sie, “Ich möchte mich beim algerischen Volk bedanken.”