Wird ein Holzraum lang genug erhitzt, genügt ein Funke, damit alles brennt. Das kommt einem mit Blick auf 1848 in den Sinn. Mit Aufständen gegen die Bourbonen in Sizilien und gegen die Habsburger in der Lombardei beginnt das Jahr. Es folgen die französische Februarrevolution und bürgerkriegsähnliche Kämpfe quer durch Europa. Wien ist eines der Epizentren des Erdbebens, neben Baden, Sachsen, Pfalz und Ungarn.

Viele Mythen bis heute

Die Tumulte – erst der bewaffnete Sturm auf das Ständehaus am 13. März, dann der Oktoberaufstand samt Niederschlagung der meuternden Truppen am Ende – haben sich tief im allgemeinen Bewusstsein eingegraben. Doch die bis heute gängige Sichtweise auf diese Zeit ist voller Klischees.

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Ihr zufolge erhob sich der Protest primär aus den Reihen des Bürgertums, dem wichtige Mitspracherechte vorenthalten wurden, und aus armen Bevölkerungsschichten, wie Bauern und Arbeitern. Der entbehrungsreiche Winter 1847/48 habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Hauptgegner der Aufständischen sei Metternichs repressiver Polizeistaat gewesen. Am Ende siegte das Regime und mit ihm der Neoabsolutismus, der die Reformvorhaben des Bürgertums zunichte machte.

Geld und Sicherheit – da darf nichts schiefgehen

Den meisten dieser Ansichten widerspricht der an der Universität Wien Neuere Geschichte lehrende Historiker Lothar Höbelt (64). Er hat ein Buch über 1848 verfasst und bekennt: „Ich persönlich habe was 1848 betrifft, mit fast allen Seiten gewisse Sympathien.“ Lothar Höbelts Haupteinwand gegen den verbreiteten Narrativ: Weder die grassierende Armut, noch ein repressiver Polizeistaat oder gar ein totalitäres Regime waren Auslöser der Proteste. In Wahrheit ging es um zwei brandaktuelle Themen, die seit jeher die Bürger erzürnen: Geld und Sicherheit.

Staatskanzler Clemens Fürst Metternich Anfang der 1820er Jahre: In seinem Polizeistaat fehlte die Exekutive.

Erstens wurde eine Inflation erwartet, also der Wertverlust des Papiergeldes, angesichts einer drohenden Kriegsgefahr mit Frankreich. Zweitens machte sich wachsende Kriminalität breit, verbunden mit dem Gefühl, dass der Staat nicht mehr für Sicherheit sorgen kann. Im Metternichschen Polizeistaat gab es nämlich in Wahrheit nur eine Geheimpolizei, aber eben keine Exekutive. Anders als es das Gerede vom Metternichschen System suggeriert, waren gerade die Schwäche des Regimes und seine Unfähigkeit für Sicherheit zu sorgen entscheidend für die Erhebung des Volkszorns.

Die Angst vor Geldentwertung und das Gefühl von Unsicherheit sind seit jeher Unruhetreiber. Wenn die Menschen das Vertrauen in das staatliche Geld verlieren und ebenso in die Fähigkeit des Staates, für Recht und Ordnung zu sorgen, wird es ungemütlich. Davon zehrt heute der Rechtspopulismus. Auch die AfD in Deutschland ist zunächst wegen der Euro-Politik entstanden. Erst später kam das Flüchtlingsthema hinzu.

Ein mehr ineffizientes, als totalitäres Herrschaftssystem

Aber auch andere Behauptungen über die Vorgeschichte von 1848 teilt Höbelt nicht. So war etwa das Herrschaftssystem vor Beginn des Aufstands nicht totalitär, sondern primär ineffizient und handlungsunfähig. Keiner mochte es. Daher wurde es beim Aufstand von niemandem verteidigt, auch nicht von der Aristokratie. Folgerichtig zeigte sich das Regime damals keineswegs standhaft, sondern gab sofort nach.

Prunkvoll verlief die Krönung Kaiser Ferdinands I. zum böhmischen König im Dom zu Prag 1836. Weniger prächtig war sein Ansehen bei den Bürgern.

Dass die Armen am Land aufbegehrt hätten sei ebenfalls unrichtig, sagt Lothar Höbelt. Sie waren großteils kaisertreu, letztlich war ihnen aber egal, wer herrschte. Richtig verärgert waren in Wahrheit nur die reichen Bauern, und zwar aufgrund der Eigentumsverhältnisse.

Das Bürgertum wiederum war großteils konservativ und nicht revolutionär eingestellt. Das Fass zum Überlaufen brachten aber eben erst die Angst vor Inflation und die zunehmende Kriminalität.

Die 48er absolvierten den Marsch durch die Institutionen

Doch auch die gängigen Ansichten über das Ende des Revolutionsjahrs, wonach der Neoabsolutismus alle Reformwünsche zerschlagen konnte, sind ergänzungsbedürftig, wie Höbelt deutlich macht. Er unterstreicht: In vielen Bereichen konnte der Staat in der Folge ohnehin keine Reformen durchführen, weil er schlicht nicht zuständig war. In gewisser Hinsicht waren nämlich sowohl der Vormärz, als auch der Neoabsolutismus liberal, oder besser gesagt wirtschaftsliberal. Aus den meisten Angelegenheiten hielt sich der Staat heraus.

Darüber hinaus sind viele der damals unerfüllt gebliebenen Wünsche nach Selbstbestimmung auch heute politisch unerwünscht beziehungsweise nicht durch eine demokratische Abstimmung realisierbar. Und viele Revolutionäre von einst – die 48er – absolvierten später den bekannten Marsch durch die Institutionen. Und noch etwas: Die Konfrontation des März 1848 war eine gänzlich andere, als die des Oktoberaufstands desselben Jahres. Hier werde einiges vermischt.

Doch alles der Reihe nach. Mehr dazu erfahren Sie in Teil 2.