Im Zeichen der McCarthy-Ära standen die 1950er in den USA. Sie war geprägt von Verschwörungstheorien und der Verfolgung echter oder vermeintlicher Kommunisten. Und dennoch: Damals fühlten sich deutlich mehr Amerikaner frei und hatten keine Angst, offen ihre Meinung zu sagen. In den vergangenen Jahren ist dieser Anteil auf ein Rekordtief gesunken.

Anteil der Amerikaner, die sich unfrei fühlen, hat sich verdreifacht

Im Jahr 1954, zurzeit des McCarthyismus, meinten nur 13 Prozent der Amerikaner, sie seien nicht frei, offen ihre Meinung zu sagen. Seither hat sich dieser Anteil verdreifacht auf 46 Prozent im Jahr 2020. Nur im Jahr 2015 war der Anteil der Befragten mit 48 Prozent noch etwas höher. Der größte Anstieg in den 2000er-Jahren statt.

Diesen höchst bedenklichen Trend – vor allem für die Demokratie – belegen nun die Studien der beiden US-Forscher James Gibson, Professor für Politologie an der Universität Stellenbosch, und Joseph Sutherland von der Washington University.

Vor allem Konservative schweigen lieber

Die Tendenz zur Selbstzensur ist bei Konservativen stärker ausgeprägt als bei Linken. Ein wesentlicher Grund sei die wachsende Polarisierung, berichten die Studienautoren, die ihre Ergebnisse im „Political Science Quaterly“ veröffentlicht haben. Als weitere Ursachen nennen sie die Rolle der „politischen Korrektheit“ und die wachsende Intoleranz im Land. Viele fürchten, von ihrem Umfeld – Freunden, Familien, Nachbarn – falsch verstanden zu werden. Das sei die Hauptmotivation. Alter, Bildungsgrad, soziale Schicht und Wohnort scheinen keinen relevanten Einfluss ausgeübt zu haben.

Joseph R. McCarthy im TV: Mit seinen falschen Anschuldigungen und Verschwörungstheorien gegen vermeintliche Kommunisten in den 1950er Jahren erlangte der Senator von Wisconsin Berühmtheit.Getty

Derselbe Trend in Deutschland

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten Umfragen in Deutschland. 44 Prozent der befragten Deutschen gaben kürzlich an, mit der freien Meinungsäußerung vorsichtig sein zu müssen. Nur 40 Prozent erklärten, ihre Meinung frei äußern zu können. Das ist der bisher tiefste Wert seit den 1950er Jahren. Nach dem Fall der Mauer, im Jahr 1990, meinten noch 78 Prozent der Deutschen, frei reden zu können.

Die jüngste Umfrage war vom Institut für Demoskopie Allensbach und vom Meinungsforschungsinstitut Media Tenor durchgeführt worden.

Auch in den Merkel-Jahren sank das Gefühl, frei sagen zu können, was man denkt, beträchtlich. Im Bild: Bundeskanzlerin Angela Merkel (r.) und TV-Moderatorin Anne Will (l.)APA/AFP/DPA/Rainer Jensen

Grüne Akademiker fühlen sich am wenigsten unfrei

Die politische Zugehörigkeit spielt dabei eine entscheidende Rolle, viel mehr als in den USA. Anhänger der AfD (62 Prozent) und der FDP (57 Prozent) erklären mit der freien Meinungsäußerung vorsichtig zu sein. Bei den grünen sind das nur 19 Prozent. Generell sind vor allem grüne Akademiker von der freien Meinungsäußerung überzeugt.

Dem Meinungsforschungsinstitut Media Tenor zufolge hat vor allem das Medienklima einen massiven Einfluss auf die empfundene Meinungsfreiheit.

Scharfe Kritik an der Rolle des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks übte kürzlich die Journalistin Julia Ruhs vom Bayerischen Rundfunk. „Das Vertrauen der Bevölkerung in die Medien ist stark angeknackst. Das in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bei dem ich arbeite, besonders“, klagte sie in einer Kolumne bei „Focus“. Mittlerweile habe sich eine akzeptierte Einheitsmeinung herausgebildet, der immer weniger Menschen widersprechen wollen.

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