Dabei soll die Idee für den Anschlag bei einer Feier im Mai 2022 geschmiedet worden sein – unter Konsum von nicht gerade wenig Alkohol. “Die ganze Idee entstand aus einer Nacht voller Alkohol und der eisernen Entschlossenheit einer Handvoll Menschen, die den Mut hatten, ihr Leben für ihr Land zu riskieren”, heißt es in dem Bericht unter Berufung auf einen ukrainischen Offizier, der an der Sprengung beteiligt gewesen sein soll. Dass Medien weltweit darüber spekulierten, dass es sich bei der Nord Stream 2-Sprengung um eine Geheimdienstoperation mit U-Booten, Drohnen und Satelliten gehandelt haben soll, lasse die vom WSJ zitierte Quelle “schmunzeln”.

Brisant: Ausgerechnet der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj, soll von dem Vorhaben gewusst haben. Er soll den Plan der Ukrainer binnen weniger Tage genehmigt haben. Dies behaupten laut “Wall Street Journal” vier Personen, die mit den Vorgängen vertraut sind. Alle Absprachen seien mündlich getroffen worden, sodass keine schriftlichen Aufzeichnungen existieren.

Das vom dänischen Verteidigungskommando zur Verfügung gestellte Foto zeigt das Nord Stream 2-Gasleck in der Nähe von Bornholm aus der Luft.GETTYIMAGES/Handout

Eine Operation wie ein Torpedo

Als Selenskyj später einlenkte und von seinem Vorhaben abweichen wollte, sei dies nicht mehr möglich gewesen. Der damalige ukrainische Oberbefehlshaber, Walerij Saluschnyj, soll ihm erklärt haben, dass die Operation nicht mehr gestoppt werden könne, da sie bereits befohlen worden war – und das Team ohne Kommunikationsmittel unterwegs sei, um das Projekt nicht zu gefährden. Er verglich die Aktion mit einem abgefeuerten Torpedo. “Ihm [Wolodymyr Selenskyj] wurde gesagt, es sei wie ein Torpedo – wenn man ihn einmal auf den Feind abgefeuert hat, kann man ihn nicht mehr zurückziehen, er läuft einfach weiter, bis er Boom macht”, zitiert die US-Zeitung.

Später wurde Saluschnyj als Rivale von Selenskyj abberufen – und ist heute Botschafter der Ukraine in Großbritannien. Gegenüber dem “Wall Street Journal” bestreitet er, jegliche Kenntnis von der Operation zu besitzen und bezeichnete die Behauptungen als “bloße Provokation”.

Der ehemalige Oberbefehlshaber über die ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschny.GETTYIMAGES/The Washington Post / Kontributor

Sechsköpfige Crew, getarnt als Bootstour

Die Kosten für den Sabotageakt lagen Insidern zufolge bei etwa 300.000 Dollar, heißt es in dem Bericht. Sie sollen für die Anmietung der Yacht “Andromeda” und eine sechsköpfige Crew ausgegeben worden sein, unter ihnen befanden sich ausgebildete Taucher. Auch eine Frau soll sich der Crew angeschlossen haben, um den Eindruck, so WSJ, einer Bootstour unter Freunden zu erwecken – und den Verdacht nicht auf die Gruppe zu lenken.

Beinahe musste die Operation dann aber wegen schlechten Wetters abgebrochen werden. Und: Die Saboteure hinterließen Spuren. Ein Taucher ließ im Stress eine Bombe in die Tiefe des Meeres fallen. Nach dem Anschlag soll die Crew die “Andromeda” zudem in Eile verlassen haben, ohne sie gründlich zu reinigen. Dadurch hinterließ die Gruppe Sprengstoff-Spuren und Fingerabdrücke, die später von deutschen Ermittlern gefunden wurden. Außerdem wurde der Hauptverdächtige, gegen den seit Juni ein Haftbefehl vorliegt, 2022 auf der Autobahn geblitzt.

Polen soll Haftbefehl der Generalbundesanwaltschaft ignoriert haben

Genau gegen diesen Mann, einen ukrainischen Staatsbürger, erließ der Generalbundesanwalt im Juni einen vertraulichen Haftbefehl. Bei dem Verdächtigen handelt es sich um einen ukrainischen Tauchlehrer, der mit seiner Familie in der Nähe von Warschau leben soll. Die deutschen Behörden sollen allerdings schon seit November 2022 vermutet haben, dass die Ukrainer hinter dem Anschlag stecken.

Die polnischen Behörden sollen den Recherchen zufolge auf den ausgestellten Haftbefehl nicht reagiert haben. Der Tatverdächtige soll inzwischen in die Ukraine zurückgekehrt sein. Dass Polen ihn nicht festgenommen hat, sei, so das “Wall Street Journal”, ein “schwerer Schlag” für die deutschen Ermittlungen, da er und andere Verdächtige im Wissen über das Gesuch fortan Reisen ins Ausland vermeiden.

Die am 26. September 2022 stattgefundene Sprengung der 1.200 Kilometer langen Pipeline “Nord Stream 2”, bei der 100.000 und 400.000 Tonnen Methan in die Atmosphäre freigesetzt wurden, verschärfte die Energiekrise in Europa – und warf Fragen auf, ob der Angriff auf kritische Infrastruktur auf nach internationalem Recht nicht als Kriegshandlung angesehen werden könnte. Die Gas-Pipeline galt als Prestigeprojekt von Gazprom und beförderte Gas von Russland nach Deutschland über die Ostsee.

Der russische Präsident Wladimir Putin machte öffentlich mehrfach die USA für die Anschläge verantwortlich. Gegenüber WSJ wiederholte ein hochrangiger russischer Diplomat in Berlin diese Theorie. Die deutschen Ermittlungsergebnisse seien demnach “Märchen, die der Brüder Grimm würdig” seien.