Alex Fedosseev ist Serienunternehmer, Hightech-Führungskraft und Erfinder – und leidenschaftlich interessiert an dezentralen Informationssystemen, Blockchain, Krypto. Im Gespräch mit eXXpress erklärt er, warum gerade Europa für die Blockchain-Revolution so attraktiv ist und was sein eigenes Unternehmen 1World Online den Kunden – großteils Verlegern – bietet. Die 2011 gegründete dezentrale Plattform kombiniert die Bereitstellung von Inhalten mit interaktiver Werbung. Fedosseev lebt in den USA und stammt ursprünglich aus Russland (siehe Info-Kasten unten).

Sie bieten Verlagen eine Blockchain-basierte Software an. Sie haben Kunden in der ganzen Welt. Warum expandieren Sie nun nach Europa?

Ich sehe Europa als die nächste Innovationsdrehscheibe. Beim Web 3.0 geht es um Dezentralisierung. Das passt besser zu Europa, weil so viele Start-ups mit Sitz in Europa bereits dezentrale Dienste entwickeln. Viele Schweizer Unternehmen bewegen sich bereits in diese Richtung, einige sind im Crypto Valley, einige im Trust Valley, es gibt viele andere Innovationszentren in verschiedenen Kantonen.

Durch die Ansiedlung der ersten Blockchain-Unternehmen ab dem Jahr 2013 im Schweizer Kanton Zug wurde in Anlehnung an das „Silicon Valley“ schon bald der Begriff „Crypto Valley“ geboren.

"Die USA werden die Web-3.0-Revolution nicht anführen"

Und in den USA?

Ich glaube nicht, dass die USA diese Web-3.0-Revolution anführen werden, weil der Trend dort in die entgegengesetzte Richtung geht. Zentralisierte Dienste und Big Tech gewinnen immer mehr an Einfluss. Wenn solche Giganten die Kontrolle über den Markt übernehmen, gibt es keine Innovation mehr, sondern eher Verdrängung. Das andere große Problem ist die Mentalität dort. Die EU ist eine Union und die Schweiz eine Konföderation. Auch Unternehmen hier sind der Meinung, dass die Dinge dezentralisiert werden sollten.

Abgesehen davon fehlt es in den USA auch an Vorschriften für Kryptowährungen. Die Schweiz, Singapur und andere Länder haben bereits Regeln und Definitionen für Token. Die Wirtschaft braucht solche Regeln. Ohne eine gewisse Vorhersehbarkeit ist das Geschäft zu riskant. Darüber hinaus ist die Besteuerung in den USA ist ebenfalls furchtbar, wie wir an der kürzlich gescheiterten Novellierung der unangemessenen Krypto-Besteuerungsregeln sehen können, die in das kürzlich vom US-Kongress verabschiedete Infrastrukturgesetz aufgenommen wurden.

"Europa als Ganzes ist viel attraktiver für uns"

Aber in Europa ist die Besteuerung doch auch oft sehr hoch?

Man sollte zwischen dem Ort der Gründung und dem Ort der Geschäftstätigkeit unterscheiden. Ich denke, dass Europa als Ganzes viel attraktiver für uns ist. Wir haben mit vielen Verlegern in Ost- und Westeuropa Gespräche geführt. Es besteht großes Interesse. Jeder, den ich getroffen habe, weiß über Web 3.0, Internet of Things und Blockchain Bescheid. Das Momentum ist sehr positiv. Deshalb ist Europa für das Web 3.0 besser positioniert.

Außerdem ist die Schweiz ein großartiger Standort für Kryptowährungen mit vorhersehbarer Entwicklung und mit Wachstum. In der Schweiz gibt es eine Nullbesteuerung für Kapitalgewinne. Wien wiederum ist ein großartiges Zentrum für Innovation, weil es eine Brücke zwischen Ost- und Westeuropa ist und ein sehr positives Umfeld für Unternehmen und Lebensstil bietet.

Web 3.0 bedeutet freiwillige Interaktion statt Big Data

Mit Web 2.0. meinen Sie soziale Medien wie Facebook, Twitter, etc. Was ist der Unterschied zum Web 3.0?

Beim Web 2.0. ging es um den Austausch von Informationen. Mit Web 3.0. sind wir beim Austausch von Werten angekommen. Unsere Wirtschaft ist nicht wirklich inklusiv, und das Web 3.0 hat sich noch nicht entsprechend entwickelt. Bei echter Inklusion geben Sie den Menschen die Möglichkeit, online etwas beizutragen bzw. zu produzieren und im Gegenzug von der anderen Person oder dem anderen Unternehmen etwas zu erhalten, um etwas an diesen Beiträgen zu verdienen. Die Menschen erhalten eine echte Chance, sich zu beteiligen und dafür belohnt zu werden. Sie tun etwas für dich, und du gibst ihnen etwas zurück.

Soziale Medien bedeuten heute Big Data und Manipulation des Publikums, denn vieles davon geschieht hinter dem Rücken der Kunden. Die Informationen werden bei einer dritten Partei zentralisiert und diese Partei manipuliert die Nutzer unbemerkt. Wir sind gegen dieses Modell. Wir sind der Meinung, dass es eine freiwillige Interaktion, klare Regeln und Anreize geben sollte, ohne dass eine dritte Partei den Datenfluss manipuliert, die Privatsphäre hinter dem Rücken der Menschen verletzt und Zensur ausübt.

"Wir bieten den Lesern einen Mehrwert durch Anreize"

Sie entwickeln Software für Verlage. Was bietet Ihre Technologie den Verlagen?

Betrachten Sie 1World als ein Schweizer Taschenmesser für Verlage. Wir bieten ihnen mehrere Werte: In erster Linie erhöhen wir das Engagement auf ihren Websites durch interaktive Tools wie Umfragen, Quiz und Debatten, die den Verlagen helfen, mit ihrem Publikum zu interagieren und Echtzeitdaten aus erster Hand zu erhalten. Zweitens geben wir ihnen die Möglichkeit, zusätzliche Einnahmen zu erzielen, beispielsweise durch Werbung oder Forschung.

Aber es ist der dritte Punkt – und der ist einzigartig – der 1World zu einem Teil des Web 3.0 macht: Wir bieten den Lesern einen Mehrwert durch Anreize. Es gibt ein Loyalitätsprogramm: Wenn die Leute zum Beispiel abstimmen, sich engagieren oder etwas auf einer Website teilen, erhalten sie als Belohnung Punkte, die sie beispielsweise in Krypto-Token oder Rabatte für Dienstleistungen und Waren einlösen können. Wir glauben, dass dies die Zukunft des Verlagswesens ist. Die Leser werden zu Teilnehmern. Sie bleiben keine anonymen Leser.

Was bringen die Punkte den Lesern konkret?

Punkte sind wie Abzeichen, sie sind virtuelle “verdiente” Zahlen, die in echte Werte umgewandelt werden können, sobald der Nutzer eine bestimmte Schwelle erreicht. Dann werden sie in Gutscheine und Waren umgewandelt. Einige Verlage akzeptieren sie etwa als Bezahlung für erstklassige Inhalte hinter der Bezahlschranke.

Mehr Inhalte, mehr Engagement, alle verdienen

Könnten Sie das kurz anhand eines Beispiels erläutern?

Es passiert etwas Interessantes, zum Beispiel ein Fußballspiel, ein politischer Skandal oder ein kulturelles Ereignis. Dazu wird eine entsprechende Umfrage erstellt oder durch künstliche Intelligenz generiert. Die Leute lesen zuerst den Artikel, sehen darunter eine relevante Umfrage, beantworten die Fragen und sehen dann die Ergebnisse. Mehr Inhalte werden konsumiert, es gibt mehr Engagement, und dank der Werbung verdienen alle Geld (siehe unten).

"Die Menschen entscheiden, alles ist Datenschutz-konform"

Ist dies mit der Allgemeinen Datenschutzverordnung (DSGVO) vereinbar?

Die DSGVO legt die Regeln dafür fest, was mit Nutzerdaten gesammelt werden darf und was nicht. In unserer Welt entscheiden die Menschen, ob sie sich registrieren und beitreten wollen. Wenn sie beitreten wollen, erhalten sie Anreize. Dies ist ein vollständig DSGVO-konformer Mechanismus, da die Menschen selbst die Wahl treffen: Sie registrieren sich mit ihren eigenen Daten, stimmen ab und erhalten eine Belohnung, wenn sie genug verdient haben. Alles ist transparent, kundenorientiert und freiwillig.

Welche Pläne haben Sie sonst?

Um die Komplettlösung für Publisher zu vervollständigen, wollen wir das Uber für Inhalte werden und bauen einen Digital Content Marketplace (DCM) auf, der auf der Blockchain basiert und einfache, Token-gesteuerte Transaktionen zwischen Content-Erstellern (Verkäufern) und Publishern (Käufern) ermöglicht.

Qualität und Authentizität von Inhalten werden durch den Einsatz von KI-Engine gewährleistet und dann mit Non-Fungible Tokens (NFTs) vor Urheberrechtsverletzungen geschützt. Dies ist unser großes Projekt für den Rest des Jahres 2021 und wir planen, es in Europa einzuführen und einer der Anführer der Web 3.0 Revolution auf der #IndieTech Seite zu werden, im Kampf gegen #BigTech.

Alex Fedosseev ist CEO und Gründer von 1World Online. Er berät zahlreiche Startups und Fonds im Silicon Valley und weltweit, und ist Mentor im Google Launchpad-Programm. Er lebt in der San Francisco Bay Area und arbeitet mit Teammitgliedern, Partnern und Investoren auf der ganzen Welt zusammen.

Bereits in seinen Studienjahren, als er an der staatlichen Universität Moskau den Bachelor in Mathematik und den Master in Informatik machte mit Schwerpunkt auf künstlicher Intelligenz, war Fedosseev an Projekten im Bereich Künstliche Intelligenz beteiligt. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR gründete er 1992 als 25-jähriger CEO sein eigenes Technologie-Startup, das er in der Folge erfolgreich ausbaute. 1996 zog er auf Einladung von US-Partnern (Microdyne und Novell) nach Kalifornien. Seit 1999 arbeitete er in innovativen Technologie-Startups in den Bereichen Breitband, Connected Home, Internet of Things.