Mindestens 15 Zivilisten starben bei dem Raketeneinschlag, mehr als 30 wurden verletzt. Die erschütternden Bilder gingen durch die Weltpresse. Weniger als zwei Stunden später machte Präsident Wolodymyr Selenskyj „russische Terroristen“ dafür verantwortlich und sprach von einem „absichtlichen Schlag“. Von einer „bestialischen Tat“, schrieb auch der ukrainische Botschafter Vasyl Khymynets in Wien auf X (Twitter). Dies sei „Terror gegen zivile Bevölkerung“. Die mit Metallsplittern  beladene Rakete hatte einen Marktplatz getroffen.

Die Russen täten, was sie schon bisher getan haben, meinte der ukrainische Präsident. Tatsächlich hatten sie schon im April Häuser und eine Vorschule in Kostjantyniw beschossen. Damals starben sechs Menschen. Doch diesmal, beim Vorfall im September, gelangt die New York Times nach der Sammlung und einer Analyse zahlreicher Beweise zu einem anderen Ergebnis als Selenskyj.

Ukrainische Behörden wollten mit Times nicht kooperieren

Die US-Tageszeitung schreibt: „Raketensplitter, Satellitenbilder, Zeugenaussagen und Beiträge in den sozialen Medien deuten stark darauf hin, dass der katastrophale Einschlag das Ergebnis einer fehlgeleiteten ukrainischen Luftabwehrrakete war, die von einem Buk-Raketensystem abgefeuert wurde. Der Angriff scheint ein tragisches Missgeschick gewesen zu sein.“

Der New York Times ist im Besitz mehrerer Indizien.

Die ukrainischen Behörden dürften von Anfang an gewusst haben, dass ihnen ein verheerendes Missgeschick unterlief. Bei den Recherchen waren sie nämlich nicht kooperativ, schreibt die Times: „Die ukrainischen Behörden versuchten zunächst, Journalisten der Times den Zugang zu den Raketentrümmern und dem Einschlagsbereich unmittelbar nach dem Einschlag zu verwehren. Den Reportern gelang es jedoch schließlich, zum Schauplatz zu gelangen, Zeugen zu befragen und Überreste der eingesetzten Waffe einzusammeln.“

Die erschütternden Bilder vom Anschlag gingen durch die Weltpresse.AFP

Sicherheitskameras und Zeugen deuten auf ukrainischen Abschussort hin

Die US-Zeitung listet nach akribischer Recherche mehrere Indizien auf. Da wären etwa die Sicherheitskameras. Sie zeigen: Die Rakete kam aus Richtung der Ukraine, wie etwa der Blick der Fußgänger in Richtung des ankommenden Geräusches des Rakete verraten, oder die Reflexion der Rakete auf zwei geparkten Autos.

Auch auf den Abschussort der Rakete gibt es Hinweise. Das ukrainische Militär hatte wenige Minuten zuvor zwei Boden-Luft-Raketen von der Stadt Druschkiwka, nordwestlich von Kostjantyniw, abgefeuert. Ein Times-Reporter war vor Ort und zeichnete einen Abschuss um 14.00 Uhr zufällig in einer Sprachnachricht auf. Die Bewohner der Stadt berichteten um 14.03 Uhr von einem weiteren „ungewöhnlich lautem“ Raketenstart. Der Einschlag auf dem Marktplatz erfolgte um 14.04 Uhr.

Der Blick der Passanten deutet an, woher die Rakete kam.

Ein Zeuge bestätigte, dass eine der beiden Raketen Richtung Kostjantyniw flog. Das Gelände, von dem die Rakete mutmaßlich abgeschossen worden war, wurde offenbar auch, wie ein Lokalaugenschein zeigte, kürzlich vom ukrainischen Militär genutzt. Überdies: „Die Analyse von Satellitenbildern, die vorher und nachher aufgenommen wurden, zeigt neue Brandspuren rund um die Schützengräben am Tag des Angriffs“.

Höchstwahrscheinlich war es eine 9M35-Rakete

Schließlich dürften die ukrainischen Behörden auch noch falsche Angaben über die eingeschlagene Rakete gemacht haben. Ihnen zufolge sei sie von einem S-300-Luftabwehrsystem abgefeuert worden, das Russland gerne verwendet. „Eine S-300-Rakete trägt jedoch einen anderen Sprengkopf als jene, die in Kostiantynivka explodierte“, schreibt die Times.

Die Hunderten von quadratischen oder rechteckigen Löcher in den Metallfassaden, die wahrscheinlich von würfelförmigen Objekten aus der Rakete stammen, deuteten auf eine 9M38-Rakete hin, die von dem mobilen Buk-Flugabwehrfahrzeug abgefeuert wird. „Es ist bekannt, dass die Ukraine das Buk-System einsetzt, ebenso wie Russland.“

Die New Yorkt Times vermutet, dass die Rakete eine Fehlfunktion hatte und deshalb abstürzte, bevor sie ihr beabsichtigtes Ziel traf.