Gleichzeitig stellen wir uns die Frage, warum Emotionen, Gewalt, hysterische Wahnexzesse und das schamlose Übertreiben und Verdrehen von Tatsachen in der Sphäre des Politischen fast zur Regel geworden sind. Die Antwort darauf klingt im ersten Augenblick auch sehr abstrakt, ihr Hintergrund ist aber erbarmungslos gegenständlich und unerbittlich materiell. Es ist dies der sang- und klanglose Untergang der philosophischen Schule der Postmoderne, die seit den 1970er Jahren für eine kurze Zeitspanne für einen lebendigen und von Anpassungszwängen befreiten Diskurs gesorgt hat. Der Kerngedanke des postmodernen Denkens ist, dem demokratischen „Sowohl-als-auch“ den Vorzug vor dem totalitären „Entweder-oder“ zu geben. Als hervorstechendste Manifestationen des „Entweder-oder“ wurden damals die monotheistischen Kirchen und die laizistische Religion des Marxismus kritisch ins Visier genommen. Deren Grundprinzip lautet: Es kann nur einen Gott und ein wahres Weltbild geben. Eine Zeit lang erschien es tatsächlich so, als würden die totalitären religiösen und politischen Weltbilder und ihre großen Erzählungen im Bildersturm der Vielfalt der flimmernden Bildschirme verloren- und untergehen. Doch diese Erwartung erfüllte sich nicht. Vielmehr gelang es den Mega-Erzählungen der Politik und den antimodernen Mystifikationen der sogenannten Weltreligionen in einem langen Stellungskrieg gegen den Pluralismus die Herrschaft über die Bildmedien zu übernehmen. Heute sind Staats- und Privatmedien nicht mehr voneinander zu unterscheiden, genauso wie Kapital und Politik. Die Herrschenden aus Politik und Wirtschaft haben sich zusammengeschlossen und können nun auf Knopfdruck bestimmen, welche Geschichten dem Volk serviert werden und welche nicht. Mehr denn je regiert heute das Geld die Welt. Verwirrend ist nur, dass sich sogar das Monopolkapital ein linkes Mäntelchen umgeworfen hat. Unter den Bußgewändern des woken Opferschutzes und der wahnhaften Flüchtlingsliebe verbergen sich aber weiterhin die systemische Profitgier und ein entgrenzter Wille zur Allmacht.

Die politischen Parteien befinden sich in einem Wandlungsprozess zu säkularen Religionen

Dass die politischen Auseinandersetzungen heute erbarmungslos und intolerant geworden sind und gewaltsame Zusammenstöße zwischen religiösen und politischen Fanatikern unsere Städte prägen, liegt vor allem an der Rückkehr einer besessenen Religiosität, die auch die Politik ergriffen hat. Der bestimmende Wesenszug dieses alten und nun wiederbelebten Fanatismus ist das manichäische Denken. Sowohl für politische Parteien als auch für die monotheistischen Religionsgemeinschaften, unter deren Einfluss wir nunmehr schon seit Jahrtausenden leiden, scheidet sich die Menschheit in einen guten und einen bösen Teil. Man muss sich entscheiden, zu welchem dieser Teile man gehören will. Ein „Sowohl-als-auch“ kann es nicht geben. Grenzgänge sind ausnahmslos verboten. Wer sie trotzdem wagt und nur in eine leichte Berührung mit dem verfemten Teil der Menschheit kommt, wird für immer aus der Gemeinschaft der Guten ausgeschlossen. Was bedeutet das für unser alltägliches Leben? Ein persönliches Beispiel. Wenn ich meine russische Vermieterin treffe, ihr freundlich die Hand gebe und ein kurzes nettes Gespräch mit ihr führe, dann bin ich Putin-Versteher oder gar ein russischer Spion. Im manichäischen Totalitarismus gibt es nur ein „Entweder-oder“ ohne Wenn und Aber. So wird dann auch aus einem Journalisten der „Russen-Ritschi“, nur weil er mit dem russischen Botschafter in Österreich ein Interview geführt hat.

Dass die missionierenden monotheistischen Religionen die Gesellschaft polarisieren, hat schon der Philosoph Aurel Kolnai in den 1930er Jahren erkannt. Er beschreibt den Religionshass als den glühendsten Hass und vermutet, dass „jeder echte Hass einen Splitter von Religionshass in sich trägt“. Die politischen Parteien befinden sich in einem Wandlungsprozess zu säkularen Religionen. Ein Symbol dafür ist die Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten, Saskia Esken. Sie agiert nicht wie eine aufgeklärte, Argumente vernünftig abwägende Politikerin, vielmehr erweckt sie den Eindruck, als säße sie auf dem Thron der Unvernunft, der über einer Erdspalte errichtet ist, aus der sinnenverwirrende, giftige Dämpfe aufsteigen. Wer die AfD mit der NSDAP gleichsetzt, wie sie das tut, und rechte Politiker mit Goebels, der will keinen vernünftigen demokratischen Diskurs, er will Ängste schüren, Panik erzeugen und verbreitet am Ende, hoffentlich ohne es zu wollen, eine Pogromstimmung. Auch Andreas Babler ist weniger Parteiführer als Glaubensapostel. Er hat bloß die Leninbüste in seinem Büro gegen ein geweihtes Kreuz vom Papst getauscht. Die Ikonen der Anbetung ändern sich, der Fanatismus bleibt. Ganz typisch für Konvertiten.

Latenter Bürgerkrieg zwischen links und rechts

Als Erstes stirbt im Krieg die Wahrheit, hat Sigmund Freud vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs geschrieben. Da in unserer Gesellschaft seit geraumer Zeit zumindest ein latenter Bürgerkrieg zwischen links und rechts herrscht, ist die Wahrheit auch in Friedenszeiten verblichen und an ihre Stelle der pragmatische postmoralische Grundsatz „jedes Mittel ist recht, wenn es nur den eigenen Zwecken dienlich ist“ getreten. Der Krieg der Parteien wird heute geführt mit leeren Signifikanten, die pathetisch zu riesigen Symbolungetümen aufgeblasen werden und deren schwerer und kalter Schatten jeden vernünftigen Gedanken erfrieren lässt. Der Begriff „Demokratie“ ist so eine übermächtige, leere, rhetorische Geistergestalt, die diskurserstickend ist, weil sie wie das Wort Gottes alle vor Ehrfurcht erstarren lässt. Wenn man die AfD und die FPÖ zu Verfassungsfeinden und zur Gefahr für die Demokratie stilisiert, dann sollte man zumindest sagen können, was die Demokratie ist und was AfD und FPÖ an ihr verändern wollen. Wollen sie die Parlamente abschaffen, die Verfassung außer Kraft setzen, bilden sie paramilitärische Verbände wie die linke Antifa oder verwenden sie antidemokratische Symbole wie den Sowjetstern oder das Hakenkreuz? Nichts von dem ist der Fall. Vielmehr stellen die Gegner der AfD die Demokratie als das Gute an sich wie eine byzantinische Ikone in den Raum, der eine diffuse, böse Stimmung entgegenschlägt, die von der AfD ausgeht. Konkrete Vorwürfe bleiben aus. Wahrscheinlich gibt es sie gar nicht. Also viel Lärm um nichts mit dem taktischen Bestreben, einen politischen Gegner zu schädigen.

Riskiert man einen Blick hinter die aufgeblasenen Wortungetüme und leeren Floskeln der Politik und der Medien, so bemerkt man oft, dass das Gegenteil von dem wahr ist, was sie suggerieren. So wird seit Monaten verbreitet, dass die Grünen in Deutschland am häufigsten Opfer gewalttätiger Übergriffe werden. Nun ist dieses demagogische Narrativ selbst der sonst systemtreuen Bildzeitung zu viel geworden. Unter dem Titel „ARD verzerrt Gewaltstatistik über AfD“ stellte sie klar, dass durch Gewaltattacken im Jahr 2023 vorwiegend die AfD betroffen war. „Die Wahrheit ist immer konkret“ hat man früher gesagt. Wenn die Macht der Fakten den manipulativen Narrativen in die Quere kommt, verdampfen diese wie Nebelschwaden, wenn das warme Sonnenlicht auf sie fällt. Dann hat die Wahrheit ihren großen Auftritt. Aber nur für kurze Zeit, denn die mediale Nebelmaschine läuft ohne Unterlass. Und schon bald verstellt die nächste dichte Nebelbank wieder den Blick auf das Tatsächliche.